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FAQ Bregenzerwald eins: Die Tiefe des Landes im kalten, klaren Wasser

Bernhard Flieher erkundet ein paar Tage lang das Festival FAQ Bregenzerwald. Alles spielt in Dörfern und mit Tradition, und blickt doch weit in die Welt hinaus. Es gibt Tage, da passiert das in der Kälte und mit Angst.

Keine Angst vor kaltem, klaren Wasser
Keine Angst vor kaltem, klaren Wasser

"Die stärkste Emotion schlägt durch", sagt Martin Steurer. Wie ist es dann aber, wenn man eigentlich auf dem Weg zu einem geliebten Menschen ist, aber dafür Fliegen muss und einen Flugangst lähmt? Muss dann die Liebe nicht die stärkste Emotion sein und die Angst besiegen? Viel Zeit bleibt nicht, um über dieses Gedankenspiel von Steurer nachzudenken. Es geht in die nächste Atemrunde.

Rund 20 Personen atmen. Das Atmen werden sie brauchen, wenn die Kälte kommt. "Atmen wärmt", sagt Steurer. Ihn hat es einmal so gewärmt, dass er aus einer Lawine unbeschadet ausgegraben wurde.

Während man immer wieder ein paar Dutzend Mal so tief einatmet, dass der Kopf zu schmerzen beginnt, schaut man auf drei Bottiche. Sie stehen vor dem Clubheim des Fischereivereins Bregenzerwald. 40 Euro kostet ein solcher Bottich im nächsten Baumarkt, verkauft als Regentonne. Aber der Regen, der fällt, ist zu warm. Also rinnt aus einem Schlauch eiskaltes Wasser in die Bottiche. Und damit es richtig kalt wird, zerhaut Martin Steurer noch ein paar Eisblöcke. Vorher aber geht es ums Atmen, ums richtige Atmen, jenes, bei dem einatmend der Bauch wächst. Nicht das flache Atmen, das wir sonst meist pflegen. Es geht um ein Atmen, das einen gesund bleiben lässt, wie Steurer das sagt. Und es ist ein Atmen für den Schritt in die Kälte. Denn es geht auch um die Kraft, die in der Kälte liegen soll. Darauf schwört Steurer. Seit Jahren hat er das erprobt. Davon erzählt er bei einem Workshop beim Festival FAQ Bregenzerwald.

Bei FAQ kann, wer will, auch nur zuhören. Dann hört man - heuer zum siebenten Mal - an außergewöhnlichen Orte Musik. Oder man hört prominent besetzte Talks, bei denen auch auf die Kulinarik geschaut wird. Das Spektrum der Themen ist weit, reicht heuer von Kriegsgeschichten bis zur Frage, wie Rap und Mode die Welt gestalten. Intellektueller Weitblick trifft auf die bodenständige, selbstbewusste gelebte Tradition der Region. Das alles findet in Dörfern statt - oder, wie im Fischer-Clubheim, sogar noch an deren Peripherie. Die Inhalte des Festivals jedoch entsprechen keineswegs dörflicher Engstirnigkeit. Weltoffen widmen sie sich der Gegenwart und ihren Problemen, die in Dorf und Land bisweilen die gleich sind.

Ein paar Stunden nach den Atemübungen wird die junge deutsche Sängerin Becky Sikasa allein am Klavier sitzen. Auf der Gschwendtobelbrücke tritt sie auf, erbaut vor fast 200 Jahren von Alois Negrelli, der vor allem für seine Mitarbeit am Suez-Kanal berühmt ist. "Ein Meisterwerk der Zimmermannskunst", steht im Programm über diese Brücke. Vor allem die Holzbaukunst gehört - jedenfalls, für einen der hier zureist -, zu den augenscheinlichen Besonderheiten dieser Region. Dementsprechend streift man dort, wo FAQ für seine Veranstaltungen Quartier nimmt, auch architektonischen Fortschritt, der sich hier aber nicht aufdrängt, sondern einfach dazugehört.

Um zur Gschwendtobelbrücke zu gelangen, muss das Publikum eine gute halbe Stunde wandern, dafür gibt es dann auch ein Essen. Eine Spaziergang in die Tiefe ist das.
"Es geht bei dem Festvial auch um das Sinnliche, um die Emotion des Erlebens", sagt Martin Fetz, einer der FAQ-Organisatoren. Es fällt hier kein Festival vom Himmel, sondern schöpft aus der Tiefe dessen, was schon da ist. Es wird nichts hingepflanzt, sondern wächst aus den vorhandenen Wurzeln.

Die Melancholie in den Songs von Becky Sikasa, die mitten auf der Brücke über der Subersach sitzt, passt gut zum gleichmäßigen Rauschen des Baches und zur Dämmerung, die in dem engen Tal um die Brücke in den Wald zieht. "Fear of Life" heißt der schönste Songs des Abends. Sikasa formuliert ihre Angst davor, Fehler zu machen. Sie ist jung. Sie singt von der Schwierigkeit, einen Weg durch die Komplexität der Welt zu finden. Die Liebe, meint sie, könne helfen. Warum nicht?

"Warum nicht?" lautet auch das Motto der heurigen Festivalausgabe. Unter so einem Motto ist viel möglich. Auch die Annäherung an ein sonst eher vermiedene Kälte. Also steigt man nach den Atemübungen hinein in einen der Bottiche. Warum auch nicht? Warum nicht jede Angst wegatmen? Ist doch bloß eiskaltes Wasser.

"Ausatmen", sagt Steurer und noch ein paar Mal: "Ausatmen, ausatmen". Und er wird immer langsamer beim Sprechen und dann sitzt man zwischen Eisbrocken in dem Bottich. Ausatmen. Einatmen. Nicht denken. Nur atmen. Sitzen bleiben. Es prickelt. Und man gewöhnt sich daran. In jedem Fall geht hängt viel am richtigen Luftholen. Und es geht darum, die kleinen Probleme nicht zu vernachlässigen, sondern weit hinauszuschauen und sie mit der Welt zu vermessen. Jetzt in diesem Bottich voller saukaltem Wasser. Und überhaupt.

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