Jahrestage sind Anlässe nachzudenken über große Ereignisse und Entwicklungsbrüche. So gedachten kürzlich viele des Beginns der "Arabellion" - manche mit Begeisterung, manche mit Skepsis, manche mit Sorge. Besonders krass belieben Leute zu urteilen, die sich immer schon als die Retter des Abendlandes gerieren - sei es gegen die Kommunisten oder überhaupt alles, was links ist, sei es gegen Aufmüpfigkeit jeder Art. Leute, die im festen Glauben erzogen sind, dass die Obrigkeit immer Recht hat, solange sie rechts steht und hinreichend autoritär handelt, sehen hinter jedem Busch einen Kommunisten, einen Islamisten, einen Revolutionär oder sonst einen Umstürzler.
Da fallen oft verräterische Worte. Es ist ja schon passiert, dass jemand, der sein Leben lang den Sowjetkommunismus (zumindestens verbal) bekämpft hat, jetzt gar nichts mehr dabei findet, wenn ein vom Sowjetkommunismus in der Kunst der Spionage und Unterdrückung ausgebildeter Wladimir Putin mit sowjetkommunistischen Methoden ein ganzes Land unter der Knute hält.
Andere wiederum sehen in dem von der ägyptischen Revolution abgesetzten und abgeurteilten Hosni Mubarak einen harmlosen Autokraten. Es ist schon richtig: Mubarak hat keinen Krieg vom Zaun gebrochen außer jenem zu Jom Kippur 1973 gegen Israel, an dessen Planung er beteiligt war. Mubarak hat keine Chemiewaffen eingesetzt und die koptischen Christen Ägyptens mussten keine religiöse Verfolgung fürchten.
Andererseits hat Mubarak seine Taschen und die seines Clans mit Milliarden Dollar vollgestopft, die er seinen Untertanen geklaut hat. Unter Mubarak blühte politischer Opposition Haft, Folter und im Extremfall der Tod. Und das nicht nur fallweise: Mubaraks Geheimpolizei inhaftierte, folterte und mordete systematisch.
Wer die Rebellen gegen Unrecht und Diktatur pauschal für das größere Übel hält als die Diktatoren, ob mehr oder weniger "mild", fällt freilich ein schreckliches Urteil über alle Bewegungen, die in den vergangenen Jahrzehnten Unrechtsregime hinweggefegt und zunächst durch chaotische Zustände ersetzt haben.
Der Verdacht liegt nahe, dass solche Argumente vor allem einer Einstellung entspringen, die jegliche Veränderung zunächst einmal für gefährlich hält. Man findet sich lieber mit einem Tyrannen ab, der zwar seine eigenen Untertanen schikaniert, aber im Umgang mit Europa und seiner Wirtschaft zuverlässig für Ordnung und Ruhe sorgt.
So hielt man es ja schon seinerzeit mit den rechten Diktatoren Franco, Pinochet, Videla, Salazar und anderen.