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Gebärdensprache: Dolmetscher dringend gesucht

Für Gehörlose ist der Lebensalltag erschwert. Ob Amt, Arzt, Führerschein oder Weiterbildungskurs: Es braucht immer eine Übersetzung.

Gebärdensprache ist in Österreich seit 2005 als eigene Sprache anerkannt, es gibt sogar verschiedene Dialekte.
Gebärdensprache ist in Österreich seit 2005 als eigene Sprache anerkannt, es gibt sogar verschiedene Dialekte.

Die Stadt Salzburg bietet Bediensteten nunmehr Kurse für die Gebärdensprache an. Andrea Brandner, Sozialstadträtin und Vorsitzende des Behindertenbeirats, reagiert damit auch auf den Gewalt- und Missbrauchsskandal in der früheren "Taubstummenanstalt", der heutigen Josef-Rehrl-Schule im Stadtteil Lehen. Sie bedauere dies sehr.

"Es braucht viel mehr Verständnis zwischen Hörenden und gehörlosen Menschen, wir benötigen dringend mehr Gebärdendolmetscher in Salzburg", meint die Politikerin. Mit September können interessierte Stadtmitarbeiter sich die Grundkenntnisse der Gebärdensprache aneignen. Einige Mitarbeiterinnen, darunter in der Sozialabteilung, beherrschten die Gebärdensprache bereits in Ansätzen. "Es ist zumindest ein Zeichen der Wertschätzung, wenn man Betroffene im Amtsverkehr in ihrer Sprache begrüßen und ein paar Sätze wechseln kann", so Brandner.

10.000 Gehörlose bundesweit

In Österreich leben acht- bis zehntausend Gehörlose, in Salzburg sind es 600 Personen, sowie 28.000 Menschen mit Hörbeeinträchtigungen, weiß man im Gehörlosenverband Salzburg. Gehörlosigkeit oder Hörbeeinträchtigungen sind erworben, vererbt oder (selten) genetisch bedingt, erklärt Vorstandsmitglied und Finanzreferent Reinhard Aichhorn: "Es können Menschen sein, die im Alter schwerhörig werden, spät ertaubt sind oder einen Hörsturz erlitten haben. Bekannte Ursachen für Gehörlosigkeit sind Erkrankungen der Mutter während der Schwangerschaft, wie Röteln, Herpes, Geschlechtskrankheiten oder Toxoplasmose." Oft erhalten Gehörlose ein Cochlea-Implantat. Die elektronische Hörprothese funktioniere bei je einem Drittel der Betroffenen gut, erreiche die Stufe der Schwerhörigkeit oder helfe gar nicht. In der Community ist die rasche Prothesenversorgung bereits kleiner Kinder umstritten. "Wir raten Eltern, dass die Kinder in jedem Fall auch die Gebärdensprache lernen sollen", so Aichhorn.

Salzburg hinke in Sachen Gebärdensprache weit hinter anderen Bundesländern her. "Wir haben viel zu wenige Dolmetscher, um der Community den benötigten Service anbieten zu können", sagt Aichhorn. Allein die Beratungsstelle in Itzling bräuchte fünf Sprecher, hat zurzeit jedoch lediglich Andreas Schodterer, der halb Sozialarbeiter, halb Dolmetscher ist.

Führerschein kostet 12.000 Euro extra

Dienstleistungen müssen in Österreich zwar barrierefrei angeboten werden, in der Praxis wird das aus ökonomischen Gründen jedoch häufig umgangen. Das Hauptproblem ist laut Verband, dass das Land Salzburg die Übersetzungskosten nicht bezahle (im Gegensatz zu Oberösterreich oder Tirol). So muss man für einen Führerscheinkurs mit zusätzlichen 12.000 Euro für den Gebärdensprecher rechnen. "Gehörlose können am Leben besser mit einem Auto teilhaben. Es wäre so wichtig, dass das Land diese Finanzierung übernimmt", meint Aichhorn. Ähnlich verhält es sich mit Wifi-Kursen, wo Kurse mitunter gecancelt werden, sobald ein Gehörloser teilnimmt, und keine Firma die Dolmetschkosten bezahlt.

"Gehörlose müssen monatelang warten, bis sie einen Termin beim Arzt oder Amt wahrnehmen können."
Andreas Schodterer
Gebärdendolmetscher

Auch Amtswege, Arztbesuche, die Ausbildung, die Berufstätigkeit können nur erschwert wahrgenommen werden. "Wir organisieren einen Dolmetscher, wenn man auf eine Behörde muss. Aber man kann nicht morgen einen Termin haben", schildert Aichhorn. Bei Arztbesuchen muss man mit monatelangen Vorlaufzeiten rechnen, im Krankenhaus meist noch weiter vorausplanen (dort gibt es zumindest eine Gehörlosenambulanz). Auch Alltagsroutinen wie das Telefonieren sind für Gehörlose nur eingeschränkt möglich. So könne man in Skandinavien rund um die Uhr jemanden anrufen, da die Telefonvermittlung mit Dolmetschern ausgestattet sei. In Österreich werde ein barrierefreies Relais mit Dolmetschern, die der Dachverband stellt, lediglich ein paar Stunden am Tag betrieben.

Am 26. September, gleichzeitig zum 65-Jahr-Jubiläum des Salzburger Verbands, will man bei einer Demonstration auf die "untragbare Situation bei den Dolmetschern" (Aichhorn) hinweisen.

Dolmetschausbildung in Salzburg

Die Gebärdensprache ist in Österreich seit 2005 als eigene Sprache anerkannt, es gibt sogar verschiedene Dialekte. Kommuniziert wird mit Gestik, Mimik, dem Mundbild von Wörtern. Körperhaltung und Gesichtsausdruck spielen eine herausragende Rolle, mit bestimmten Bewegungen werden Bedeutungen wie "gerne" oder "widerwillig" ausgedrückt. Die Grammatik wird vorwiegend über die Mimik vermittelt. Kaum jemand kann sich dem Reiz der Gebärdensprache entziehen, dem schnellen Spiel der Hände und Finger, dem lebhaften Ausdruck von Augen, Mund und Gesicht. Die Dolmetschausbildung in Salzburg habe lediglich Projektcharakter, sagt Verbandssprecher Aichhorn. In einer Kooperation von Gehörlosenverband, Universität und der Sozialinitiative Salzburg wird eine dreijährige berufsbegleitende Ausbildung in Modulen angeboten. Das Einstiegskriterium ist das Sprachniveau B2, was das Grundniveau der Gebärdensprache bedeutet. Um die dreidimensionale Gebärdensprache in all ihrer Komplexität zu erlernen, brauche es Jahre, sagt Dolmetscher Andreas Schodterer. Der Gehörlosenverband bietet Kurse an (kostenlos für Betroffene, sonst 40 bis 190 Euro).

Missbrauchsskandal in Taubstummenanstalt

Im Jahr 2023 erfuhr die breite Öffentlichkeit, was die Community immer schon wusste: Dass gehörlose Kinder in den früheren "Taubstummenanstalten" geschlagen, misshandelt und missbraucht wurden, schreibt das Online-Nachrichtenportal in Österreichischer Gebärdensprache (ÖGS). Ehemalige Schüler und Schülerinnen berichteten der Volksanwaltschaft und dem Salzburger Gehörlosenverband, was ihnen bis weit in die 1980er-Jahre widerfahren war. Auch die "Salzburger Nachrichten" berichteten. Demnach wurden die Kinder und Jugendlichen im Landesinstitut für Hörbehinderte mit Internat mit dem Stock geschlagen, an den Haaren gezogen, bekamen stundenlang, selbst bei langen Märschen über den Mönchsberg, nichts zu trinken. Es herrschte Essenszwang, bei dem auch zuvor Erbrochenes hinuntergewürgt werden musste. Die Gebärdensprache war verboten. Stattdessen wurden Gehörlose gezwungen, Laute zu machen - wenn diese nicht der deutschen Sprache entsprachen, habe es Prügel gegeben.

Das Land Salzburg hat bislang 1,3 Millionen Euro Entschädigung an 109 Betroffene ausbezahlt und die Universität Salzburg mit einer wissenschaftlichen Aufarbeitung beauftragt. Die Wiedergutmachung sei noch nicht abgeschlossen, sagt Reinhard Aichhorn: "Viele Personen haben den Antrag noch nicht gestellt. Vielen fehlt der Mut. Einige sind nach Italien übersiedelt."