Der Wind pfeift, die Wellen schlagen gegen die Umspannungsplattform des Windparks. 120 Kilometer vom Festland entfernt - Wasser, so weit das Auge reicht. Martina Schepe sitzt in ihrem Büro, das gleichzeitig die Krankenstation ist. Die Plattform ist fest mit dem Meeresboden verbunden, der Stahlkoloss schwankt dennoch aufgrund des starken Seegangs. Die 29-jährige Notfallsanitäterin kommt dann zum Einsatz, wenn sich jemand auf dem Gelände des Windparks verletzt oder krank wird. Läuft alles gut und niemand braucht ihre Hilfe in gesundheitlichen Belangen, kümmert sie sich um die Helikopterflüge vom und zum Windpark.
So studiert man auf dem Meer
Schepes Studienfach ist Psychologie - diesem widmet sie sich, wenn sie nicht gerade als Sanitäterin arbeitet. Wie gehen Arbeitsort und Studium zusammen? Die 29-Jährige absolviert ihr Bachelorstudium an der SRH Fernhochschule, einer Privatuniversität mit Hauptsitz in Heidelberg, die auf berufsbegleitende Onlinestudien spezialisiert ist. Eine andere Form der Ausbildung wäre so auf dem offenen Meer auch nicht möglich. "Ich habe hier viel Zeit, bin aber örtlich sehr gebunden", sagt Schepe. "Mal eben schnell in die Hochschule zur Vorlesung, das geht nicht." Immerhin trennt sie ein 45-minütiger Hubschrauberflug vom Festland.
Wie darf man sich das Studieren auf dem Meer vorstellen? Zeitlich und technisch gesehen sind die Voraussetzungen gut, um mit dem Studium voranzukommen, wie Schepe bestätigt: "Was wir hier haben, ist eine sehr gute Internetverbindung über Glasfaser." Große Videodateien oder wissenschaftliche Podcasts sind daher kein Problem - außerdem wartet die Vorlesung, wenn ein Notfall reinkommt. In dem Fall drückt Schepe einfach die Pause-Taste und versorgt ihre Patientinnen und Patienten. Insgesamt ist die Studentin für die gesundheitliche Versorgung von 45 Personen verantwortlich. Sollte ein größerer Unfall passieren und ein Abtransport der verletzten Person nötig sein, braucht der Rettungshubschrauber circa eine Stunde.
Alltag auf der Plattform
Vom Ablauf sind immer zwei Wochen auf dem Windpark und zwei Wochen Freizeit an Land angesagt. Eine Schicht der Notfallsanitäterin dauert zwölf Stunden, erreichbar ist sie allerdings auch danach: "Mein Funkgerät und mein Handy sind rund um die Uhr bei mir", so Schepe.
Weit weg von der nächsten Stadt - wie ist es da mit der Einsamkeit? Das Leben, wie man es vom Festland kennt, ist schließlich doch recht eingeschränkt: "Man muss schon der Typ dafür sein", schmunzelt Schepe. Sie telefoniere viel mit Freunden und der Familie. Trotz der Abgeschiedenheit gäbe es keinen besseren Job für sie, wie sie sagt: "Wir sind hier auch ein bisschen wie eine große WG." Auf der Trafoplattform wohnen und leben alle, die im Windpark arbeiten. Das Gute daran im Vergleich zu einer richtigen Studenten-Wohngemeinschaft: Es muss nicht selbst gekocht werden. "Wir haben immer Cateringpersonal auf der Plattform. Das ist sehr angenehm. An Feiertagen oder an meinem Geburtstag wird richtig groß aufgefahren", sagt die 29-Jährige und lacht.
Es hat also doch auch so seine Vorteile, auf hoher See zu leben, zu arbeiten und zu studieren. Was nämlich zudem wegfällt: Einkaufen, Putzen und Freizeitstress. Nachdem außer Studieren und Arbeiten nicht viel angesagt ist auf Schepes Plattform, ist nach nur etwa einem Jahr demnächst bereits das Ende ihres Bachelorstudiums der Psychologie in Sicht: "Im Sommer folgt die Bachelorarbeit."
Ohne (Überlebens-)Training geht nichts
Zurück an Land geht es wie erwähnt nur per Helikopterflug - aufgeregt ist die Studentin deswegen mittlerweile nicht mehr. "Die meiste Zeit schlafe ich", meint sie. Ihr erster Flug hingegen war doch mit Aufregung verbunden, wie Schepe erzählt: "Das war natürlich sehr aufregend, ich habe lange darauf hingefiebert." Bevor man fliegen und sich auf dem Windpark bewegen darf, ist Training notwendig. Dazu gehören: Schwimmen im Überlebensanzug, ein 24-Stunden-Überlebenstraining auf See und das Abseilen aus einem Helikopter.
Wie schauen ihre Ziele für die Zukunft aus? "Am liebsten würde ich im gleichen Rahmen auch den Master machen. Für mich gibt es aktuell keinen besseren Arbeitsplatz", meint Schepe. Was es dazu braucht? Mut, Ehrgeiz und Durchhaltevermögen. Dann lassen sich Träume verwirklichen. Unabhängig davon, wo man sich gerade befindet.