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Warum der Körper nach Zucker schreit - und wie man von ihm loskommt

Der Körper braucht keine Sachertorte und auch keinen Fruchtsaft. Warum er dennoch danach giert und welche Auswirkungen ein Zuckerverzicht auf Gesundheit und Geist hat.

Morgens ein Marmeladenbrot, mittags ein Glas Cola und abends eine halbe Tafel Schokolade. Was nach einem halbwegs verträglichen Zuckerkonsum klingt, ist in Wahrheit schon viel zu viel: Die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Obergrenze von sechs Teelöffeln pro Tag (25 Gramm) wird in diesem Rechenbeispiel fast ums Dreifache überschritten. Von versteckten Zuckerquellen ist da noch gar nicht die Rede - denn sogar Burgerweckerl oder Salatmarinaden enthalten Zucker, weiß die Ernährungsmedizinerin und Kardiologin Manuela Hanke.

"Es ist eine Illusion, dass man sich mit Zucker gut ernährt", sagt Hanke, die in ihrer Praxis in Wien Patientinnen und Patienten bei der Ernährungsumstellung berät. Zucker sei zwar im Vergleich zu Fetten und Proteinen die einfachste Form der Energiezufuhr, aber bei Weitem nicht die gesündeste, erklärt die Medizinerin. "Das ist so, wie wenn ich einen Kachelofen einheizen möchte, aber nur Papier hineinwerfe. Es brennt schnell, erzeugt schnell Wärme, doch ist dann genauso schnell wieder weg. Bei Proteinen und Fetten ist der Brennwert höher, das heißt, es dauert länger, bis die Energie zur Verfügung gestellt wird. Dafür hat man länger etwas davon."

Der Körper braucht keinen Zucker

Wer den metaphorischen Kachelofen optimal beheizen möchte, sollte neben Papier auch verschiedene Holzarten verwenden - sich also möglichst ausgewogen ernähren. Doch kann man das Papier nicht auch ganz weglassen, oder anders gefragt: Braucht unser Körper überhaupt Zucker? "Nein, braucht er nicht", sagt Manuela Hanke. "Wer sich vielfältig ernährt, braucht absolut keinen zusätzlichen Zucker. Der Körper holt sich den Zucker ohnehin aus vielen Lebensmitteln, die wir täglich konsumieren."

Doch warum giert der Körper nach etwas, das er am wenigsten braucht? "Ganz einfach", sagt Hanke: "Weil es der schnellste Weg der Energiezufuhr ist. Der Körper will befriedigt werden, und zwar sofort. Doch wir können unseren Kopf einsetzen und unserem Körper helfen, indem wir etwas Nahrhaftes essen, von dem wir länger satt bleiben."

Zucker wirkt sich jedoch nicht nur auf das Sättigungsgefühl aus - sondern vor allem auf die Gesundheit, und zwar "quer durch den Gemüsegarten", wie Manuela Hanke sagt. "Es gibt keine Erkrankung, die nicht durch Zucker gefördert wird."

So würden beispielsweise chronische Krankheiten wie Rheuma oder Arteriosklerose durch Zuckerkonsum verstärkt. Auch auf Krebserkrankungen hat die süße Droge einen Einfluss: Denn Krebszellen würden sich vor allem von Zucker ernähren, sagt Hanke. Prinzipiell komme es auch bei gesunden Menschen durch den Zuckerkonsum zu einer Veränderung aller Zellen. Dadurch könne der Körper nützliche Nährstoffe nicht mehr so aufnehmen, wie er sie ohne Zucker aufnehmen würde.

Um ihren Zuckerkonsum einzuschränken, greifen viele Menschen zu Ersatzprodukten wie Honig, Birkenzucker oder Kokosblütenzucker. Hanke kann dies nur bedingt empfehlen: "In vielen Ersatzprodukten sind Zuckeralkohole drinnen. Diese Alkohole werden im Körper genauso umgebaut wie der normale Zucker. Die Wirkung ist im Prinzip also die gleiche."

Salzburger hat Zucker vom Speiseplan gestrichen: "Es war nicht einfach"

Die beste Lösung? Generell weniger Süßes essen. Davon kann Dusan Milekic ein Lied singen. Der 29-jährige Salzburger hat 2017 damit begonnen, Zucker komplett von seinem Speiseplan zu streichen - und nicht nur das: Er ernährt sich seitdem ketogen, das bedeutet, er verzichtet fast gänzlich auf Kohlenhydrate. Zu Beginn seiner Ernährungsumstellung war er mit 130 Kilogramm stark übergewichtig. Zwei Jahre später wog er 40 Kilo weniger.

Auf Zucker und Co. zu verzichten habe viel Disziplin erfordert, sagt Milekic. "Es war nicht einfach. Am schwierigsten war es, mein Umfeld so weit zu bringen, dass sie es akzeptieren. Wenn man miteinander essen geht, stößt man mit einer solchen Ernährung nicht immer auf Verständnis."

Die Entzugserscheinungen nach dem kompletten Zuckerstopp hätten sich in Grenzen gehalten, erzählt Milekic. "Am Anfang hatte ich manchmal Heißhunger, doch nach drei Wochen hatte sich der Körper daran gewöhnt. Von da an hatte ich viel weniger Hunger als zuvor."

Neben der rasanten Gewichtsabnahme bemerkte der junge Familienvater auch einen anderen gesundheitlichen Effekt: "Ich war plötzlich viel klarer im Kopf. Als wäre ich davor mein ganzes Leben verschlafen gewesen. Der Verzicht ist cool für den Körper und cool fürs Hirn."

Von klein auf bewusst essen: "Auch eine Karotte ist süß"

Dusan Milekic hat aus seiner Erfahrung ein Geschäft gemacht: Gemeinsam mit zwei Studienkollegen gründete er die Ketofabrik. Das Start-up hat sich auf zuckerarme Müsliriegel spezialisiert und ist seit 2020 in heimischen Supermärkten zu finden.

Auch Ernährungsmedizinerin Manuela Hanke verzichtet seit Jahrzehnten großteils auf Zucker. "Ich brauche ihn nicht." Sie plädiert für ein gesellschaftliches Umdenken: "Früher gab es zu Weihnachten, zum Geburtstag und zu Ostern eine besondere Mehlspeise. Heute hat man Hunger und holt sich zwischendurch schnell eine Topfengolatsche vom Bäcker. Das ist eindeutig nicht gesund."

Für Hanke liegt die Zuckersucht vieler Erwachsener in der Kindheit begründet. "Das fängt schon in der Schwangerschaft an. Wenn sich die Mutter zu süß ernährt, geht das auf das Baby über und dann ist das Verlangen nach Zucker von Geburt an da."

Hanke rät Eltern dazu, das Thema Zucker von Anfang an in der Ernährungsbildung ihrer Kinder mitzudenken, damit sie gar nicht erst auf den Geschmack kommen: "Von klein auf lernen Kinder, dass Süßigkeiten eine Belohnung sind. Warum gibt man ihnen keine Karotte? Die ist auch süß."