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Ein Vergleich mit Deutschland lohnt sich

In Österreich bedeutet Große Koalition Stillstand. Die Nachbarn schaffen hingegen grundlegende Reformen.

Alles Schlechte über die alte und neue Regierung ist längst gesagt. Die klein gewordene Große Koalition hat ihren medialen Kredit aufgebraucht. Dabei galten SPÖ und ÖVP bis 1970 als Garanten für den gemeinsamen Wiederaufbau. In den Neunzigerjahren räumten Meinungsführer ein, dass die rot-schwarze Schlafwagendynamik nicht schlechter sei als Experimentalregierungen. Was das bläulich-orange Ministerdesaster von 2000 bis 2006 bestätigte. Trotzdem gilt seitdem die Große Koalition als Auslaufmodell.

Ausgerechnet in Deutschland findet eine gegenteilige Entwicklung der öffentlichen Meinung statt. Da erschienen Großkoalitionen nicht einmal populär, als andere Mehrheiten - etwa 1965 als Bündnis der Union mit den Freiheitlichen - kläglich versagten. Sogar sozial-liberale SPD-/FDP-Kooperationen von links und rechts der Mitte waren willkommener als Übereinkünfte von Sozial- und Christdemokraten.

Heute setzen CDU/CSU und SPD mit 504 von 631 Parlamentssitzen parlamentarische Minderheitenrechte außer Kraft. Doch parallel zur SPD-Urabstimmung häuften sich beim Nachbarn freundliche Medienberichte über die größte aller Großen Koalitionen. Warum ist das so anders als bei uns?

Erstens enthält der hiesige Koalitionspakt keine grundlegenden Reformen, was Kanzler Werner Faymann mit der wirtschaftlich und sozial relativ guten Lage ohne dramatischen Veränderungsbedarf argumentiert. Angela Merkel könnte viel mehr die ökonomische Stärke ihres Landes als Erklärung für bloß homöopathische Maßnahmen gegen den Stillstand anführen. Sie will trotzdem mehr gestalten als verwalten.

Zweitens wurden in Merkels Großkoalition zwischen 2005 und 2009 Vorhaben wie eine Senkung der Körperschaftssteuer umgesetzt. Jetzt wird das Rentenalter auf 67 Jahre erhöht. Auf Österreich übertragen hieße das, dass die SPÖ bei ihrer Klientelpolitik für Pensionisten und die ÖVP bei Vermögenssteuern keine Tabus haben sollten.

Drittens gab es in Deutschland 2006 eine Föderalismusreform mit neuen Zuständigkeiten von Bildung über Beamte bis Finanzen. Das beweist, dass in einer Koalition viel gemacht werden kann und auch in den Medien anerkannt wird. Man müsste es nur wollen.