SN.AT / Kolumne / Hinter den Zahlen / Hinter den Zahlen

Zur Vermeidung der Legendenbildung: Fakten zum Griechendrama

Ein Schuldenschnitt hilft Griechenland nicht. Was das Land braucht, sind weitere Hilfen, Investitionen und weniger Populismus.

Marianne Kager

An der griechischen Tragödie scheiden sich die Geister. Gegenseitige Schuldzuweisungen sind schnell gemacht. Tatsache ist, dass es eine Reihe von Faktoren für das Schlammassel gibt - und damit auch verschiedene Verantwortliche.

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Hilfsprogramme und deren Auflagen: Waren sie zu klein, die Auflagen zu streng, sodass die darauf folgende Depression zwangsläufig war? Der Umfang der Hilfsprogramme war aus damaliger Sicht nicht zu gering, brachte doch allein das zweite eine über die Laufzeit abgezinste Zinsentlastung von 47 Mrd. Euro. Die Auflage, binnen kurzer Zeit einen positiven Budget-Primärsaldo von 2,5 bis 3,5 Prozent zu erzielen, war angesichts des Ausgangsniveaus (minus 10,5 Prozent) unrealistisch. Sparmaßnahmen in diesem Umfang müssen zu einer Beeinträchtigung des Wachstums führen.

Die schwere Rezession und die folgende soziale Katastrophe sind aber auch Folge der ausgeprägten griechischen Klientelpolitik. Ein sozial extrem unausgewogenes Steuersystem (z. B. Steuerfreiheit für Reeder und Kirche) und eine desaströse Steuerverwaltung bewirkten, dass vor allem bei den Ausgaben gespart wurde. Damit gingen Konsum und Investitionen massiv zurück, wurde die Wirtschaft ruiniert.

Wäre ein Schuldenschnitt die bessere Alternative? Einen Schnitt von 105 Mrd. Euro (entspricht 50 Prozent des griechischen Bruttoinlandsprodukts) gab es bereits 2012. Die durchschnittliche Zinsbelastung für die Staatsschuld ist mit derzeit 2,4 Prozent extrem niedrig. Da die tilgungsfreie Periode sehr lang ist, würde ein weiterer Schuldenschnitt von angenommenen 100 Mrd. Euro das Budget unmittelbar kaum entlasten. Ferner ist ein Schuldenschnitt für Kredite und Garantien der EU-Staaten an Griechenland laut EU-Vertrag unmöglich und wäre politisch eine Katastrophe, die Währungsunion würde gänzlich unglaubwürdig. Da ist Deutschland im Recht, griechische Schimpftiraden gegen Angela Merkel und Wolfgang Schäuble sind unnötig und kontraproduktiv.

Der Grexit als Option? Einen Austritt oder Hinauswurf aus der Währungsunion gibt es nicht. Griechenland könnte freiwillig aus der EU austreten und damit automatisch die Zugehörigkeit zur Währungsunion beenden. Damit verlöre es nicht nur einen riesigen Markt, sondern auch jegliche sonstigen Hilfen. Die Rückkehr zur Drachme wäre dann möglich, Abwertung und Staatsbankrott aber gewiss. Griechenland wäre unabsehbar lang von den ausländischen Kapitalmärkten ausgeschlossen, die humanitäre Katastrophe unvorstellbar. Ein Grexit auf Zeit, wie ihn Schäuble vorschlug, ist vertraglich ebenfalls nicht möglich und wäre politisch ein Desaster. Welches Land nähme sich dann als nächstes eine Auszeit?

Was Griechenland benötigt, sind nicht nur weitere Hilfen, sondern grundlegende strukturelle Reformen in Wirtschaft und Verwaltung. Letztgenanntem hat man sich bislang weitgehend verweigert. Ebenso unerlässlich für künftiges Wachstum sind mehr Investitionen zur Modernisierung der Wirtschaft. Hingegen nützen nationalistische Agitation und populistische Schuldzuweisungen von wem auch immer weder Griechenland noch der EU.