Ausbrechen und ein völlig neues Leben beginnen: Das hat der Oberösterreicher Gregor Sieböck vor rund 20 Jahren getan. Der damals 30-Jährige hatte Wirtschaft studiert, einen gut dotierten Job bei der Weltbank ausgeschlagen und wurde zum Weltwanderer. Dass in seinem Leben persönliche und bereichernde Begegnungen und das Einssein mit der Natur vor finanziellem Reichtum stehen sollten, war ihm schon früh bewusst.
Ausschlaggebend für Sieböcks Lebensweg waren die Erzählungen seiner Mutter, die als Krankenschwester viele Klagen über nicht gelebte Leben hörte, die Menschen am Sterbebett noch loswerden wollten. Beziehungen zu Menschen und zur Natur prägten ihn schon als Kind, seine Liebe zur Natur erfuhr mit dem Bau der Pyhrnautobahn eine Zäsur. Ausgerechnet der Wald, in den er sich so gern zurückzog, sollte dem Straßenbauprojekt radikal weichen. "Ich war damals so 13, 14 Jahre, als ich mich zum ersten Mal fragte, wie es wohl gelingen könnte, dass wir Menschen achtsamer mit der Erde umgehen."
Das Studium hatte nichts mit der Realität zu tun
Von da an begann er zu überlegen, wie ein Job bestellt sein müsste, der einerseits befriedigend ist und andererseits Mensch und Natur im Zentrum haben sollte. Im diplomatischen Dienst, als bedeutender Einflüsterer im Hintergrund, könne man wohl etwas erreichen, dachte er. Diese Idee führte ihn mit 15 Jahren sogar ins Außenministerium, wo er sich mit einem diplomatischen Abgesandten über seinen Beruf unterhalten durfte und eine Antwort auf seine Frage bekam, ob er in weiterer Folge Latein oder Französisch lernen sollte. Er lernte die Diplomatensprache Französisch und verfolgte seinen Berufswunsch beharrlich - um letzten Endes festzustellen, dass er mit dem Job nie würde bewegen können, was er aber bewegen wollte.
Er studierte Wirtschaft in Wien, Oxford, Havanna und Berlin, um wiederum enttäuscht festzustellen, dass Theorien gelehrt werden, die mit seiner inneren Überzeugung nicht konform gehen. Gepredigt wurden Profitmaximierung und ständiges Wirtschaftswachstum als nahezu alternativlose Wirtschaftsformen. Gregor Sieböck wollte jedoch studieren, um es anders zu machen.
Er schwenkte um und ging nach Ecuador, um dort seinen Zivildienst zu absolvieren. In einem Projekt mit Straßenkindern zeigte sich ihm eine völlig neue Realität, die von Armut und Ungerechtigkeit geprägt war und mit den Wirtschaftslehren der Universitäten nichts gemein hatte. Er schloss sein Studium in Wien mit Auszeichnung ab, schrieb nebenbei an der Universität in Havanna seine Diplomarbeit. Mit einem Postgraduate-Studium der Umweltwissenschaften in Lund, Schweden, änderte sich für ihn einiges: Die Weltbank bot ihm nach einem Praktikum einen Job in Washington an mit einem Anfangsgehalt von 5000 Dollar. Er lehnte ab, um auszubrechen und ein neues, anderes Leben zu beginnen.
Eine Dreiviertelstunde für den Zeltaufbau
Dass er auf Wanderschaft gehen wollte, hatte er schon zur Studienzeit beschlossen. Statt einen Job in einer einflussreichen Organisation anzunehmen, wurde er "Weltenwanderer". Japan sollte das erste Ziel werden. Sein Trockentraining absolvierte er am Wolfgangsee, 45 Minuten brauchte er, bis sein Zelt endlich stand. Der Rucksack war so schwer, dass er ihn unmöglich tragen konnte. Mit der Frage, was alles mitdürfe, kamen auch die ersten philosophischen Anschauungen: Wie viel braucht es für ein gutes Leben? Was ist die Essenz auf dem Weg in die Freiheit? Er ging los, seine Route führte ihn von Österreich über Südamerika und die USA nach Japan und Neuseeland. 15.000 Kilometer marschierte er, flog oder fuhr mit Schiffen. Insgesamt dauerte dieser Trip drei Jahre und war von der Mission beseelt, herauszufinden, was es braucht, damit die Menschheit wieder mehr im Einklang mit Erde und Natur leben kann.
Ob das mutig war? "Nein, es war der logische Schritt, nachdem mein Traum von einer Karriere im diplomatischen Dienst zusammengebrochen war und ich im Wirtschaftsstudium in drei verschiedenen Ländern für mich realisiert hatte: So funktioniert die Welt nicht." Sieböck wollte etwas anderes, sich ein Leben aufbauen, in dem nicht der "Verstand über das Herz drüberfährt". Unser Leben sei ein permanentes Re-Inszenieren, sagt Sieböck, ein "more of the same". "Darüber hinaus gehen wir schlecht mit uns und der Natur um. Ich bin überzeugt: Würden wir mehr aus dem Herzen heraus entscheiden, gäbe es weniger Kriege."
Für ihn ist das Alleinsein während des Wanderns vor allem eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Bewusst gehe er durch herausfordernde Momente, weil sie wichtig sind, betont er. "Man will so etwas ja gern verdrängen, als Mensch, aber auch als Gesellschaft. Ein Trauma wird aber so lange hochkommen, bis man sich mit ihm auseinandersetzt. Das Vermeiden von Schwierigkeiten führt uns nicht zum Ziel." Ein besonderes Aha-Erlebnis hatte er bei seinem Plan, nach Japan zu gehen. Er kannte dabei nur das eine Ziel: Tokio zu erreichen. Dort angekommen fiel er in eine Leere, vor lauter Fokussierung und Freude auf die Millionenstadt hatte er verabsäumt, den Weg zum Ziel zu machen.
Der Weg entsteht im Gehen
Sieböck änderte seine Strategie des Wanderns und ging auf "Wegkreuzungstour", er entschied also erst bei einer Kreuzung, wohin ihn der Weg führen sollte. Eine nicht immer einfache Entscheidung, aber eine gute Gelegenheit, um zu erkennen, wie sehr man in festgefahrenen Mustern steckt. "Statt ,Der Weg ist das Ziel' stand nun der Satz ,Der Weg entsteht im Gehen'. Das bekommt eine völlig andere Energie", sagt der Weltenwanderer.
Verstanden wurde diese Haltung nicht immer. "Wenn andere Wanderer sehen, dass da einer mit einem Riesenrucksack mit Gebetsfahnen daherkommt, fragen sie natürlich, wohin der geht. Man nimmt an, dass jeder ein definiertes Ziel hat", sagt Sieböck. Den Ersten antwortete er also: nach Istanbul; den Nächsten: nach Palermo - um am Abend festzustellen, dass er sich auch damit nicht recht wohlfühlte. Seither nennt er die Himmelsrichtung, in die er marschiert. So sind die anderen zufrieden und er auch. Sieböck ist überzeugt, dass es einen Unterschied macht, wohin wir Menschen gehen. Als er einmal hörte, dass laut schamanischer Lehre der Weg in den Osten der schwierigste ist, packte er seinen Rucksack und marschierte Richtung Ukraine, um herauszufinden, ob das stimmt.
Eins mit der Natur und den Menschen
Freilich verstört seine Entscheidung, gut bezahlte Jobs auszuschlagen und stattdessen durch die Welt zu wandern, viele Menschen. Gern erinnert er sich an seinen Auftritt in der "Barbara-Karlich-Show", als ein Gast, er kam aus der Wirtschaft, über ihn und seine Argumente harsch drüberfuhr. "Herr Kollege", insistierte Sieböck, "ich habe selbst Wirtschaft studiert und war bei der Weltbank, aber das erfüllt mich nicht mehr." Verstummt sei der kritische Talkgast letztlich nach der Frage, wie viele echte Freunde der Manager habe.
Für Gregor Sieböck ist das Gehen letztlich zum Lebensinhalt geworden. Er ist eins mit der Natur, wenn er barfuß auf der Erde geht und am Boden schläft, er genießt die Begegnungen mit anderen Menschen. "Wir sind doch im Herzen alle eins", sagt er. "Diese ganzen Trennungen und kulturellen Unterscheidungen sind letzten Endes nur herbeigeredet." Im kalifornischen Santa Barbara saß er mit Obdachlosen beisammen, in San Francisco wurde er von Topbankern, in Hollywood von Schauspielern zum Essen eingeladen. So bunt die Leben der Menschen und die Begegnungen auch seien: "Die meisten reden über die Erde, ohne sie wirklich zu kennen."
Gregor Sieböck: Ein wandelbares Leben
*Gregor Sieböck ist gebürtiger Oberösterreicher, er lebt nach wie vor in seiner Heimat im Bezirk Kirchdorf im Traunviertel.
- Nach seiner wegweisenden Entscheidung, keine Karriere im diplomatischen Dienst oder in der Wirtschaft anstreben zu wollen, wurde er Weltenwanderer. Die längste seiner Touren dauerte drei Jahre, seine zweite Heimat fand er im südamerikanischen Patagonien.
- Er schrieb einige Bücher und hielt Vorträge, gemeinsam mit Freunden und Freundinnen arbeitete er an vier Dokumentarfilmen. Für ein Projekt des Chocolatiers Josef Zotter machte er eine Schokoladenweltreise, während der er Zulieferer besuchte und viel über Biolandbau und Fairtrade-Initiativen erfuhr.
- Seit 20 Jahren kann er von seinem Beruf "Weltenwanderer" leben beziehungsweise hat er entschieden, Kleinunternehmer zu bleiben, und akzeptiert damit eine Verdienstobergrenze. Das genügt ihm für ein gutes Leben. Würde er diese Grenze überschreiten, würde er das Geld spenden. Seine Einnahmen erzielt er überwiegend aus Vorträgen. Er bietet auch ausgewählte Reisen an, sagt aber selbst, dass er kein Reiseleiter sei, sondern Menschen dabei begleite, in die Natur einzutauchen, um sich selbst zu finden.
Dieser Artikel stammt aus dem Magazin "DIE BESTEN- Das Karrieremagazin".