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Opernball: Ein Operettenball mit Wuchteln und Fettnäpfchen

War Nicholas Ofczarek auf dem "Ball der Bälle"? Oder doch Michael Ostrowski? Nicht immer waren die ORF-Moderatoren in der Wiener Staatsoper sattelfest. Was sich ein Physiknobelpreisträger wünscht und warum "Lugnerella" Jane Fonda ein Gewinn war.

Martin Behr
Launiges Opernballflair: Tarek Leitner mit Hilde Dalik und Michael Ostrowski.
Launiges Opernballflair: Tarek Leitner mit Hilde Dalik und Michael Ostrowski.

Das "Gesicht des Opernballs" (O-Ton: Mirjam Weichselbraun) ist arbeitslos geworden: Alfons Haider, vom ORF heuer als Interviewer in der Staatsoper ausgebootet, stellte sich trotz Gram für ein melancholisches Interview zur Verfügung. "Ich bin furchtbar dankbar, seit 24 Jahren Bestandteil dieser Familie gewesen zu sein. Alles muss einmal aus sein, man bildet sich ein, es ist der falsche Zeitpunkt", sagte der 65-Jährige sichtlich bewegt im Gespräch mit Weichselbraun. Noch ehe sich Tränen ankündigten, gab sich Haider versöhnlich: "Aber ich bin ja nicht verloren." Und wünschte den drei Neuen - also Andi Knoll, Nadja Bernhard und Tarek Leiter - "Toi, toi, toi". Zum Abschied noch innige Küsse und eine ehrliche Antwort auf die Frage, wie es ihm denn jetzt auf einem Opernball ohne Arbeit so gehe: "Ein komisches Gefühl."

Von der Welt der harten Fakten hinein in das lustvolle Leben: Das "Zeit im Bild"-Moderatorenduo Leitner ("Wir haben mit den Wänden geredet") und Bernhard ging voll motiviert in den Abend, sie konnten aber eine gewisse Grundnervosität mit dem für sie ungewohnten ORF-Handmikro nicht verbergen. Improvisationstalent und Schlagfertigkeit sind eben nicht jedermanns Sache und auch die laute Oper ist ein anderes Ambiente als das ruhige und gewohnte "ZiB"-Studio. Mirjam Weichselbraun interviewte indessen Physiknobelpreisträger und Hobbysegler Anton Zeilinger, dem vorschwebt, die Oper mit Wasser zu füllen und darin mit Booten zu fahren. Warum nicht? Für den Wissenschafter, der eine verkleinerte Nobelpreismedaille auf dem Frack trug, ist der Opernball jedenfalls "ein österreichisches Volksfest, fast wie auf dem Land". Ob Zeilinger sich zu späterer Stunde gerne zum Kirtag seiner Heimatstadt Ried gebeamt hätte, ist nicht bekannt.

Mehrfach klimperte es im Phrasenschwein

"Der schönste Ballsaal der Welt". "Der Ball der Bälle". Wie schon in den vergangenen Jahren klimperte es mehrfach im Phrasenschwein. Souverän wie meist in Opernballbelangen agierten Christoph Wagner-Trenkwitz und Karl Hohenlohe ("Superstimmung im Container"). Ihre Mischung aus Selbstironie, Wortwitz und launigem Palaver gehört zum Besten, was der ORF diesbezüglich aufzubieten hat: "Eigentlich sind wir so was wie die Kammerlsprecher", hieß es angesichts des Überangebots an Kammersängerinnen und Kammersängern. Bei Wagner-Trenkwitz und Hohenlohe mag mancher an die beiden nörgelnden Greise auf dem Opernbalkon der Muppet-Show denken. Allein: Die heimischen Wuchtelschleudern sind weitaus jugendlicher und charmanter. Und selbstbewusster: "Ohne uns geht überhaupt nichts", sagten die Ball-Urgesteine. Freilich mit Augenzwinkern.

Die Ankunft des Bundespräsidenten bescherte der First Lady Doris Schmidauer auf der Feststiege ein kleines Stolper-Hoppala, die Lieder zur Balleröffnung (etwa von Robert Stolz) ließen Zweifel aufkommen: Opernball oder doch ein Operettenball?
Operettenhaft launig auch das Interview von Tarek Leitner mit Michael Ostrowski und Hilde Dalik. Als dem "ZiB"-Moderator der Name des wie meist spitzbübischen Schauspielers nicht einfiel, gab ihm der Steirer eine Hilfe: "Ofczarek." Der sein Gegenüber duzende Ostrowski präsentierte sich als Klimaaktivistenunterstützer und bot sich in nur wenigen Minuten Small Talk unfreiwillig als Intervieweralternative für künftige Opernballübertragungen an: cooler Schmähbruder statt smarter Nachrichtensprecher, der sich zu sehr an seine vorbereiteten Fragen klammerte und Esprit vermissen ließ. Apropos Esprit: Stargast Jane Fonda ("Ich bin Cinderella"), von Wagner-Trenkwitz als "Lugnerella" tituliert, erwies sich als Gewinn für - ja doch, den "Ball der Bälle". Nicht abgehoben, kompetent, sympathisch, dezent. Ein Höhepunkt: das Englisch von Nadja Bernhard beim Interview mit dem US-Star.

"Mischung aus Politik, Kunst, Baumeistern und Busenwundern"

"Ich finde ja super: diese Mischung aus Politik, Kunst, Baumeistern und Busenwundern", betonte Oscarpreisträger Stefan Ruzowitzky im Interview. Was er noch vergaß, waren die Wirtschaftstreibenden, Adabeis und die Berichterstatter. Fazit einer Ballnacht, die vom ORF via 19 Kameras in die heimischen Wohnzimmer transferiert wurde: Andi Knoll punktete (ausgenommen das Alexander-Wrabetz-Interview) mit Professionalität und Einfühlungsvermögen, bei den Interviews von Teresa Vogl wechselten sich Licht und Schatten ab. Und Mirjam Weichselbraun? Der Ballroom ist ihr Element, sie ist eloquent und apart, auch wenn sie mal etwas als "schiach" empfindet - die Austern für die Ballgäste. Wie Richard Lugner das sieht, wissen wir nicht - der kam nie zu Wort.

Der ORF zeigt sich mit den Quoten der Opernballübertragung auf ORF 2 zufrieden. "Wiener Opernball 2023 - Die Verwandlung" um 20.15 Uhr verfolgten im Schnitt 1,04 Millionen (Marktanteil: 37 Prozent). "Die Ankunft der Gäste" und deren Einzug um 21.10 Uhr lockten im Schnitt 1,286 Millionen (Marktanteil: 43 Prozent) vor die Bildschirme. "Die Eröffnung" um 21.40 Uhr sahen im Schnitt 1,466 Millionen Personen (Marktanteil: 55 Prozent), "Das Fest" 778.000 Zuschauerinnen und Zuschauer (Marktanteil: 52 Prozent). Insgesamt waren 2,651 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer bzw. 35 Prozent der österreichischen TV-Bevölkerung nach zweijähriger Ballabsenz dabei.