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Babyboomer in der Pension: So verändert sich der Arbeitsmarkt in Österreich bis 2040

Babyboomer gehen in Pension, die Digitalisierung lässt kaum einen Arbeitsplatz aus, manche Jobs ändern sich von Grund auf. Bis 2040 gilt es weltweit eine Milliarde Menschen neu zu qualifizieren. Eine Herkulesaufgabe.

Ein großer Umbruch zeichnet sich am Arbeitsmarkt ab, da die Babyboomer in Pension gehen und die Digitalisierung immer mehr Arbeitsplätze beeinflusst.
Ein großer Umbruch zeichnet sich am Arbeitsmarkt ab, da die Babyboomer in Pension gehen und die Digitalisierung immer mehr Arbeitsplätze beeinflusst.

Bis 2040 wird sich der Arbeitsmarkt in Österreich deutlich verändern, knapp 400.000 Stellen werden neu zu besetzen sein. Schon jetzt hinterlässt der Abgang der Babyboomer vom Arbeitsmarkt Spuren. Dem gilt es entgegenzuwirken. In den nächsten Jahren verabschieden sich pro Jahr rund 100.000 Personen in den Ruhestand.

ÖBB stärkt Recruiting und Ausbildungsinitiativen

Unternehmen wie die ÖBB reagieren bereits, dort werden jährlich rund 4100 neue Mitarbeiter gesucht, allein in Salzburg gilt es heuer 400 Jobs zu besetzen. Die Personalabteilung stellte zuletzt ihr Recruiting um, bot neue Benefits, investierte in die Lehrlingsausbildung und erreichte im Vorjahr laut eigenen Angaben einen Bewerberrekord. Insgesamt bekundeten 120.000 Personen ihr Interesse für insgesamt 4000 Stellen. Die Zahl der Beschäftigten stieg um 5,4 Prozent auf 47.500. In manchen Bereichen winkt als Lockmittel sogar Bargeld: Im Fahrdienst und im Verschub erhalten neue Mitarbeiter nach Abschluss des Probemonats eine Prämie von 2500 Euro brutto.

Digital Skills fördern: Europa im Rückstand

Jobs attraktiv machen, mit dieser Herausforderung beschäftigt sich die Personalbranche derzeit intensiv. Nun ist es zudem erforderlich, den Menschen neue Fertigkeiten mit auf den Weg zu geben, um sie für eine digitale Zukunft zu rüsten. Im Jänner 2020 sprach man auf dem Weltwirtschaftsforum von einer Milliarde Menschen weltweit, die weitergebildet werden müssen. Gerade in Europa besteht im Bereich IT Aufholbedarf. In Österreich fühlt sich laut der beim Bundeskanzleramt angesiedelten Einheit "Digital Austria" ein Drittel der Bevölkerung online noch nicht ganz IT-fit, 65 Prozent verfügen über digitale Basiskompetenzen. Im EU-Schnitt sind das 55 Prozent, in den Niederlanden hingegen 83 Prozent.

Auch Amazon investiert in Mitarbeiterbildung

Der US-Internetriese Amazon sieht Aus- und Weiterbildung schon länger als ein großes Projekt und hat bereits 2012 sein Career-Choice-Programm ins Leben gerufen. Dabei nimmt das Unternehmen Milliardenbeträge in die Hand, um Mitarbeitende höher zu qualifizieren, ihnen durch Weiterbildung neue Karrierewege zu ermöglichen - von Matura, Branchenqualifizierungen, Sprachunterricht und IT-Qualifizierung bis zum Studium. Das gilt für Amazon-Standorte auf der ganzen Welt und Ausbildungsangebote bei rund 400 Bildungspartnern. Ist man ein Jahr beim Unternehmen, werden 95 Prozent der Kursgebühren bis zu einem Maximum von 8000 Dollar vom Arbeitgeber bezahlt.

In Oberösterreich macht es ein Abfallbetrieb vor

Freilich haben nicht alle Unternehmen diese Möglichkeiten, geschweige denn die finanziellen Mittel für solche Projekte. Doch Not macht erfinderisch, wie bei einem Abfallunternehmen in Oberösterreich, das händeringend Mitarbeiter suchte. Die Geschäftsführung nahm die Dienste eines Beratungshauses in Anspruch. Weil vorrangig Männer im Unternehmen beschäftigt waren, wurde zunächst geprüft, welche Rahmenbedingungen und Faktoren für Frauen nachhaltig interessant sein könnten, um beim Unternehmen anzuheuern. Dazu gehörten die flexible Gestaltung der Arbeitszeiten, die Möglichkeit zum Homeoffice oder Tagesplanungen, die Meetings am Vormittag vorsehen, um auch Teilzeitkräfte einzubinden.

"<zitat>Es ist nicht so, dass wir keine Arbeitskräfte mehr haben. Die Situation ist nicht so luxuriös wie früher. Es wird so bleiben."
Helmut Mahringer
Wifo-Ökonom</zitat>

Gearbeitet wurde zudem an der Unternehmenskultur, die auf ein stärkeres Miteinander abzielte: Kann eine Kraft eine Aufgabe etwa aufgrund von familiären Verpflichtungen nicht beenden, wird sie von einer anderen Person fertig bearbeitet. Weil sich in der Vergangenheit kaum Frauen auf Stellenanzeigen des Unternehmens bewarben, stellte man auch beim Recruiting um. Fortan wurden Frauen direkt angesprochen, die keiner Erwerbsarbeit nachgingen oder die man in Einrichtungen wie Kinderkrippen oder Kindergärten antraf. Die Jobprofile wurden einfacher formuliert, damit es auch aktiven Mitarbeitern möglich war, in ihrem Bekanntenkreis auf Suche nach neuen Kolleginnen zu gehen. Diese neue Ausrichtung trug Früchte: Schon bald hatte sich der Mitarbeiterstand von 15 auf 50 Personen erhöht, ein Drittel der Belegschaft ist weiblich.

Die alte Form der Jobbesetzung hat ausgedient

Die Jobbesetzung wird sich künftig nicht mehr an traditionellen Mustern orientieren können. Manche Bereiche werden sich für Menschen aus anderen Ländern öffnen müssen oder Frauen mit Betreuungsverpflichtungen in die Jobs holen, ist man im Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) überzeugt. Ältere Personen werden mit steigendem Pensionsalter flexibler werden müssen, Betriebe wiederum werden nicht umhinkönnen, Menschen ab 50 weiterzuqualifizieren. Das Wissen und die Kompetenzen der älteren Mitarbeiter werden oder müssen entsprechend anerkannt und gewürdigt werden.

Kompetenzmatching erweitert Jobchancen

Das neue Stichwort beim Recruiting lautet "Kompetenzmatching". Bisher waren Jobs eng mit den Berufsbildern verbunden. Der Schlosserbetrieb ist an einem Schlossergesellen interessiert, der Handelsbetrieb an einer Einzelhandelsfachverkäuferin. Das soll sich nun ändern, ist man jedenfalls beim Arbeitsmarktservice (AMS) überzeugt. Beim Kompetenzmatching orientiert man sich nicht mehr nur an einem Berufsbild, sondern auch an den Interessen und sonstigen Kompetenzen, die ein Mensch mitbringt. Grundsätzlich sei das eine gute Idee, die die Suchmöglichkeiten für Arbeitssuchende und Arbeitgeber erweitert, findet Helmut Mahringer vom Wirtschaftsforschungsinstitut, wenn er auch gewisse Unschärfen sieht. Im Moment lägen noch keine Ergebnisse vor, wie viele "Fehlbesetzungen" dadurch stattgefunden hätten respektive wo Kompetenzmatchings gar nicht erfolgt sind, obwohl sie möglich gewesen wären.

Auch privat erworbenes Wissen wird wichtig

Der Arbeitsmarkt wird vielschichtiger, genauso die Ausbildungslandschaft und das Wissen, das jeder Mensch sammelt. Das müsse künftig bei der Jobbesetzung stärker berücksichtigt werden, sagt Wifo-Forscher Mahringer. "Es gibt viele Skills und Kompetenzen, die nicht typischerweise nur einer Erstausbildung zuzuordnen sind", etwa Sprachkenntnisse oder IT-Wissen, das man sich privat angeeignet hat, immerhin Qualifikationen, die in einer digitalisierten und internationalisierten Wirtschaft wichtig seien, ergänzt er.

Für die Unternehmen wiederum bedeutet das, die interne Kommunikation an die neuen Bedingungen anzupassen, um spätere Konflikte zu vermeiden. Die werden sich durch die neuen Herausforderungen zwangsläufig ergeben, etwa wenn es gilt, Quereinsteiger einzuschulen, während die Stammbesetzung mit ihren Aufgaben genug ausgelastet ist. Für junge Menschen wiederum müssten neue Formen der Ansprache gefunden werden, weniger hierarchisch, ist der Wifo-Forscher überzeugt. "Die Belegschaftsstruktur wird diverser, es wird in Zukunft nicht mehr damit getan sein, das Recruiting breiter aufzusetzen", sagt Mahringer.

Nicht mehr im bekannten Ausmaß funktionieren werde die Freisetzung von Mitarbeitern in Saisonberufen. Diese Jobs gehörten neu definiert. "Es ist nicht so, dass wir keine Arbeitskräfte mehr haben", sagt Helmut Mahringer. "Die Situation ist nicht mehr so luxuriös wie früher, als sich hundert Menschen auf einen Job beworben haben. Es wird eher so bleiben, wie es aktuell ist."

Mehr Bereitschaft zur Weiterbildung gefordert

Um- und Weiterbildung wird das Gebot der Stunde werden. Doch nur 36 Prozent der Unternehmen setzen laut einer Untersuchung des Personaldienstleisters Hays aktiv auf "Reskilling", also auf Umschulung, lediglich 27 Prozent der Beschäftigten sind in Reskilling-Maßnahmen involviert. Reskilling zielt auf die Anpassung an neue Arbeitsbereiche ab, auf die Erhöhung fachlicher Kompetenzen, vor allem im IT-Bereich, in der Produktion, dem Vertrieb und dem Kundenservice.

Die Situation ist herausfordernd für alle Seiten, auch und gerade für die Arbeitnehmer, denen mehr Bereitschaft zu Umschulung und Weiterbildung abverlangt werden muss. Experten sind sich einig, dass es mehr Transparenz über die Weiterbildungslandschaft bräuchte, besonders für weniger qualifizierte Arbeitskräfte.