Damals, vor 25 Jahren, als die DDR von den politischen Landkarten verschwand und wir alle dachten, dass jetzt die Zeit der völligen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit anbrechen würde, sprach man allerorten in Europa von diesem "neuen europäischen Haus", in dem alle gleichberechtigt und in Freundschaft miteinander leben sollten.
Die Idee war ja durchaus attraktiv. Nur - wo ist sie geblieben?
Ein Europa ohne Grenzen hat man uns versprochen. Doch bekommen haben wir ein Europa, das sich mehr denn je untereinander abgrenzt und mehr denn je die eigenen kleinen nationalen Interessen über die allgemeinen gesamteuropäischen stellt.
Es liegt an den einzelnen Nationalstaaten und ihren Regierungen, dass Nationalismus jetzt, im 21. Jahrhundert, plötzlich wieder mehr als modern zu sein scheint.
Man tarnt es als Nationalstolz und Vaterlandsliebe, spricht von Patriotismus und Bewahrung der alten Werte. Aber in Wirklichkeit meint auch dieser neu erwachende Nationalismus nichts anderes als die Angst vor dem Anderen, dem Fremden, auch dem Neuen.
Wenn - um ein besonders krasses Beispiel zu nennen - Frankreich also rumänische Roma aus dem Land wirft, dann ist das genauso eine Bankrotterklärung dieses gemeinsamen europäischen Hauses wie die Tatsache, dass Österreich syrische Flüchtlinge, die zu ihren Familien nach Deutschland reisen wollen, an der österreichisch-italienischen Grenze abfängt und zurückweist. Die Idee vom gemeinsamen europäischen Haus scheitert auch dort, wo man Menschen nicht erlaubt, sich dort anzusiedeln, wo sie Verwandte haben und sich daher etwas weniger entwurzelt fühlen könnten.
Am gefährlichsten allerdings erscheint zurzeit die Entwicklung in Ungarn, wo man die Worte Demokratie oder Menschenrechte nicht buchstabieren zu können scheint. Ungarische Politiker sprechen ganz ungeniert vom Wunsch nach der Schaffung eines "Großungarns", dem dann selbstverständlich auch Teile der Vojvodina oder Rumäniens anzugehören hätten.
Rumänien und Ungarn gehören zur EU, warum also sollte es den Wunsch nach einem Großungarn innerhalb der Union geben? Weil die Idee vom gemeinsamen europäischen Haus nie weit gediehen ist. Weder in den Köpfen der Menschen noch in den Köpfen der Politiker. Und das befördert jede Art von falsch verstandenem Nationalismus und jede Form von Feindseligkeit gegenüber den Nachbarn. Für Europa keine wirklich guten Entwicklungsaussichten.