Haben Sie schon einmal mit einem Heringsschwarm getaucht oder in einem Ameisenhaufen gesessen? Bewundern Sie gelegentlich Vogelschwärme für ihren kunstvollen Flug oder fragen Sie sich gerade, was das mit Intelligenz zu tun hat?
Die deutsche Piratenpartei will vermehrt das Internet zur Meinungsbildung in ihren Gremien einsetzen. Für die Bundestagswahl hat man diese Woche die Parole ausgegeben: "Wir wollen Schwarmintelligenz statt Köpfe." Die Führungskaste der Piraten gibt sich basisdemokratisch, will nicht alles selbst entscheiden, genau so, wie sie nicht selbst alles wissen muss. Sie erinnern sich: Bei der Berlin-Wahl hat Spitzenkandidat und Oberpirat Andreas Baum im Fernsehen auf die Frage nach den Schulden des Stadtstaats gemeint: "Es sind viele, viele Millionen." Die genaue Zahl könne er nicht nennen. Tatsächlich sind es 63 Milliarden. Hämisches Gelächter folgte. Und weil man eben nicht alles wissen kann, wo es doch das Internet gibt, setzt man bei den Piraten jetzt auf Schwarmintelligenz. Doch ist die "Weisheit der vielen" tatsächlich ein Weg zu mehr Demokratie? Auf den ersten Blick scheint es, dass eine Gemeinschaft tatsächlich stärker sein kann als die Summe der Einzelindividuen.Ameisen können das . . . Schwärme als Superorganismen: Ameisen können das. Sie bilden gemeinsam einen Organismus, der mehr über Futterstellen und die Wege hin- und zurück weiß, als sich eine einzelne Ameise merken könnte. Die Information ist im Verhaltenen der Individuen gespeichert. Jede Ameise stellt quasi eine Nervenzelle des gemeinsamen Gehirns im Superorganismus dar.
Die Vorstellung, unsere Gesellschaft gleiche einer Ameisenkolonie, scheitert aber schon an unserem Selbstwertgefühl. Obwohl: Auch unter den Menschen irren einige planlos durchs Leben, und zu den Futterplätzen führen immer dicke Straßen. Vielleicht halten wir uns ja für intelligenter, als wir tatsächlich sind.Wie Journalisten klüger werden . . .Gruppen als Quellen des Wissens - das kennen wir Journalisten nur zu gut: Mindestens eine Leserin oder ein Leser weiß zu einem Thema immer besser Bescheid, weil er oder sie Experte auf dem Gebiet ist oder mehr Erfahrung in diesem Bereich hat. Eine Besserwisserei im positiven Sinn, die Redaktionen gelegentlich in Form geharnischter Leserbriefe oder Postings im Internet abbekommen. Gut so, weil Journalisten dadurch klüger werden und dadurch die Gruppe der Leser wiederum profitiert.
Eine Gruppe als Quelle des Wissens funktioniert aber nur dann, wenn sich die wahren Wissensträger im Geschwurbel der Masse durchsetzen können. Dazu benötigen sie Macht. Macht, die ihnen aufgrund anderer Kriterien zugesprochen werden muss. Entweder weil sie so klug, so reich oder so schön sind (ich schweife ab), oder weil sie die besseren technischen Möglichkeiten haben, sich Gehör zu verschaffen. Auch hier bleibt die Frage: Wem trauen Sie?Von der Weisheit der vielenDie Weisheit der vielen: Der Naturforscher Francis Galton fand 1906 in einem Experiment heraus, dass Besucher einer Nutztiermesse das Gewicht eines Ochsen beinahe auf das Kilogramm richtig erraten, wenn man von allen Schätzungen den Mittelwert bildet. Das Erstaunliche dabei ist, dass der Mittelwert genauer war als die beste Einzelschätzung. Galton wollte mit diesem Experiment ursprünglich die Dummheit der Masse beweisen, zeigte aber das Gegenteil.
Wie man diese "Weisheit der vielen" zunichtemacht, bewiesen wiederum 2010 Forscher der ETH Zürich mit dem Herdentrieb. Sechs verschiedene Fragen mussten Studenten bei einem Experiment beantworten. Sechs Fragen, sechs Zahlen: Die Länge der Grenze zwischen der Schweiz und Italien in Kilometern, die Zahl der Morde in der Schweiz, die Bevölkerungsdichte im Land der Eidgenossen. Alles schon einmal gehört. Das Verblüffende war, dass die ersten Schätzungen, die jeder noch mit sich selbst ausmachen musste, im Mittel immer die richtigeren waren. Je mehr die Gruppe diskutierte und sich eine Meinung bildete, desto mehr wich der Durchschnitt vom richtigen Ergebnis ab. Irgendwie auch unbefriedigend.Seien auch Sie Teil des Schwarms . . .Verhindert unsere (elektronisch) vernetzte Gesellschaft den Blick auf die richtigen Lösungen, weil wir über unsere Probleme zu viel diskutieren? Kommen bei der Meinungsbildung gar immer die Falschen zu Wort, weil wir unsere Meinungsführer nach den falschen Kriterien auswählen? Oder ist gar die Suche nach einem Konsens der falsche Weg zu den richtigen Entscheidungen?
Machen Sie mit, seien Sie Teil des Schwarms und schreiben Sie mir Ihre Meinung. Vielleicht können wir gemeinsam eine Lösung für unsere Mediendemokratie finden. Sie erreichen mich unter thomas.hofbauer@salzburg.com
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Thomas Hofbauer ist Leiter der Online-Redaktion der "Salzburger Nachrichten".
