Machen Kunstausstellungen Menschen empathischer? Oder kann der Besuch einer solchen sogar Einstellungen und Verhaltensweisen verändern? Diesen Fragestellungen widmete sich ein internationales Team unter der Leitung von Forscherinnen und Forschern der Universität Wien in Zusammenarbeit mit dem Dom-Museum Wien (DMW). "Die Frage, wie Kunst uns zu bewussteren und empathischeren Menschen macht oder die Reaktionen der Menschen auf gesellschaftliche Herausforderungen, wie Klimawandel und Flüchtlinge, verändern kann, ist für Kunstinstitutionen, Künstlerinnen und Künstler, Kommunen und Kulturpolitikerinnen und -politiker von wachsendem Interesse", ist Matthew Pelowski, Fakultät für Psychologie der Universität Wien und Hauptautor der Studie, überzeugt.
Der Forschungszugang
Um die eingangs erwähnten Fragen zu beantworten, untersuchte das Forschungsteam die Erfahrungen der Besucherinnen und Besucher rund um die Ausstellung "Zeig mir deine Wunde" - kuratiert von Johanna Schwanberg und Klaus Speidel im Dom-Museum Wien. Die Ausstellung nutzte eine Mischung aus zeitgenössischer und historischer Kunst, um das Thema der Verletzlichkeit in den Mittelpunkt zu stellen. Speidel: "In den vergangenen Jahren hat sich der Blick auf die Kunst in unserer Gesellschaft gewandelt. Die Künste werden nicht mehr als reine Freizeitbeschäftigung angesehen, sondern vielmehr als eine mächtige und oft ungenutzte Ressource für Gesundheit, Lernen und persönliches oder gesellschaftliches Wohlbefinden."
Für die Studie führten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter zwei Tests durch: Gegen eine Freikarte für die Ausstellung wurden Passanten zu Studienteilnehmenden. Das Forschungsteam befragte diese in Bezug auf ihre empathische Sorge für andere sowie ihre Fremdenfeindlichkeit und wie es um ihre Bereitschaft bestellt sei, Flüchtlinge in ihrem Land aufzunehmen - sowohl unmittelbar vor als auch nach dem Besuch.
Studie zeigt: Kunst beeinflusst Verhalten
Pelowski: "Trotz des großen Interesses am Thema gibt es erstaunlich wenige Daten darüber, ob der Besuch einer Ausstellung oder die Betrachtung eines Kunstwerks wirklich etwas bewirkt - insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf das Denken und Verhalten der Menschen. Es ist völlig unbekannt, wie lange eine solche Wirkung anhält oder welche Art von Wirkung wir überhaupt feststellen können." Laut Studie stellte sich heraus, dass das Betrachten einer Ausstellung die Fremdenfeindlichkeit verringerte und die Akzeptanz von Einwanderung erhöhte. Doch: Wie lange hält diese vermehrt soziale und empathische Einstellung an?
Ausstellung erhöht soziales Engagement
In einem zweiten Schritt gingen die Forschenden deshalb der Frage nach, wie sich der Besuch auf das Leben der Museumsbesucherinnen und -besucher auswirkt, wenn nach dem Verlassen der Ausstellung wieder Alltag einkehrt. 41 Personen aus einer zweiten Untersuchungsgruppe berichteten in der Woche vor Ausstellungsbesuch und der Woche nach dem Besuch per App über ihre Gedanken und Handlungen. Mit einem Vergleich der Angaben davor und danach konnten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter zeigen, dass die Teilnehmenden nach dem Besuch der Ausstellung tatsächlich versucht hatten, sozialer und offener zu denken und zu handeln und anderen mehr zu helfen. Die meisten dieser Veränderungen hielten für den Rest des Tages an. Die Teilnehmenden berichteten überdies, dass sie auch in der darauffolgenden Woche "versuchten, auf die Gefühle anderer Rücksicht zu nehmen" und "mehr über sich selbst nachzudenken"
Die Rolle von Kunst in der Gesellschaft
"Diese Ergebnisse sind einer der ersten Belege dafür, dass selbst ein kurzer Besuch einer Ausstellung, insbesondere einer Ausstellung, die zeitgenössische Kunst zur Bewältigung einer neuen gesellschaftlichen Herausforderung einsetzt, eine spürbare und dauerhafte Veränderung bewirken kann", so Pelowski. Selbst wenn die Wirkung kürzer ist, sei sie positiv: "Wenn wir an all die Tausenden von Menschen denken, die eine Ausstellung besuchen könnten, und wenn jeder an diesem Tag ein bisschen mehr an andere denkt oder versucht, offener und akzeptierender zu sein, kann das zu einem starken Effekt führen." Die Tatsache, dass die Menschen tatsächlich versuchten, an andere zu denken, und bis zu eine Woche lang nachdenklicher waren, sei ein spannender Beweis für die Art von Rolle, die die Kunst in der Gesellschaft spielen könne, und bilde die Basis für weitere Forschung, resümiert das Wissenschaftsteam. Laut Uni Wien liefert die Studie auch wichtige Erkenntnisse zum Thema "Kunst als Mittel zur Auseinandersetzung mit der Einstellung zu Einwanderung und Flüchtlingen" - ein Thema, das zunehmend in den Fokus rückt, da Kuratorinnen und Künstler versuchen, auf die weltweiten geopolitischen Ereignisse zu reagieren. "Die Biennale von Venedig zum Beispiel, die den Titel ,Foreigners Everywhere' trug, war Gegenstand zahlreicher Diskussionen über den Einfluss der Kunst auf die Einstellung der Menschen zur Immigration", meint Pelowski. "Unsere Studie untermauert die Idee, dass Ausstellungen ein verlässliches Instrument sind, um gesellschaftliche Themen zu beleuchten."