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Geht's uns nur gut, wenn wir jammern und meckern können?

Warum wundern sich die Österreicher über eine erstklassige Platzierung im internationalen Wohlfühlindex?

Viktor Hermann

Wer mit Gästen über den Zustand Österreichs spricht und dabei so manchen Missstand erwähnt, den Zustand der Politik beklagt und so ziemlich alles schlecht findet, der erntet oft erstauntes Kopfschütteln. Amerikaner, Briten, Italiener, Franzosen, aber auch Deutsche wenden dann gern ein, man lebe doch hier in einem Paradies. Die Luft sei sauber, die Landschaft atemberaubend schön, die Seen klar wie Trinkwasser, das Klima zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Großen und Ganzen hervorragend. Es gebe kaum Streiks, die Straßen seien in einem Zustand, den man sich vor allem jenseits des Ärmelkanals und des Atlantiks wünschen würde. "Warum", so fragt mancher Besucher, "jammern hier alle so viel?"

Die jüngste Studie der Boston Consulting Group, die 162 Länder daraufhin abgeklopft hat, wie wohl sich die Bürgerinnen und Bürger dieser Länder fühlen, kommt in Bezug auf Österreich zu einem Ergebnis, das den professionellen Trauerklößen in unserer Alpenrepublik ganz schön die Laune verregnen dürfte: Nur die Norweger, die Schweizer und die Niederländer erfreuen sich größeren Wohlgefühls als die Österreicher. Da geht es jetzt nicht so sehr um Reichtum, obwohl ein gewisser Wohlstand schon zur Zufriedenheit beiträgt, nicht um staatliche Macht im Vergleich zu anderen, nicht um Ruhm und Glanz und Erfolg bei Fußballweltmeisterschaften und europaweiten Gesangswettbewerben. Es geht um Dinge, die das Leben angenehm und sicher machen: Gesundheitsversorgung, öffentlicher Verkehr, effiziente Verwaltung und vieles dergleichen mehr.

Wir Österreicher haben uns daran gewöhnt, dass all das nicht nur vorhanden ist, sondern auch noch einigermaßen reibungslos funktioniert. Und wenn dann die Bahn, der Bus oder die Tram Verspätung haben, neigen wir dazu, den ganzen öffentlichen Verkehr für desaströs zu halten. Ein wenig Wartezeit beim Arzt nimmt man nicht einfach hin, man meckert und jammert. Und wenn der Finanzminister an unseren Einnahmen mitschneiden will, dann verfluchen wir ihn, wiewohl wir all die Dinge, die mit unserem Steuergeld finanziert werden, gern als selbstverständlich hinnehmen.

In der Generation unserer Großeltern gab es den Rat, man solle sich doch einmal in einem Krankenhaus umschauen, wenn man unzufrieden sei mit seinem Leben. Der Anblick von anderer Leute Leid, so hieß es, erinnere einen daran, wie gut es einem doch gehe.

Deshalb hat der Wohlfühlindex der Boston Consulting Group eine recht wichtige Funktion: Er erinnert uns daran, dass wir bei aller berechtigten Forderung an Politik und Verwaltung, sie mögen immer besser und effizienter arbeiten, verglichen mit vielen, vielen anderen Gesellschaften sehr gut leben.