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Gesundheit als Menschenrecht: Wie fair ist der Zugang zur Versorgung?

Körperliches und seelisches Wohlergehen ist mehr als nur persönliche Verantwortung - die ausschlaggebenden Faktoren sind vielfältig. Doch: Wie gerecht ist Gesundheit?

Gesundheit: körperliches, geistiges und soziales Wohlergehen.
Gesundheit: körperliches, geistiges und soziales Wohlergehen.

Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen", besagt die Verfassung der Weltgesundheitsorganisation. Jeder Mensch hat das Recht auf einen Lebensstandard, der Gesundheit und Wohlergehen sichert - so die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Ausreichend gute Nahrung, Kleidung, eine Wohnung, ärztliche Versorgung und die nötigen sozialen Leistungen sind Teil eines so definierten Lebensstandards. Dass dieser Standard und die dazugehörigen Voraussetzungen bei Weitem nicht in jedem Land der Erde vorzufinden sind, ist Tatsache.

Die Vielfalt der Faktoren

Generell gilt, dass der Mensch vieles, das seiner Gesundheit zuträglich oder abkömmlich ist, selbst in der Hand hat: Ernährung, Lebensstil, Bewegung. Doch auch andere Faktoren spielen eine Rolle: Genetische Veranlagung ist nur bedingt veränderbar. Zudem kommt es auch darauf an, in welchem Land man geboren ist, aufwächst und lebt. Umweltgifte, Wassermangel, Hitze beeinflussen die körperliche und geistige Unversehrtheit ebenso. Und auch der Zugang zu ärztlicher Versorgung, Medikamenten und Therapien hängt davon ab, in welchem Land man lebt und ob man sich diese Dinge auch leisten kann.

Das Thema der Gerechtigkeit

In der Realität hängt Gesundheit demnach oft auch von Geldbeutel, Wohnort und sozialem Status ab. Und ebenso davon, welcher Arbeit man nachgeht, wo und wie man sein Geld verdient, hat Einfluss auf das körperliche und geistige Wohlergehen - wie eine neue EU-weite Studie unter der Leitung der Uni Wien nun anhand von Schichtarbeitenden untersuchen will. Die Fragestellung lautet: "Warum sind Schichtarbeiterinnen und Schichtarbeiter öfter von Übergewicht und damit verbundenen Krankheiten betroffen?" Es heißt hier, dass in Österreich zwischen 600.000 und 700.000 Menschen im Schichtbetrieb arbeiten. Europaweit sind es 34 Millionen Beschäftigte - insgesamt rund 20 Prozent der arbeitenden Bevölkerung Europas. Ernährungswissenschafter Karl-Heinz Wagner dazu: "Es betrifft rund ein Fünftel aller Erwerbstätigen. Das ist schon eine Menge und daher ist es umso wichtiger, die Auswirkungen des Schichtarbeitssystems auf das Gewicht, auf den Organismus und die Gesundheit zu untersuchen."

"Das Recht auf Gesundheit steht unter dem Vorbehalt verfügbarer Ressourcen"
Karl Stöger
Universität Wien

Was bedeutet ein "Recht" auf?

Es stellt sich nun wiederum die Frage: Was heißt ein "Recht auf Gesundheit"? Und: Wie ist der Zugang in Österreich?

"Immer wieder hört man, Gesundheit sei ein Menschenrecht. Das stimmt zumindest in vielerlei Hinsicht", meint Karl Stöger, Professor für Medizinrecht an der Universität Wien, in einem Gastbeitrag von "Rudolphina", dem Wissenschaftsmagazin der Uni Wien: "Allerdings steht dieses Recht fast immer unter dem Vorbehalt verfügbarer Ressourcen, zudem ist die Durchsetzung internationaler Verpflichtungen durch einzelne Personen oft nicht möglich oder zumindest sehr schwierig."

In der österreichischen Bundesverfassung suche man ein explizites "Recht auf Gesundheitsversorgung" vergeblich. "Dennoch gibt es Bestimmungen in der Verfassung, die indirekt den Zugang zur Gesundheitsversorgung garantieren", so Stöger. Daraus lassen sich "einige Mindestgarantien ableiten: ein Recht auf Versorgung bei medizinischen Notfällen, eine ausreichende Überwachung von Gesundheitsdienstleistungsanbietern durch den Staat und, ganz wichtig als Ergebnis des sogenannten Gleichheitsgrundsatzes, ein Gebot der Verteilung der staatlichen Mittel im Gesundheitswesen nach sachlichen Kriterien - oder, anders gesagt: in fairer Weise". Dazu gehöre eine Verteilung nach medizinischen Kriterien, wie zum Beispiel der Dringlichkeit der notwendigen Behandlung. Laut Stöger sind für den Einzelnen allerdings die rechtlichen Vorgaben "unterhalb" der Verfassung wichtig. Das gelte insbesondere im Sozial(versicherungs)recht. "Hier geht das österreichische Recht über die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen deutlich hinaus. Damit ist nicht - wie Gerichte schon klargestellt haben - ein Anspruch auf die weltbeste Versorgung, sondern auf eine, die nach dem Stand der Wissenschaft, der einem Gesundheitssystem wie dem österreichischen angemessen ist, gemeint."

Gleich und gleicher?

Beim Blick auf die Gesundheitsversorgung in Österreich raunt es immer wieder durch den Raum, dass man zügiger zu einem Arzttermin kommt, wenn man dafür gesondert bezahlt (Stichwort: Wahlarztpraxis), anstatt auf einen Termin in einer Kassenpraxis zu warten. Es handle sich dabei um einen Mangel an Ressourcen. Stöger: "Knappheit spürt man auch im österreichischen Gesundheitswesen." Wie kann man dem rechtlich entgegentreten? "Der öffentlich finanzierte Bereich muss für medizinisches Personal attraktiver werden, was auch die Wartezeiten dort verkürzen würde - derzeit klagen dort tätige Personen darüber, dass ihnen aufgrund von Patientenzahlen und Bürokratie zu wenig Zeit für die einzelnen Patientinnen und Patienten bleibt", so der Medizinrechtler: "Letztlich wird man Geld in die Hand nehmen müssen. Der Fachkräftemangel ist nicht auf das Gesundheitswesen beschränkt, aber dort ist er besonders schmerzhaft." Für dieses zusätzlich benötigte Geld wäre laut Stöger eine Strukturreform ein Lösungsansatz.

Abschließend ist zu sagen, dass man trotz aller Kritik immer im Auge behalten sollte, dass der Lebensstandard in Österreich ein sehr hoher ist. Es gibt Länder auf dieser Welt, in denen sich Menschen die Behandlung in einem Krankenhaus - und sei es "nur" aufgrund eines Knochenbruchs - nicht leisten können oder in denen die gesundheitliche Infrastruktur nicht ausreichend ausgebaut ist. Dort "verarztet" man sich bestmöglich selbst - und wartet ohne ärztlichen Beistand ab, bis der Bruch verheilt ist.