Beim dritten Anlauf hat es geklappt, das heißt: auch nicht ganz. Im Auftrag der Oper Dortmund hat der österreichische Komponist Bernhard Lang, der durch Jazz, Rock, Techno, Rap, Improvisation, Elektronik und Computermusik vielseitig geprägt ist, sein neuestes Musiktheater-Opus aus der Taufe heben können. "Der Hetzer" setzt sowohl Langs langjährig geübte Technik der Überschreibung bestehender Werke der Musikgeschichte als auch sein durch Patterns und Loops geprägtes "Theater der Wiederholungen" konsequent fort. Seine "Parsifal"-Paraphrase "ParZeFool" für Jonathan Meese erregte 2017 ebenso große Aufmerksamkeit wie seine augenzwinkernd-pfiffige Mozart-Hommage von 2006, "I Hate Mozart" mit einem Libretto von Michael Sturminger. Für Dortmund diente nun Verdis "Otello" als Inspiration: ein politischer Stoff par excellence.
Pandemiebedingt musste die Premiere zwei Mal verschoben werden und auch jetzt war sie nur mit einer gravierenden Neuorganisation zu realisieren. Das groß besetzte Orchester und der Chor wurden, da strikte Abstandsregeln gelten, in einem komplexen Verfahren vorher aufgezeichnet, dann am Mischpult gleichsam Stimme für Stimme wieder zusammenmontiert und als Playback den live singenden Solisten quasi untergeschoben. Der allein im Orchestergraben waltende Dirigent Philipp Armbruster wurde so mehr zum Koordinator aller Klangquellen, der Sound wirkte bei aller Professionalität der Herstellung und der Suggestion von Raumklang-Lebendigkeit letztendlich trotzdem artifiziell. Aber das sind wohl Abhängigkeiten, an die man sich als "konservativer" Opernhörer nicht gewöhnen will. Und wie es live geklungen hätte, kann man allenfalls erahnen. Auf jeden Fall wohl anders.
Otello ist ein geretteter Flüchtling
Die Story selbst, von Regisseurin Kai Anne Schuhmacher und ihrem Ausstatter- und Videoteam aufwendig und bildmächtig, dabei mit wenigen zeichenhaften Versatzstücken klar illustriert, folgt Verdis dramaturgischer Anordnung und verweist auch auf das zugrunde liegende "Original" von Shakespeare. Akzentverschiebungen sorgen dennoch für eine neue Gewichtung.
Joe Coltello (also Otello) ist ein aus einem Seesturm geretteter farbiger Flüchtling. In Gestalt und majestätischer Baritonstimme ist er bei Mandla Mndebele eine authentische Figur. Er avanciert zum Hauptkommissar, ist mit der schönen Desirée verheiratet und zieht Neid und Rache auf sich. Vor allem sein sich übergangen fühlender Polizistenkollege Jack Natas (Jago), dessen Namensanagramm "Satan" ergibt, schürt Missgunst und Eifersucht. Er wird zum intriganten fremdenfeindlichen Hetzer, was durch die Stimmlage der Rolle noch einmal übersteigert wird. David DQ Lee ist ein wendig mephistophelischer Counter von bestechender Ausdrucksintensität. Dass er statt seines Verdischen Credo eine Nummer singt, die auf Purcell Bezug nimmt, die klirrend dissonante "Kälte"-Arie aus "King Arthur", die wiederum durch den "Cold Song" von Klaus Nomi popkulturell populär geworden ist, passt übrigens perfekt zu Bernhard Langs Überschreibungstechnik. Zudem stammt der hier zugrunde gelegte Text (vom "Winter unseres Missvergnügens") aus Shakespeares "Richard III.": eine zusätzliche Schicht an Übermalung, ebenso wie die Sprachen, die sich über das gesamte Stück mischen: Deutsch, Italienisch (wo man die Verdi-Textur am deutlichsten und unverstelltesten durchhört), Englisch.
Politische Aussagen werden zugespitzt
Die entschiedene Abweichung vom Opernoriginal geschieht am Ende. Otello/Coltello (so heißt im Italienischen übrigens das Messer) bringt nicht Desdemona/Desirée um, sondern begeht Selbstmord. Er sieht seine Situation als ausweglos. Die politischen Aussagen über Ausgrenzung, Verfolgung, Manipulation, Verhetzung als Movens für die Neubewertung des Stoffs und den Impuls für Bernhard Langs Oper werden dadurch ein letztes Mal zugespitzt. Und sie erhalten aktuelle, direkte Nahrung durch offene Einschübe zwischen den Akten, von denen der Komponist sich wünscht, dass sie von Aufführungsort zu Aufführungsort aus der jeweils lokalen Szene heraus neu geschrieben werden.
Politischer Rap in Dortmund
In Dortmund wählte man die Form des politischen Rap. Er passt in seiner rhythmisch-melodischen Struktur übrigens hervorragend zu Bernhard Langs treibenden Loops, auch wenn diese im Verlauf von hundert Opernminuten auf Dauer etwas eintönig ermüden mögen. In einer Schreibwerkstatt mit Jugendlichen einer soziokulturellen Plattform entstanden aktuelle Texte zu den zentralen Themen der Oper, die von zwei Rappern in die Aufführung eingebracht werden: ein Brückenschlag, der wohl ohne Pandemie direkter funktioniert hätte als das in der schütter belegten Premiere zu erleben war. Gleichwohl sind umfangreiche stadtgesellschaftliche Initiativen ein Kern der Dortmunder Opernarbeit und weit mehr als nur herkömmliche Kinder- und Jugendaktivitäten. Der Oper den Nimbus des Elitären zu nehmen und ihre Gegenwärtigkeit in vielen Gesellschafts- und Bürgerschaftsschichten aktiv begreifbar zu machen: Das ist ein beispielhaft ehrgeiziges Programm.
Oper: "Der Hetzer", Theater Dortmund.