Leadership-Training in Südafrika, Selbstfindung in Tibet, traditionelle Konfliktlösung auf Hawaii: Reiseangebote für Führungskräfte, die eine Auszeit mit Weiterbildung verbinden wollen, boomen. Auf der Plattform coachingtrip.de, die 2021 an den Start gegangen ist, sind aktuell 60 Reisen zu finden. Preislich an der Spitze steht dabei ein Führungskräfte-Coaching in Nepal um 6900 Euro - ohne Flug, Versicherungen und persönliche Ausgaben.
Worin liegen die Gründe für den Trend "Coaching-Reisen"?
"Führungskräfte sind im Alltag zu sehr damit beschäftigt, komplexe Prozesse zu steuern, als dass sie groß Zeit hätten, sich selbst und die Wirkung ihrer Führung zu reflektieren oder darüber nachzudenken, wohin die Reise für ihr Unternehmen gehen soll", führt Birgit Artner aus. Zeit sei dabei eine wichtige Ressource, so die Psychologin, die den Bereich Arbeitspsychologie in der Gesellschaft für Arbeitsmedizin, Sicherheitstechnik und Arbeitspsychologie (AMD) leitet. Und: "Es kann durchaus sinnvoll sein, die gewohnte Umgebung bewusst zu verlassen. An einem neuen, schönen Ort bekommen wir andere Impulse als an einem überquellenden Schreibtisch." Artner warnt aber: "Wichtig ist es, sich vorab zu überlegen, ob ich überhaupt der Typ für eine solche Reise bin - denn wann im Alltag beschäftige ich mich schon nonstop mit mir selbst?" Außerdem empfiehlt sie, das Programm vorab gut zu studieren: "Mittlerweile gibt es zahlreiche Anbieter am Markt. Es können durchaus unseriöse Angebote dabei sein." In der Tat verzeichnete der Branchenfachverband Ubit 2021 22.756 Unternehmensberaterinnen und -berater - das entspricht einer Verdreifachung seit dem Jahr 2004. Damit verbunden: ein intensivierter Wettbewerb und die Suche nach Nischen.
In Salzburg zählt zu den Vorreitern in Sachen Coaching-Reisen das Institut für Management (IfM) mit Sitz in Hallwang. Seit 2005 organisiert die Bildungseinrichtung Studienreisen, die Entscheidungsträger bisher nach London, Madrid oder Peking führten. In der Karwoche 2023 steht nun Südafrika auf dem Programm.
Coaching-Reisen auf den Spuren von Nelson Mandela
Unter dem Titel "Ubuntu: Auf den Spuren von Nelson Mandela" lernen Managerinnen und Manager in sieben Tagen die Führungskunst des südafrikanischen Freiheitskämpfers, Friedensnobelpreisträgers und Präsidenten kennen. Sie erwarte ein straffes, aber eindrucksvolles Programm, so der Afrikanist und Kommunikationswissenschafter Martin Sturmer.
Gemeinsam mit IfM-Geschäftsführer Wolfgang Reiger begleitet er die Reise. Die Route führt zu den wichtigsten Stationen aus Mandelas Leben - von Johannesburg und Pretoria über die ländlich geprägte Region des Ostkaps nach Kapstadt. "Wir wissen, dass der Lernerfolg wesentlich nachhaltiger ist, wenn er mit eindrucksvollen Erlebnissen verknüpft wird", erklärt Reiger - Coaching-Reisen sind nicht umsonst auch unter dem Begriff Learning-Journey bekannt. Genug Zeit für den Austausch mit Gleichgesinnten sowie lokalen Ubuntu-Experten, Wissenschaftern und Geschäftsleuten, die nach dieser Philosophie leben, ist einkalkuliert. Einzelcoachings gibt es flexibel je nach Bedarf. "Die Reise soll schließlich nicht überfrachtet sein", so Sturmer.
Oft seien es Führungskräfte, die bereits eine gewisse Offenheit mitbringen, die beim IfM nach Impulsen zur Optimierung von Führungsstil und Unternehmenskultur suchen. "Dass in einem Unternehmen alle zu 100 Prozent zufrieden sind - das gibt es nicht", weiß Sturmer aus der Praxis. "Erster Schritt einer Unternehmensberatung muss daher die Befragung der Beschäftigten sein. Da sieht man schnell, wo der Schuh drückt. Dann können wir herausfinden, welche Instrumente und Methoden es für eine Neuorientierung braucht."
Die afrikanische Lebensphilosophie Ubuntu
Der Ansatz, den die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Coaching-Reise nach Südafrika kennenlernen, Ubuntu, ist eine Lebensphilosophie, die tief in der dortigen Kultur verwurzelt ist. Vier Kernwerte prägen diese: Unvoreingenommenheit, Mitmenschlichkeit, Bereitschaft zur Versöhnung, Zusammenarbeit mit Andersdenkenden. Kurz: die Verbundenheit zwischen den Menschen.
"Ubuntu ist die Gewissheit, dass jeder Mensch Gutes in sich trägt - auch wenn es verdeckt sein mag", erklärt Afrika-Experte Sturmer. "Eine wichtige Lernübung dabei ist, nicht vorschnell zu urteilen und den Menschen als Ganzes wahrzunehmen."
Was das für Unternehmen bedeutet? In einem harmonischen Umfeld, in dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zufriedener sind, steigen Engagement und Produktivität. Zehn Empfehlungen postuliert Ubuntu dafür. Und diese überschneiden sich mit dem, was sich heutzutage gerade Berufseinsteigerinnen und -einsteiger von ihrem Arbeitgeber erwarten: Hören Sie zu, zeigen Sie Wertschätzung, stiften Sie Sinn.
Anstoß zur Veränderung: Wie man das meiste aus einer Coaching-Reise herausholt
"Veränderung ist ein Prozess", erklärt Arbeitspsychologin Birgit Artner. "Es ist nicht wie bei einem Auto, das man zum jährlichen Service bringt: Pickerl drauf und passt." Eine Neuaufstellung sei mit einer Reise nicht abgeschlossen, aber sie könne dadurch sehr wohl angestoßen werden, so die Expertin. Ideal wäre es ihrer Ansicht nach, die Reise in ein Coaching-Paket samt Vor- und Nachbegleitung einzubetten.
Mehr Infos:www.ubuntu.reise
BUCHTIPP
Afrika ist nicht gleich Afrika: Zu groß ist der Kontinent, zu unterschiedlich die Lebensrealität in den einzelnen Ländern. Es ist also kein Buch über Afrika oder ein Wirtschaftssystem, das Sophia Bogner und Paul Hertzberg mit "Jenseits von Europa" geschrieben haben, sondern eine Porträtsammlung von Unternehmerinnen und Unternehmern.
"Wo es viele Probleme gibt, ist auch die Nachfrage nach Lösungen groß. Aber wo es viele Probleme gibt, gibt es vor allem: viele Probleme", heißt es im Vorwort. Auf einem Kontinent, wo Politiker massenhaft versagen, werden daher Gründer zu Helden. Junge Motivierte übernehmen das, was anderswo in der Verantwortung des Staates liegt: Sie schaffen Infrastruktur, verbessern das Bildungssystem, kurbeln die Telekommunikation an. Sophia Bogner und Paul Hertzberg schreiben über die, die es besser machen, innovativer - erfolgreicher. Dafür haben sie in Goldminen und Co-Working-Spaces recherchiert, in Fabrikshallen und Fashion-Ateliers, an Bord von Tanklastern und im Busch. Nahbar und persönlich porträtiert das Autorenduo junge Start-ups und altes Öl, Innovation und Korruption, zeigt, wie man im Krisengebiet Geld verdient, mit Tourismus die Natur rettet und mit einer App gegen Müttersterblichkeit kämpft. Das Buch lässt an Ideen, Träumen und Erfolgen von Machern teilhaben und schildert die Herausforderungen, denen diese begegnen. Gleichzeitig stellt es die ganz großen Fragen: Was geschieht mit dem letzten fast unberührten Markt der Welt? Was hat mehr Einfluss: chinesisches Investment oder westliche Entwicklungshilfe? Und: Was machen afrikanische Unternehmer besser?
Jenseits von Europa
Was afrikanische Unternehmerinnen und Unternehmer besser machen. Sophia Bogner, Paul Hertzberg. Econ, 240 Seiten, 24,99 Euro.