Um das Phänomen Kulturskandal zu studieren, gäbe es derzeit kaum spannendere Lektüre als den Linzer Kontrollamtsbericht über Brucknerhaus und Brucknerfest. Doch über die 104 Seiten ist "besondere Vertraulichkeit" verhängt. Doch der Bericht schlüsselt auf, was für eines der größten Konzerthäuser Österreichs die Alarmglocken schrillen lässt. Etwa: Die Auslastung schrumpft und schrumpft. Fürs Brucknerfest seien 2015 nur mehr 42 Prozent der Plätze verkauft worden. Auch für Eigenveranstaltungen des Brucknerhauses ist die Auslastung im Sinken - von 61 Prozent 2014 auf 57 Prozent im Vorjahr, und für zwei Drittel der verkauften Karten waren die Preise ermäßigt. Zudem war jede sechste Karte verschenkt!
In Linz wurde zwar mit einem neuen Musiktheater das Angebot an Klassik erweitert. Doch das allein ist nicht der Grund für das Desaster im Brucknerhaus. Dort tauchen laut Kontrollamtsbericht viele Ingredienzien bisheriger Kulturskandale auf.
Da ist etwa ein Mangel in Kontrollierbarkeit der betrieblichen Tätigkeit der Linzer Veranstaltungsgesellschaft LIVA, zu der das Brucknerhaus gehört. Die EDV sei nicht zeitgemäß, Betriebsabläufe seien nicht ausreichend dokumentiert, berichtet das Kontrollamt. Einige Verträge hätten unleserliche Namen, kein Datum oder keine Unterschriften. Und der Aufsichtsrat ist mit 23 Mitgliedern so gemütlich groß, dass jeder denken kann: 44 andere Augen werden schon hinschauen.
In der Vorwoche, seit Details aus dem Bericht kursieren, haben der Bürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Luger (SPÖ) und die LIVA bereits beteuert, dass mit einem neuen Kaufmännischen Direktor schon seit Herbst reformiert werde - etwa Interne Kontrolle, Zeiterfassung oder Vertragsmanagement.
Empörend bleibt, was das Kontrollamt ausbreitet: Nebentätigkeiten samt Dienstreisen des Künstlerischen Geschäftsführers Hans-Joachim Frey. Er ist zum Beispiel Berater des Bolshoi-Theaters und reist dafür immer wieder nach Moskau - laut Stichprobenprüfung während der Dienstzeit und bezahlt von den Russen. Er ist Organisator des Opernballs in Dresden, Organisator eines Gesangswettbewerbs (wofür er eine Mitarbeiterin des Brucknerhauses beschäftigt hat), er hat in Minsk, Sofia, Wladiwostok und Ulan-Ude Opern inszeniert.
Hans-Joachim Frey versichert, er mache Russen-Beratung, Ball, Gesangsjury, Lehrauftrag in Südkorea sowie alle Inszenierungen mit Wissen seines Dienstgebers oder im Urlaub. Tatsächlich: Vieles ist ihm per Dienstvertrag oder Aufsichtsrat genehmigt! Dazu stellt das Kontrollamt warnend fest: "Das Brucknerhaus befindet sich derzeit in einer äußerst schwierigen Situation (. . .) und verlangt die gesamte Aufmerksamkeit des Künstlerischen Geschäftsführers für ein gesichertes Weiterbestehen."
Auf Einwände der Prüfer erwidert Frey laut Bericht: Dass er das "weltberühmte Bolshoi-Theater" berate und sich um den "berühmten Semper Opernball" bemühe, bedeute "für das Brucknerhaus eine enorme Imagewerbung in den internationalen Kulturfachkreisen".
Was aber nützt ein Image in Moskau, Südkorea oder Dresden, wenn für ein Renommierkonzert mit den Wiener Philharmonikern in Linz am 21. September 2015 nur 54 Prozent der Karten verkauft und 24 Prozent verschenkt waren, wenn ein Linzer Konzert mit "russischen Opernstars" nur zu 23 Prozent, eines von Thomas Hampson zu 40 Prozent ausgelastet waren?
Apart ist zudem die Verquickung mit dem von Hans-Joachim Frey gegründeten "Internationalen Kultur- und Wirtschaftsforum Linz" (IKWL), auf dessen Fotos - zu finden auf der Webseite des Brucknerhauses - Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl lacht. Laut Kontrollamt geht das so: Herr Frey als Vereinspräsident spendet dem Brucknerhaus ein paar Tausend Euro pro Jahr und Herr Frey als Künstlerischer Leiter des Brucknerhauses gibt dem Verein dafür Freikarten im Wert von über 40.000 Euro pro Jahr. Beispiel Konzert des Cleveland Orchestra: Laut Prüfbericht zahlte das IKWL dafür 6000 Euro und bekam Karten im Wert von 14.000 bis 17.000 Euro. In-sich-Geschäft? Nein, erwidert die Geschäftsführung, hier gehe es um "Customer Relationship zwischen Brucknerhaus und Wirtschaft, den Meinungsführern".
Da der Bürgermeister in der Vorwoche bekräftigt hat, das sei fast alles zulässig, dürfte das Schlimmste sein, was dem Künstlerischen Leiter blüht: bis Ende 2017 seinen Vertrag voll bezahlt abdienen, samt Dienstreisen. Ja, er soll sich jetzt sogar um eine radikale Neuausrichtung des Brucknerfests ab 2018 kümmern! Warum soll ihm gelingen, was er seit Amtsantritt nicht vermag? Und wenn er 2018 schon vorbereitet, ist da eine Vertragsverlängerung angedacht? Die Linzer werden's hoffentlich wissen.