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Lernen von Jägern und Sammlern für die neue Arbeitswelt

Kaum ein Lebensbereich verändert sich so rasant wie die Arbeitswelt. Was eine Anthropologin von der 40-Stunden-Woche hält und wie ein Lehr-Fürsprecher Lust auf Jobs macht.

Als Kulturanthropologin weiß Bettina Ludwig: Um Ideen abschöpfen zu können, braucht es andere Arbeitsmodelle als das bestehende. Besonders wichtig für sie? Raum für Kreativität und Austausch zwischen den Kolleginnen und Kollegen.
Als Kulturanthropologin weiß Bettina Ludwig: Um Ideen abschöpfen zu können, braucht es andere Arbeitsmodelle als das bestehende. Besonders wichtig für sie? Raum für Kreativität und Austausch zwischen den Kolleginnen und Kollegen.

"Die 40-Stunden-Woche mit acht Stunden Arbeit an fünf Tagen die Woche ist komplett aus der Zeit", sagt Bettina Ludwig. Die Kulturanthropologin beschäftigt sich auch mit dem Thema Arbeit. Sie weiß, welchen Stellenwert diese hatte, als Gesellschaften noch aus Jägern, Sammlerinnen und Sammlern bestanden. Die heutige Arbeitswelt mit fixen Arbeitszeiten sieht sie kritisch. "Wofür wir ganz sicher nicht gemacht sind? Acht Stunden und länger auf einem Sessel sitzen, ohne dass wir uns dabei großartig bewegen", stellt sie fest. Die Folgen, von Verspannungen bis hin zu Schmerzen im ganzen Körper, spüren viele Berufstätige am eigenen Leibe. "Menschheitsgeschichtlich gesehen arbeiten wir auf die aktuelle Art und Weise seit zu kurzer Zeit, um gute Lösungen für unsere aktuellen Bedürfnisse parat zu haben."

Flexibles Arbeiten entspricht dem menschlichen Wesen

Aus ihren Forschungen zieht die Wissenschafterin den Schluss, dass der moderne Mensch zwischen Wissensgesellschaft und Digitalisierung sich einiges von Jäger-und-Sammler-Gesellschaften abschauen kann, die heute noch etwa in der Kalahari-Wüste Namibias ihren Aufträgen für ein gutes gemeinsames Leben nachgehen. "Diese Leute arbeiten acht Stunden - pro Woche", sagt Ludwig, wohl wissend, dass dieses Pensum in der westlichen Welt nicht realistisch ist. Dennoch: "Unternehmen können beobachten und lernen. Etwa dass es Menschen guttut, Pausen selbst einzuteilen und nicht dann auszuruhen, wenn eine autoritäre Person von außen den Takt vorgibt." Darüber hinaus sei das flexible Arbeiten etwas, das hierzulande nicht nur dem Zeitgeist und dem Wunsch jüngerer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern vor allem dem menschlichen Wesen entspreche. Was Arbeitgeber davon haben? Beachtlichen Ideenreichtum zu unterschiedlichsten Uhrzeiten, wann immer eben Visionen am besten wachsen und im Team ausgetauscht und umgesetzt werden möchten beispielsweise. "Wenn wir Bürojobs neu definieren, soll so viel Raum für Kreativität und Austausch zwischen den Kollegen wie möglich geschaffen werden, ganz außerhalb des 9-bis-17-Uhr-Konzepts", sagt sie.

Strategien für die Zukunft

Dass dieses Konzept dabei ist, sich zu überholen, macht Bettina Ludwig daran fest, dass immer mehr Menschen mit 40-Stunden-Woche durch Beschwerden oder gar Kündigungen kundtun, so nicht weiterarbeiten zu wollen. Ob Lehrkräfte, ob in einem Büroteam, als Pflegekraft oder Experte im Zoo - "auf unterschiedlichen Bühnen leisten Menschen so viel und für all diese Berufsbilder gibt es kein Schwarz-Weiß", argumentiert die Anthropologin. Sie empfiehlt, sich mit Weitblick auf das komplexe Bild von Arbeit einzulassen, um Strategien für die Zukunft zu entwickeln. Antworten auf die Frage zu finden, wer wie arbeiten soll (und möchte), beschreibt sie als den Wendepunkt in der Diskussion um moderne Arbeit.

Schauplatzwechsel auf die Bühne von Ludwigs Zukunfts.Symposium. Wenn Robert Frasch über Lehre, Job und Karriere spricht, dann steht ein Mann vor seinem Publikum, dem das aktuelle Bild von der Lehrlingsausbildung in Österreich so gar nicht behagt. "Schätzt die Lehrlinge, schätzt die Lehre", ruft er zu einer Verbesserung des Images und zur Anerkennung dieser Berufsbilder auf. Er ist nicht nur selbst in der Ausbildung junger Fachkräfte tätig, sondern auch als Redner und Lobbyist für die Lehre im Einsatz. Er erklärt: "Lehrberufe bereiten Fachwissen auf und machen Jugendlichen, Eltern und Lehrern Lust auf Bildung."

Gerade in Zeiten des brennenden Fachkräftemangels brauchen Jugendliche passende Chancen zum Start ihres Berufslebens. Frasch ist bewusst, dass am Markt ein Kampf um die Jugend herrscht - immerhin suchen diverse Schulformen nach den gleichen Interessentinnen und Interessenten wie die Wirtschaftsbetriebe im Land. Wie also umgehen mit den immer spärlicher besetzten Ausbildungsplätzen für Lehrlinge? Ein Weg, zur Veränderung beizutragen, ist für den Burgenländer das Hervorheben von Vorbildern. Sie sollen Erfahrungen und Erfolge in die Öffentlichkeit tragen. Unternehmen seien angehalten, Berufswege mit und ohne akademischem Abschluss sichtbar zu machen, um Schülerinnen und Schülern eine Lehrstelle schmackhaft zu machen.

Apropos Schule: Frasch ist bewusst, dass Noten eine berufliche Zukunft intensiv prägen. Deshalb setzt er sich dafür ein, echte Wertschätzung auch jenen Lehrlingen gegenüber zu zeigen, deren Schulabschluss nicht glänzt. Sein Appell: "Noten sagen aus, was ein Schüler an angelerntem Wissen zu einem bestimmten Zeitpunkt reproduzieren konnte. Mehr nicht. Was zählt, sind die sozialen Fähigkeiten. Menschen sind keine Ressource, sie sind der Mittelpunkt."