Die letzten US-Soldaten waren längst nach Hause gefahren. Aber dass Amerika im Jahr 1957 dennoch überall in Salzburg gegenwärtig war, zeigt ein Blick auf Bilder und Zeitungsbände der Zeit. In der Stadt versprach ein Konzertplakat den letzten Schrei für Trendbewusste: "Erstmalig in Salzburg: Rock and Roll-Abend!" Reisebüros warben für Urlaub in den USA. Die "Salzburger Nachrichten" berichteten vom Zehn-Jahr-Jubiläum des International Salzburg Seminar auf Schloss Leopoldskron, das US-Studenten 1947 gegründet hatten, um während der Besatzungszeit "der Unkenntnis in Europa über Amerika und amerikanische Verhältnisse entsprechend entgegenzuwirken." Und im SN-Anzeigenteil empfahl ein Inserat "eine wirkliche Erfrischung: Coca-Cola".
Symbole für den Aufschwung
Die koffeinhaltige Limonade war zwar nicht direkt für den Energieschub des Wirtschaftswunders verantwortlich, das in den Fünfzigerjahren zu wirken begann. Schon 1929, im Jahr der Weltwirtschaftskrise, war sie in Österreich abgefüllt worden. Doch in der Zeit der US-Besatzung wurde Coca-Cola zum Symbol für den "American Way of Life", der sich mit dem Aufschwung nun rasant im westlich geprägten Europa ausbreitete.
Ein Lebensstil wird zur ideologischen Botschaft
Die Objekte dieses Lebensstils bekamen im ideologischen Wettstreit zwischen Amerika und Russland schnell auch eine politische Bedeutung. Der Salzburger Historiker Reinhold Wagnleitner hat die Strategien erforscht, mit denen die USA ihre Werte und ihre (Konsum-)Kultur in Europa verankerten, und er hat dafür einen Fachbegriff etabliert: Die "Coca-Colonisation" begleitete den Kalten Krieg. Dass immer mehr Lebensbereiche amerikanisiert wurden, war ganz im Sinn der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Mission der USA. Als Besatzungsmacht im Westen Österreichs hatten sie nach 1945 Zeitungslizenzen erteilt und Radiosender aufgebaut, um die Botschaften der Demokratie nach US-Vorbild zu verbreiten. In den Amerika-Häusern bekamen Österreicherinnen und Österreicher nicht nur den Fortschritt und Wohlstand der Industriemacht USA vor Augen geführt. Mit Schallplatten, Büchern, Filmen und Fotografien, mit Konzerten und Lesungen sollte auch ein Bild von der amerikanischen Kulturnation vermittelt werden. 1957, zwei Jahre nach dem Abzug der US-Truppen, war das Salzburger Amerika-Haus nach wie vor gut besucht.
Auch in Salzburg stand ein "Tempel für amerikanische Kultur"
Ein Jahrzehnt davor hatte ein US-Literaturwissenschafter diese Institution noch verwundert zur Kenntnis genommen. Der Harvard-Professor F. O. Matthiessen, der 1947 als Vortragender am Salzburg Seminar in der Stadt war, notierte: "Ich würde gern wissen, wie die Stadt auf diesen Haupttempel für amerikanische Kultur reagiert, den wir nahe des Domplatzes errichtet haben. Auf seiner Fassade hängt ein bekanntes, rot-weißes Zeichen: COCA-COLA."
Offiziell hießen die Amerika-Häuser "US Information Center". Die Angestellten hätten sie manchmal salopp "propaganda shops" genannt, erzählt Wagnleitner. Warum Amerika die Kultur als geeignetes Mittel sah, um sein Weltbild zu vermitteln? Vielleicht auch, weil es galt das eigene Image aufzupolieren.
Das Image der "Eiskastekultur"
Aus europäischer Sicht seien die USA oft als wirtschaftlich fortschrittliche, aber oberflächliche "Badezimmerzivilisation" und "Eiskastenkultur" belächelt worden, erläutert der Historiker. Als die Salzburger Festspiele nach Kriegsende wieder stattfanden, hätten die Kulturoffiziere der US-Armee (die "Information Service Branch" fungierte als PR-Truppe der US-Armee) deshalb rasch versucht, Werke von US-Komponisten ins Programm zu reklamieren. Doch in der Kultur habe die Mission der USA nicht immer nach Wunsch funktioniert, sagt Wagnleitner.
Mit dem Schraubenzieher gegen Jazz aus dem Radio
Deutlich wird dies auch in einer Anekdote aus den Aufzeichnungen F. O. Matthiessens. Er beschreibt, dass die jungen europäischen Studierenden im Salzburg Seminar neben dem Lernen am liebsten Radio hörten. Doch während der US-Wissenschafter und seine amerikanischen Kollegen sich für E-Musik begeisterten, drehte die europäische Jugend lieber den Jazzsender der US-Armee auf. Die US-Lehrer griffen zu einer Guerilla-Taktik: Einer der Assistenten "hat unser Radio schließlich so ,repariert', dass es danach nicht mehr funktioniert hat". Den Spagat zwischen alter und neuer Kulturwelt kennt Wagnleitner auch aus seiner eigenen Jugend. In den 60er-Jahren begann er in einer Band zu spielen. "Von meiner ersten Gage habe ich mir einen ,Stowasser' (Latein-Wörterbuch, Anm.) gekauft - und eine Levis 501."
Worüber sich Chruschtschow und Eisenhower problemlos einig waren
Coca-Cola und Jeans transportierten die Botschaften von Freiheit und Wohlstand mit Leichtigkeit bis hinter den Eisernen Vorhang. Jazz hingegen wurde bald zu einem Sonderfall: Von den US-Eliten wurde er als Teil der Kultur der Schwarzen oft von oben herab betrachtet. Aber bei Europas Intellektuellen stand Jazz hoch im Kurs. Deshalb wurden Louis Armstrong und Dizzy Gillespie in offizieller Mission auf Welttourneen geschickt.
Die Rock-'n'-Roll-Revolution hingegen passte gar nicht ins offizielle Bild, das Amerika der Welt vermitteln wollte. Ideologisch, sagt Wagnleitner, "war die Ablehnung des Rock 'n' Roll vielleicht sogar das Einzige, worüber sich Eisenhower und Chruschtschow problemlos einig waren". Dass Rockmusik dennoch zum Symbol wurde wie Coca-Cola, Jeans und Hollywood, sei "ein schönes Missverständnis in der Kulturmission der USA".
Meilensteine
1. Jänner: In Österreich beginnt der regelmäßige TV-Betrieb, sechs Tage pro Woche, jeweils ab 20 Uhr.
4. Jänner: Bundespräsident Theodor Körner stirbt. Am 5. Mai wird Adolf Schärf zu seinem Nachfolger gewählt.
19. Februar: In Wien wird Johann Hölzel geboren. Als Falco wird er weltberühmt.
4. April: Gründung der Austrian Airlines.
30. Juni: Die Zwölferhornbahn in St. Gilgen wird eröffnet.
30. September: Die Salzkammergut-Lokalbahn zwischen Salzburg und Bad Ischl stellt den Betrieb ein.
5. Oktober: Russland bringt den ersten Sputnik-Satelliten in die Erdumlaufbahn.
16. Oktober: Ralph Benatzky, der Komponist des Singspiels "Im Weißen Rößl", stirbt 73-jährig in Zürich.