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"Alle Schulen sollten durch Mini-Städte ersetzt werden"

Spaziergang mit Ali Mahlodji durch die Kinderstadt "Mini-Salzburg": Ein Gespräch darüber, was es braucht, damit Menschen ihr Potenzial entfalten können.

Ali Mahlodji auf Erkundungstour in der Kinderstadt „Mini-Salzburg“.
Ali Mahlodji auf Erkundungstour in der Kinderstadt „Mini-Salzburg“.

Ali Mahlodji wuchs in einem Flüchtlingsheim auf und startete seine Karriere als stotternder Schulabbrecher. Nach über 40 Jobs, einem Studium in Rekordzeit
und Aufstieg zum Konzernmanager kündigte er, um seinem inneren Ruf zu folgen. Er wurde Lehrer und gründete whatchado.com, eine Video-Job-Orientierungsplattform, die junge Menschen auf ihrem Berufsweg inspiriert. Heute ist der österreichisch-persische Entrepreneur Autor, Keynote-Speaker sowie Mitbegründer und CEO von futureOne - einem Unternehmen, das Menschen daran erinnern will, wer sie wirklich sind.

Was können wir tun, um eine Welt zu schaffen, in der es jedes Kind kaum erwarten kann, mit seinen Talenten und Stärken zu wirken - trotz Stechuhr und Leistungsdruck? Ali Mahlodji: Kinder werden ja mit einer riesigen Lust aufs Lernen geboren. Unsere Aufgabe als Erwachsene, als Eltern, als Lehrpersonen ist es, dass wir diese Lust am Leben erhalten. Wir müssen es unseren Kindern vorleben, indem wir selbst tun, was wir lieben. Lehrpersonen sind da mitunter die wichtigsten Führungskräfte unserer Gesellschaft! Nur werden sie heute zugemüllt mit administrativen Aufgaben, spielen teilweise auch Mama- oder Papa-Ersatz und sollen dann noch Wissen vermitteln. Sobald wir es schaffen, all das, was Kinder lernen sollen, in einen größeren Rahmen zu packen, ihnen Sinn zu vermitteln, kann es besser gelingen. Wir gehen heute durch Mini-Salzburg und ich sehe überall Kinder, die völlig selbstmotiviert sind. Sie arbeiten den ganzen Tag, um ihre Salettis zu verdienen (Anm.: die Währung der Mini-Stadt). Ihnen leuchtet wahrscheinlich spätestens jetzt ein, warum es Sinn hat, in der Schule rechnen, schreiben und lesen zu lernen.

Irgendwann sind es ja nicht mehr nur Grundrechnungsarten. Lerninhalte werden abstrakter, es geht um Latein oder Kurvendiskussionen. Was sagen Sie Ihren Töchtern einmal, wenn sie Sie fragen: "Papa, warum muss ich das denn lernen?" Na ja, ich denke, so lernen sie zum einen, dass es einfach Dinge im Leben geben darf, die wenig oder keinen Spaß machen, und trotzdem gehören sie dazu. Mir gehen bestimmt 30 Prozent der Dinge, die ich jeden Tag machen muss, auf den Keks. Aber sie müssen sein, damit die anderen 70 Prozent gut funktionieren. Da kommt es sehr stark auf die Lehrperson an. Ich habe zum Beispiel einmal einen HTL-Lehrer erlebt, der mit einem Shooter-Game, das die Kids gerne gespielt haben, das Thema Kurvendiskussion erklärt hat.

Unser Bildungsgesetz ist in Wahrheit ein einziges Liebesgedicht an unsere Kinder. Da steht rein gar nichts von Frontalunterricht. Nur haben es die wenigsten Lehrpersonen gelesen. Stattdessen haben wir ein Lernmodell entwickelt und geben das seit Generationen weiter - einfach weil wir Glaubensmodelle über sechs bis acht Generationen weitergeben, ohne sie zu hinterfragen. Ich sehe da auch meine Aufgabe, Lehrpersonen bewusst zu machen, dass sie viel mehr Ressourcen zur Verfügung haben, als sie denken. Erwachsene sind die größten Influencer der Kinder. Für mich ist es deshalb wichtig, mit Erwachsenen zu arbeiten und zu schauen, dass sie tun, was sie lieben. Denn das beeinflusst letztlich unsere Kinder am meisten.

Wenn aber alle Erwachsenen nur mehr tun, was sie lieben, wer erledigt dann die Jobs, die wenig attraktiv sind? Überspitzt gefragt: Wer bringt dann den Müll weg? Mein Vater war Akademiker und hat im Lager Flaschen geschlichtet. Dort habe
ich nach der Schule meine Hausübungen gemacht. Nie ist da jemand mit einem traurigen Gesicht rumgelaufen. Und warum? Weil sie eine Lagerleitung hatten, die ihnen jeden Tag klargemacht hat, dass ihr Beruf sinnvoll ist. Als ich dann später whatchado gegründet habe (Anm.: eine Videoplattform, die Berufe erklärt), habe ich sehr viele Menschen mit genau solchen Jobs gefragt, was sie motiviert. Zum Beispiel auch jemanden, der um fünf Uhr früh die Bahnhofshalle putzt.

Und was war die Antwort? Immer wieder habe ich gehört, dass sie an das, was sie tun, selbst einen hohen Anspruch haben. Sie suchen sich den Sinn in ihrer Arbeit selbst. Sie sagen sich: "Ich möchte meinen Job super erledigen und die sauberste Bahnhofshalle haben. Bei mir sollen die Leute sagen, sie könnten vom Boden essen." Die andere Seite: In der Schweiz habe ich drei Selbstmorde erlebt, Menschen aus dem Topmanagement, die bestimmt keine Geldprobleme hatten. Möglicherweise würde man über sie sogar sagen, dass sie alles hatten. Hatten sie das aber wirklich? Vielleicht ist der O-Bus-Fahrer in Salzburg glücklicher als der Banker in der Schweiz. Ich denke, je weniger sinnvoll der Beruf ist, desto höher ist wahrscheinlich die monetäre Entschädigung. In Personalabteilungen sage ich dann immer, gebt euren Leuten mehr Sinn, dann müsst ihr ihnen keinen goldenen Käfig bauen.

Wie entkommen wir dem goldenen Käfig? Ich glaube nicht, dass jemand geboren wurde, um sein Leben lang an einer Kasse zu sitzen. Automatisierung und künstliche Intelligenz werden vieles ohnehin obsolet machen. Die Arbeit an sich ist nicht das Problem, es ist unsere Haltung dazu. Wenn jemand fünf Jahre studiert und dann etwas komplett anderes macht, dann sagen viele: "Wie kannst du nur?" Stattdessen sollten wir applaudieren und sagen: "Super, dass du das jetzt probierst." Ich bin für ein bisschen mehr Gelassenheit. Traut euch, mehr zu experimentieren! Wer Kinder hat, weiß, dass sie am Spielplatz von der Rutsche zum Kletterturm und dann zum Trampolin laufen. Wenn du sagst: "Gehen wir heim", dann protestieren sie. Wenn am Ende meines Lebens jemand kommt und sagt: "Ali, es ist Zeit, wir gehen heim", dann will ich nicht sagen müssen: "Verdammt, nein, ich war die ganze Zeit nur auf der Rutsche!" Wenn ich abtrete, dann will ich sicher sein, dass ich alles ausprobiert habe. Das Leben ist für uns alle ein riesengroßer Spielplatz. Daran sollten wir uns wieder erinnern.

Das Leben ist ein großer Spielplatz und hier in Mini-Salzburg spielen die Kinder das echte Leben nach. Können wir von hier mitnehmen, das Arbeitsleben wieder spielerischer anzugehen? Das würde uns guttun! Wenn ich sehe, wie selbstmotiviert sich die Kinder hier ihre Aufgaben suchen, dann denke ich, wir sollten sofort alle Schulen schließen und sie durch Mini-Städte für Kinder ersetzen (lacht). Dort könnten sie jeden Tag das Leben ausprobieren und ganz automatisch nebenbei lernen.