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FAQ Bregenzerwald zwei: In den Wolken und darunter

Bernhard Flieher erkundet ein paar Tage lang das Festival FAQ Bregenzerwald. Eine nächtliche Seilbahnfahrt bringt einen auf die Spur der Schönheit und der Problematik des Festivals.

Der Mond, der sich im Gegensatz zur Welt nicht um sich selber dreht.
Der Mond, der sich im Gegensatz zur Welt nicht um sich selber dreht.

Sängerin Anna Mabo bekennt, dass sie dauernd "Am Werden" sei. Ist ja nie etwas fertig. Immer in Bewegung. Die Bewegung gehört zum Festival FAQ Bregenzerwald. Es findet an 17 Orten statt. Was stattfindet, ist so getimt, dass man mit dem bestens ausgebauten Landbus-System der Region leicht zwischen den Veranstaltungen hin- und herkommt und spät nachts auch aus der Festival-Homebase Jöslar noch heimkommt.

"Forum mit Festivalcharakter und kulinarischem Anspruch", lautet die FAQ-Eigendefinition. Es werden keine Instantlösungen angeboten, sondern Ideen. Alles immer im Werden. Hauptsache man bleibt im oder kommt ins Gespräch. Etwa spätnachts im Jöslar mit Bürgermeistern oder einem Schriftsteller und einer Kulturmanagerin. Geht schnell im Jöslar in Andelsbuch.

Und es kann ja immer etwas sein. Schnell passiert das. Ein bisschen Sonne und dann schon wieder Regen zum Beispiel. Das ist bei einer Open-Air-Veranstaltung schlecht. Und noch schlechter ist es, wenn diese Veranstaltung auf 1620 Meter Seehöhe stattfindet. Da kann es nämlich flott zum Schlottern kalt werden zwischen Wolkenfetzen, die das Tal, und also die Welt aus der alle heraufgekommen sind, verschwinden lassen. Der Regenbogen, der dann hinter der Bergstation Baumgarten über Bezau auftaucht, ist schön. Wärmen tut er bestenfalls das Gemüt.

Anna Mabo spielt auf der Terrasse des Restaurants der Bergstation Baumgarten. Auf dieser Bergstation wird das Festival FAQ Bregenzerwald traditionellerweise eröffnet (obwohl es schon seit zwei Tage läuft, aber das machen die Salzburger Festspiele ja auch, die sagen auch mittendrinn offiziell: "Jetzt geht's los").

Anna Mabo spielt dann im Regen unter einem Schirm weiter. Und sie sagt, dass sie sich immer schon frage, wozu denn eigentlich das "Q" da sei in "FAQ". Weil: "F für Fragen, A für Antworten. Aber das Q?" Das bringt Lacher. So wie es Lacher bringt, wenn sie sagt, stets davon geträumt zu haben, in einer Skihütte aufzutreten. Die junge, urbane Songwriterin mit hintersinnigem Witz im Bergstation-Germknödel-Selbstbedienungsparadies, das ist eine Schnittmenge ganz im Sinn von FAQ.

Es gibt also Musik, und eine Eröffnungsrede von Christian Seiler, der unter anderem vom Resonanzraum spricht, denn so ein Festival bilden kann, und es gibt eine Talkrunde, in der viele von der Sprachlosigkeit in Zeiten der festgefahrenen Meinungen und der Hassposting, der Ausgrenzung und der gesellschaftlichen Spaltung geredet wird. Und davon, dass jeder was tun kann, um etwas dagegen und also die Welt ein bisschen besser zu machen. Die, die reden, und die, die zuhören, sind einer Meinung. Das ist gut, denn es wird von Anstand geredet und von Pluralität und Diversität und Humanismus. Das ist schlecht, denn freilich sitzt da niemand, den man von demokratischen Grundwerten überzeugen müsste. Die kaufen keine Karte für ein "Forum mit Festivalcharakter", die bleiben daheim in ihrem Tal.

Man sieht hier oben auf der Bergstation auf einer Seite, dem Westen zu, weit in eine flache Welt hinaus. Auf der anderen Seite verstellen zunächst sanfte, dann, schroffe Berge den Blick. Das taugt als spektakulärer Eröffungsort für ein Festival, dass weit hinausschauen will auf die Probleme der Welt und diese Probleme mit der Region verknüpft.

Der Bregenzerwald ist topografisch ein gut abgrenztes Biotop. Im Bregenzerwald begegnet einem Eigensinn, aber wenig kaum Eingenähtes. Es gibt viele Ein- und Ausgänge aus dem Wald. Dieses Tal ist kein Einbahnstraßen-Tal. Es sind 23 Dörfer, die sich in ihrer Gesamtheit anfühlen wie eine urbane Konglomeration, die aber an keiner Ecke so aussehen.

"Gesellschaftsforum" nennt sich das FAQ Bregenzerwald. Das Grundgrummel einer Welt im Umbruch wird am Eröffnungabend zum Thema - und auch, dass davon die schönste Berglandschaft nicht verschont bleibt. Idylle gibt es nicht und nirgendwo. Und dieses Grundgrummeln aus Unsicherheit und Ungewissheit, das die Welt spaltet, schwingt bei der Eröffnung mit in all den Fragen nach der Aushöhlung der Demokratie, nach den Beben des Kriegs in der Ukraine, Klimakrise, der Müdigkeit nach Corona, der verlorenen Diskussionskultur.

"Es gehe darum, dieser Welt etwas entgegenzusetzen", sagt FAQ-Mitorganisatorin Aurelia Batlogg-Windhager bei der Eröffnung. "Diese Welt" ist eine Welt der bequemen Verdummung. "Diese Welt" ist eine Welt, in der Diskurs im Beharren auf Meinungen erstickt. "Diese Welt" ist eine Welt ohne Zwischentöne. FAQ Bregenzerwald lebt und kreiert Zwischentöne. Man sei sich, sagt Batlogg-Windhager, freilich bewusst, dass es allein schon ein Privileg sei hier zu sein, dass man überhaupt die Gelegenheit zu haben, nachzudenken, Meinungen auszutauschen. In zivilisierten Gesprächen. Mit Zuhören und Gegenrede. "Es kommt einem ja so vor, als existiert nur mehr ein Entweder-Oder", sagt die ZDF-Journalistin Dunja Hayali in der Eröffnungstalkrunde. Und dann ist viel von der Abgestumpfheit der Gesellschaft die Rede, von einem Verstummen der Mitte, vom Geplärr der Ränder. In so einem Umfeld hätten es "Rattenfänger" mit populistischen Ansagen freilich immer leichter.

Umso mehr hoffe Batlogg-Winderhager, dass, was bei FAQ geredet und gefühlt wird, hinausgetragen wird. Daran möchte sie die Qualität des Festivals gemessen haben, und nicht daran, dass man "etwas schön gemacht habe".

Schön, weil außergewöhnlich, ist dann das nächtliche Hinunterfahren mit der Seilbahn, das Hineinfahren in ein stockschwarzes Nichts, das Zurückfahren in die Nacht. Ein paar Minuten hängt dann das Leben an einem Stahlseil. Es wird nicht viel geredet in der vollen Gondel. Rundherum nichts als Dunkelheit, die Auslöschung der Welt wie man sie zu kennen behauptet, wie sie auf Postkarten und in Prospekten als Idylle verkauft wird. Unten tauchen dann die Lichter der Welt auf, die in diesem Fall die Marktgemeinde Bezau ist. Klein. Überschaubar. Aus der Seilbahnferne flimmern die Lichter flimmernd, rühren sich, sind in Bewegung. "Immer werden, niemals sein", hat Mediziner Siegfried Meryn ein paar Minuten zuvor beim Eröffnungstalk seine Haltung zum Leben formuliert. Keine Gewissheiten. Mehr Fragen als Antworten. Da kann einem noch einmal in den Sinn kommen, was Anna Mabo in "Am Werden" gesungen hat: "Ich weiß, dass sich die Erde um sich selber dreht und der Mond, der tut das nicht." Von der Seilbahn aus sieht man den Mond. Er steht an diesem Abend als rote Sichel über der Erde.

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