SN.AT / Kolumne / Zorn und Zweifel

Der besorgte Blick geht in die falsche Richtung

Europa macht sich Sorgen um Dinge, die man nicht beeinflussen kann, statt sich um reale Gefahren zu kümmern.

Viktor Hermann

Angst ist ein so typisch mit dem deutschen Sprachraum verbundener Begriff, dass es im Englischen gar kein Wort dafür gibt, weshalb Briten und Amerikaner die "Angst" einfach in ihren Wortschatz eingemeindet haben. Ein wesentliches Merkmal der Angst, die hierzulande um sich greift, ist, dass sie sich auf Dinge richtet, die wir nicht ändern können, weil sie weit außerhalb jenes Bereichs geschehen, den wir steuern können.

Vorher hatte man Angst vor dem Brexit und jetzt vor seinen Folgen; man fürchtet, dass der Troll Donald Trump Präsident der USA werden könnte; man regt sich auf über die Regelungswut der Brüsseler Bürokraten, den hin und her schwankenden Goldpreis, über Dürren und Überschwemmungen als Folgen von El Niño, die Erderwärmung und jene, die sie leugnen.

Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, dass man sich in Europa besonders lustvoll der Angst vor Zuwanderung hingibt, vor allem dort, wo gar keine Migranten hinkommen. So zeigt sich in Umfragen und Abstimmungen die größte Fremdenfeindlichkeit dort, wo gar keine Fremden leben.

Diese Angstlust führt dazu, dass man in einer Art Schreckstarre ausschließlich auf jene hört, die Angst machen und Angst nutzen, um ihr eigenes Süppchen zu kochen. Jene, die mit der Furcht vor Fremden den Weg in die Herzen von Wählern suchen und viel zu oft auch finden. Die Nationalisten, die sich rundum in Europa tummeln und vom Austritt aus der Europäischen Union faseln, haben freilich seltsame Verbündete. Da ist kaum einer unter ihnen, in Frankreich, in Deutschland, in Skandinavien und in Österreich, der nicht Sympathien für den russischen Präsidenten Wladimir Putin hätte. Das wirkt ein bisschen seltsam, wäre doch Putins Politik gegenüber seinen Nachbarn tatsächlich Anlass zur Sorge.

Moskau hat das Nachbarland Ukraine überfallen, mit undemokratischen Mitteln ein Referendum auf der Krim durchgeführt und die Halbinsel ganz einfach einkassiert. Moskau unterstützt russische Marodeure im Osten der Ukraine, die dort "befreite Gebiete" als Republiken von Moskaus Gnaden beherrschen und dem ganzen Land den Weg in eine stabile Zukunft verwehren.

Russland hat sich unter Putin wieder zum grimmigen Bären entwickelt, der seine Nachbarschaft drangsaliert - siehe die Ukraine, siehe die Drohungen gegen die baltischen Staaten - und Ansprüche stellt wie eine rücksichtslose Großmacht, zum Beispiel auf die reichen Bodenschätze in der Arktis.

Es stünde den Europäern gut an, sich weniger in Ängsten zu verlieren, als sich mit aggressiven Nachbarn zu beschäftigen - durch Diplomatie, eine kluge Nachbarschaftspolitik und auch, indem man die Entschlossenheit demonstriert, die eigene Freiheit notfalls auch zu verteidigen.