Die aktuellen Vorgänge in der Ukraine zeigen, dass Europa nicht nur eine gemeinsame Außenpolitik fehlt, sondern auch eine gemeinsame Strategie in wichtigen Bereichen wie der Energiepolitik. Ob das Angebot eines Assoziierungsvertrages an die Ukraine, trotz der Warnungen aus Russland, eine kluge Entscheidung war, bleibt abzuwarten. Dass Russland mit der Entsendung von Truppen auf die Krim die Souveränität eines Nachbarlandes missachtet hat, ist ein Faktum. Ebenso klar ist, dass die EU in einem solchen Fall nicht zur Tageordnung übergehen kann.
Wirtschaftssanktionen zu verhängen, ist eine Möglichkeit, doch ist sie realistisch? Wie lange wird die Sanktionsstrategie halten, wenn sich diese erst einmal auf die ohnehin kränkelnde EU-Wirtschaft niederschlägt oder gar die Energieversorgung bedroht. Wirtschaftssanktionen gegen Russland hätten definitiv für beide Seiten negative Folgen. Auch wenn die Handels- und Kapitalverflechtungen zwischen der EU und Russland nicht so intensiv sind, dass Sanktionen die EU-Wirtschaftsentwicklung generell stark beeinträchtigen würden, wären die Belastungen der Mitgliedsstaaten in Ost- und Südosteuropa massiv. Selbst in Finnland oder Deutschland erreicht Russland mit 14 beziehungsweise 4 Prozent ihres Außenhandels eine für die Gesamtwirtschaft bedeutende Größe.
Auch der Finanzsektor käme nicht ungeschoren davon. Europas Banken haben Finanzierungen in Höhe von 156 Mrd. US-Dollar (113 Mrd. Euro) in Russland. Auch österreichische Banken haben beachtliche Risiken in Russland zu gewärtigen, betragen doch ihre Finanzierungen in Russland immerhin etwas mehr als vier Prozent der gesamten österreichischen Wirtschaftsleistung.
Die größten Effekte, sowohl für Russland als auch für einzelne Mitgliedsstaaten, wären allerdings von Sanktionen auf dem Energiesektor zu erwarten. Die EU importiert 130 Mrd. Kubikmeter Gas aus Russland, das geschätzte Exportvolumen für Russland beträgt 70 Mrd. Dollar, immerhin drei Prozent des russischen Bruttoinlandsproduktes.
Andere Absatzmärkte (etwa China), die diese Mengen aufnehmen könnten, gibt es zwar mittelfristig, kurzfristig wäre dies für Russland wegen der Transportlogistik jedoch schwer realisierbar. Andererseits ist die Abhängigkeit vom russischen Gas für die neuen Mitgliedsstaaten (ausgenommen Rumänien), sehr hoch und liegt in der Regel zwischen 60 und 100 Prozent des Bedarfs. Auch Finnland ist zur Gänze von russischem Gas abhängig, Österreich bezieht 56, Deutschland 40 Prozent seines Bedarfs an Gas aus Russland.
Selbst wenn man russische Gaslieferungen durch andere Quellen oder Energiearten substituieren könnte, fehlen mangels einer EU-Energiepolitik die geeigneten Verteilernetze in Europa. Dazu kämen noch erhebliche Mehrkosten für die Ersatzenergie in den betroffenen Ländern. Es redet sich also leicht über Sanktionen, nur die Umsetzung ist schwierig, auch weil die Lasten in der EU nicht gleich verteilt wären. Und es redet sich jenseits des Atlantiks leicht, wo man weder eine gemeinsame Grenze, noch wesentliche Handelsbeziehungen mit Russland hat und erst recht nicht die enorme Energieabhängigkeit. Das weiß auch Wladimir Putin.
Und selbst wenn die EU und der Internationale Währungsfonds der Ukraine großzügigste Wirtschaftshilfe gewähren, ist damit nicht garantiert, dass sich Russland in weiterer Zukunft neben der Krim nicht noch weitere Teile der Ukraine einverleibt.