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Limo und Eis: Sind wir alle zuckersüchtig?

Süße Lebensmittel gehören für viele einfach dazu. Warum Zucker zu Recht einen schlechten Ruf hat - und wie man mit dem Problem umgeht.

Zucker löst Glücksgefühle aus – und erfüllt alle Kriterien einer Droge.
Zucker löst Glücksgefühle aus – und erfüllt alle Kriterien einer Droge.

Die Kohlenhydrate sind nicht das Problem. Ihr schlechtes Image, auch propagiert durch "Low-Carb-Diäten" und die Betonung des Eiweißgehalts in Produkten, wird den Makronährstoffen nicht gerecht. Tatsächlich essen die meisten Menschen in Österreich sogar etwas zu wenig Kohlenhydrate, sagt Tilman Kühn, Professor für Ernährungswissenschaften an der Medizinischen Universität Wien und der Universität Wien. So sollten 60 Prozent der täglich zugeführten Energie laut der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung aus Kohlenhydraten stammen - bei den meisten sind es jedoch nur 50 und stattdessen mehr Fett und mehr Eiweiß.

Zuckerkonsum: Müde Bauchspeicheldrüsen und ein unrundes Mikrobiom

Das Problem an der Sache: Es sollte sich nicht um irgendwelche Kohlenhydrate handeln, sondern um sogenannte langkettige in Verbindung mit Ballaststoffen, so enthalten beispielsweise in Kartoffeln, Naturreis und Vollkornprodukten, wie Kühn weiter erklärt. Häufig seien es stattdessen kurzkettige Kohlenhydrate, die ihren Weg von der Hand in den Mund fänden - einfacher gesagt: Zucker. Nährstoffe, die der Körper sehr schnell aufnehmen und verwerten kann, entsprechend kurz aber nur etwas davon hat. Auf einen kurzen und rasanten Energieschub folgt bald die Flaute, eine Sättigung gibt es kaum. Nicht nur für den gesamten Organismus, sondern besonders auch für die Bauchspeicheldrüse ein anstrengendes Unterfangen. Auf jeden üppigen Zuckerkonsum, etwa durch den Genuss einer Limonade, schüttet sie Insulin in hohen Mengen aus. Muss sie das über viele Jahre sehr häufig, kann die Überforderung des Organs die Folge sein - und damit Diabetes.

Auch weitere Teile des Körpers werden beim regen Zuckerkonsum sehr in Mitleidenschaft gezogen. So beispielsweise die Zähne mit Kariesbefall, selbst bei ansonsten guter Pflege, und, wie neuere Studien zeigen, das Mikrobiom im Darm. Durch den Zuckerkonsum reduziert sich die Vielfalt der Darmbakterien: Während nützliche Bacteroidetes verringert werden, die zu einer gesunden Verdauung beitragen, breiten sich hingegen die schädlichen Proteobakterien aus. Zahlreiche Probleme wie chronische Entzündungen, eine geschwächte Abwehrkraft und damit höhere Infektanfälligkeit und psychische Erkrankungen können zu den weitreichenden Folgen gehören.

Volksfest der Hormone beim Zuckergenuss

Grund genug also, dem Zucker den Kampf anzusagen und ihn wegzulassen oder zumindest zu reduzieren. Etwas, das vielen Menschen enorm schwerfällt. "Warum wir schon von klein auf gerne Zucker essen und er uns schmeckt, ist klar", sagt Kühn, "im Sinne der Evolution streben wir natürlich danach, Energie aufzunehmen, und das geht mit Zucker ja sehr schnell." Das Gehirn belohnt den Zuckergenuss sofort mit einer Explosion an Glückshormonen, darunter Dopamin, Serotonin und sogar Oxytocin, das eigentlich als "Kuschelhormon" in Verbindung mit Körperkontakt zu geliebten Menschen oder Tieren bekannt ist.

Wenig überraschend fordert das Gehirn nach diesem Freudensturm schon bald nach dem Zuckerkonsum erneut nach Süßem. Aus diesem Grund stufen manche Ärztinnen und Psychologen den Zucker als ein Suchtmittel ein. "Zumindest erfüllt Zucker viele Kriterien einer Droge", sagt Kühn, "es gibt Tierstudien, die zeigen, dass eine gewisse Dosis nicht mehr reicht, sobald man sich daran gewöhnt hat. Und man konsumiert Zucker, obwohl man genau weiß, welche immens negativen Gesundheits- und Risikofaktoren damit einhergehen, verdrängt das einfach." Einige Fachleute bewerten die Einstufung des Zuckers als Suchtmittel zwar als zu extrem, "die Wahrheit liegt aber vermutlich in der Mitte. Zucker ist kein Heroin, und doch gibt es Parallelen zu Drogen, auch, dass es sehr schwerfällt, den Zucker wegzulassen."

Nutrition Score oder Zuckersteuer - Politische Maßnahmen sind dringend erforderlich

Übergewicht und damit verbundene gesundheitliche Probleme wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes sind längst zur Volkskrankheit auf nahezu der gesamten Welt geworden. Selbst kleine Kinder sind bereits sehr häufig von Adipositas betroffen. Einige Länder, darunter auch Großbritannien, haben auf diese Entwicklung mit einem Nutrition Score reagiert. Ein Label auf jedem im Handel erhältlichen Lebensmittel zeigt deren Wert im Sinne einer gesunden und vollwertigen Ernährung an. Ein hohes Maß an Zucker, aber auch an anderen weniger gesunden Nährstoffen wie gesättigten Fettsäuren, führt entsprechend zu einem negativen Score. In Österreich ist die Verwendung eines solchen Labels freiwillig, wodurch es gewissermaßen zum zahnlosen Tiger wird.

Obendrein fällt im britischen Raum bereits seit April 2018 eine Zuckersteuer auf Softdrinks wie Limonaden und Cola an. Damit werde einem gesundheitlich besonders bedenklichen Produkt der Kampf angesagt. "Studien zeigen sehr klar den Zusammenhang zwischen Übergewicht und dem Verzehr von stark gesüßten Getränken", erklärt Kühn. Zwar sei natürlich auch der Konsum von Kuchen, Schokolade, Eis und Co. ebenso mit Zucker verbunden und damit nicht gesund - dabei trete jedoch zumindest eine gewisse Sättigung ein. "Die Extrakalorien und Zucker sind mit Getränken besonders rasch konsumiert, ohne dass es einem groß auffällt." Sowohl die verpflichtenden Labels als auch die Zuckersteuer führten in den entsprechenden Ländern in kleinem Maß zum veränderten Konsumverhalten der Privatleute, sagt Kühn. "In großem Maß hingegen beeinflussen sie große Konzerne der Nahrungsindustrie nach und nach, auf andere, gesündere Zutaten als den billigen Geschmacksverstärker Zucker zu setzen." Keinesfalls eine Lösung sei Süßstoff, der dem Körper suggeriert, er bekäme Energie, um ihn dann leer ausgehen zu lassen. "Bei aktualisierten Nutrition Scores werden auch Süßstoffe als negativ gekennzeichnet."

"Geschmacksnerven wieder vom Zucker entwöhnen."
Tilman Kühn
Ernährungswissenschafter

Sich wieder an weniger Zucker gewöhnen

Mit dem steigenden Zuckeranteil in Lebensmitteln der Nahrungsindustrie haben sich auch die Geschmäcker der Menschen an diesen gewöhnt. Eine Rückgewöhnung ist jedoch möglich, beruhigt Kühn. "Wer selber etwas backt, wird feststellen, dass es auch dann noch gut schmeckt, wenn man nur die Hälfte des Zuckers verwendet. Mit der Zeit werden die Geschmacksnerven wieder sensibler - und empfinden auch einen geringeren Zuckergehalt als süß genug."