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Pfingstfestspiele: Menschen töten im Namen Gottes

Cecilia Bartoli erzählt vor ihren vierten Salzburger Pfingstfestspielen von den Herausforderungen einer Rolle, wie sie sie noch nie gesungen hat.

Pfingstfestspiele: Menschen töten im Namen Gottes
Pfingstfestspiele: Menschen töten im Namen Gottes

Wer Cecilia Bartoli in ihrer unbändigen Neugier auf Neues in vielen Jahren erlebt hat, weiß: Das ist eine Sängerin, die sich mit Haut und Haaren dem Abenteuer verschreibt. Ob als Händels Giulio Cesare oder - lang erprobt und doch überraschend neu - als Rossini-Aschenbrödel oder, in einer existenziellen Grenzerfahrung, als Bellinis Norma: Seit "La Bartoli" die künstlerischen Geschicke der Salzburger Pfingstfestspiele bestimmt, ist jedes Jahr mit außergewöhnlichen Erfahrungen zu rechnen.

In diesem Jahr singt Cecilia Bartoli ihre erste französische Tragödinnenrolle, Glucks "Iphigénie en Tauride". Premiere ist am Freitag, und die Folgeaufführungen auch im Sommer garantieren fortgesetzte Dramatik pur.

"Wir müssen alles daransetzen, dass Gluck mehr ins Zentrum des musikdramatischen Interesses kommt", sagt die Sängerin mit Nachdruck. "Er sollte nicht weiter im Schatten der bekannten Klassiker stehen." Vielleicht ist ja seine Heimatlosigkeit ein Grund dafür, dass man ihn nicht richtig zuordnen kann. "Gluck ist weder Italiener noch Deutscher, weder Österreicher noch Tscheche." Und er hat ein vielgestaltiges, durchaus auch heterogenes Werk hinterlassen, möchte man hinzufügen. Italienisches auf Basis des Textdichters Pietro Metastasio hat Cecilia Bartoli schon gesungen, aber noch keine "Reformoper", mit der Gluck die zeitgenössische Ästhetik revolutioniert hat - hin zu einem schnörkellos zielgerichteten Musikdrama."Iphigénie en Tauride" als Paradebeispiel
Dafür ist "Iphigénie en Tauride", 1779 an der Pariser Oper uraufgeführt, das exzellente Beispiel. Wer ist diese Frau, die da unter der gnadenlosen Herrschaft des Königs Thoas als Oberpriesterin der Diana Menschen im Namen Gottes opfern muss? Sie ist selbst Opfer, wurde vor 15 Jahren ("15 Jahre des Elends", wie sie singt) nach Tauris entführt, da ihr Vater Agamemnon sie selbst opfern wollte. Nun lebt sie in ihrer Priesterinnenrolle auch "wie eine Gefangene". Ihr Leben, sagt Cecilia Bartoli, ist eigentlich zerstört, sie will nicht mehr. Und muss doch ein neues Opfer an Fremden vollziehen, um den Fluch der Götter, den Thoas fürchtet, abzuwenden.

Es sind zwei zum Tode verurteilte Schiffbrüchige, Pylade und Oreste, Iphigénies Bruder, den sie aber nicht erkennt. Die Priesterin entscheidet gegen den Willen des Königs, einen der Gefangenen zu retten, damit er in ihrer Heimat, Griechenland, von ihrem Schicksal berichte. Gehorsamsverweigerung und Gewissensqualen bestimmen das Auf und Ab der Tragödie bis zum finalen Gemetzel, das nur durch ein Machtwort der Göttin Diana befriedet werden kann.

"Es ist ein dunkles Stück, ein Stück ohne Hoffnung, an dessen Ende ganz kurz ein Schein von Freiheit aufkommt", sagt Cecilia Bartoli. "Aber dann endet die Musik. Und es bleibt eigentlich kein Augenblick des Durch- oder Aufatmens."

Die (musikalische) Herausforderung ist Glucks Stil der Deklamation. "Das ist die Hauptarbeit mit den Regisseuren Moshe Leiser und Patrice Caurier", erzählt die Sängerin. "Gluck erlaubt in diesem Werk keine Freiheiten in dem Sinn, dass man Raum für Kadenzen oder Koloraturen hätte. In allem schreibt er genau nieder, was er ausdrücken will. Er gibt jeder Note ihr eigenes Gewicht im Sinne des Dramas."Die zwingende Verbindung von Text und Musik
Es sei die zwingende Verbindung von Text und Musik, die man vermitteln müsse. Wie drückt man aus, was die Worte sagen, wie transportiert sich mit ihnen und durch sie die Energie der Musik? Das müsse man als Interpret so tiefgründig und mit Intensität erfüllen wie tief und emotional Gluck es komponiert habe - eine Herausforderung wie noch in keiner Rolle, die sie bisher gesungen habe, sagt Bartoli.

Die sängerische wie die orchestrale Ausführung müsse der klassizistisch puren Haltung der Komposition entsprechen. Früher habe man, erklärt Bartoli, Gluck romantisch aufgeführt. Das hat nicht gezeigt, wie avanciert, ja nachgerade avantgardistisch diese Theatermusik im Übergang zwischen Barock und Klassik ist. "Gluck nimmt volles Risiko", sagt die Sängerin. Und er lässt keine Ablenkung zu. So wollen die Regisseure, Sänger, das Orchester "I Barocchisti" und der Dirigent Diego Fasolis die Geschichte dieser "Gefangenschaften" auch erzählen - nicht abstrakt oder statuarisch, sondern unmittelbar, direkt, in aller Leidenschaft. "Wir sind total nackt", sagt Cecilia Bartoli.

Deswegen dann als konzertanter Kontrast im Programmreigen des Pfingstwochenendes (mit Konzerten, dem "Sommernachtstraum" als Ballett von John Neumeier und als Spiel des Salzburger Marionettentheaters und Goethes "Iphigenie", die nur sechs Wochen vor Glucks Oper in Weimar uraufgeführt wurde, als Lesung) Händels "Semele"? Jetzt lacht Cecilia Bartoli in heller Freude. "Ja, ein totaler Kontrast. Das brauchen wir auch - diese naive Frau, die sich nichts sehnlicher wünscht, als unsterblich zu werden. Wir zeigen bei diesen Festspielen Götter in mythologisch-tragischer Art, aber auch mit Witz und Humor." Und dann? Das wird erst am Wochenende verraten. Nur so viel: "Wir machen im nächsten Jahr einen großen Schritt weiter."

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