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Wie viel Distanz verträgt das Studium?

Studierende, die ihre Universität kaum von innen kennen, und Kurse, die vom Bildschirm profitieren: Wo physische Treffen Zeit sparen - und wo sie nicht zu ersetzen sind.

Das Distance Learning bringt auch einige Vorteile mit sich.
Das Distance Learning bringt auch einige Vorteile mit sich.

Leere Gänge, stille Hörsäle, die Mensen ohne Essensduft - das Studentenleben hat sich coronabedingt seit rund einem Jahr ausgerechnet aus jenem Gebäude zurückgezogen, in dem seit jeher in Gruppen diskutiert und Wissen vermittelt wird. Studierende lernen und arbeiten überwiegend zu Hause, die Situation ist für alle Universitäten weltweit die gleiche. Der Druck ist für alle Beteiligten gestiegen, Vorlesungen und andere Lehrveranstaltungstypen haben sich ins Internet verlagert. "Das Studium ist nicht weniger Aufwand, nur weil es von zu Hause aus betrieben wird", erklärt Martin Weichbold, Vizerektor für Lehre und Studium an der Universität Salzburg. Er weiß, dass es bei Studierenden und Lehrenden immer wieder Frust gibt und die Nerven auch schon einmal blank liegen.

Fehlender Kontakt bei Studienanfängern

Dabei unterscheidet Weichbold zwischen Studienanfängern und jenen Frauen und Männern, die schon einige Semester absolviert haben. Denn gerade am Anfang sei die soziale Einbindung wichtig.

Bild: SN/robert ratzer
„Wer im Herbst begonnen hat, kennt seine Uni nicht, hat das Uni-Leben nicht erfahren und immer nur Distance Learning erlebt.“
Martin Weichbold, Vizerektor für Lehre, Universität Salzburg

Viele Erlebnisse fehlten. Liefe alles normal, klappe die natürliche Bindung an die Fakultät sehr schnell, ebenso das gemeinsame Lernen und der Austausch mit Kommilitonen - bei Lehrveranstaltungen und bei Nachbesprechungen samt dem einen oder anderen Getränk. Nun funktioniere Vernetzung notgedrungen über Lernplattformen und soziale Netzwerke. Höhersemestrige hingegen verfügten bereits über ein tragendes Netz aus Kontakten, die sie weiter pflegen können. Weichbold: "Motivation und die soziale Komponente fehlen einfach, wenn man allein kämpft."

Hälfte des Masterstudiums im Distance Learning

Er weist darauf hin, dass Masterstudien je nach Curriculum etwa vier Jahre dauern; wer sie derzeit absolviere, verbringe bereits die Hälfte der Studienzeit im Distance Learning. Seine Erfahrung zeige jedenfalls, dass Master- und MBA-Studierende mit der aktuellen Situation etwas besser zurechtkämen - auch wenn sie stark zurückstecken müssten.

Auslandsaufenthalte fallen so gut wie aus

Stichwort Auslandsaufenthalte: Die sind ebenso Fehlanzeige, mit ganz wenigen Ausnahmen beziehungsweise Alternativen. "Manche bieten Online-Auslandssemester, etwa für den berufsbegleitenden MBA an", sagt Weichbold. Schnell fügt er hinzu: "Aber das ist nur der halbe Spaß." Immerhin gehe es bei einem Aufenthalt in einem anderen Land darum, Menschen, Stadt, Natur zu erleben. Außerdem brächten einige Wochen oder Monate in der Ferne bessere Chancen am Arbeitsmarkt, so Auslandserfahrung in einer Branche ein Kriterium sei, gibt er zu Bedenken. "Auch hier sind wir alle in derselben Lage und können es wegen der Pandemie nicht ändern. Dass diese zusätzlichen Erfahrungen so nicht möglich sind, ist sehr schade." Auf die Frage nach Erasmus-Aktivitäten betont er, dass das Programm bei Weitem nicht stillstehe. Freilich seien Angebot und Nachfrage stark zurückgegangen. Gelegentlich fänden sich jedoch Wege, das EU-Förderprogramm zu nutzen.

Nicht alle Kurse können online stattfinden

Zu den definitiven Grenzen des Lernens vor dem Bildschirm sagt der Vizerektor: "Wo das definitiv nicht geht und wo wir es schon jetzt nicht machen können, ist überall da, wo die Studierenden spezielles Equipment brauchen. Das betrifft Labors. Wir können niemanden daheim chemische Experimente machen lassen. Oder sportpraktische Übungen. Keiner kann daheim Reckturnen. Da braucht es Livesituationen mit guten Sicherheitsvorkehrungen." Als weiteres Beispiel nennt er Audio- und Videoschnittkurse an der Kommunikationswissenschaft. Diese komplexen Programme nicht direkt von Profis erklärt zu bekommen sei keine Option.

Vorteile des Distance Learnings

Doch was können positive Erfahrungen aus den vergangenen Monaten sein, die auch gut in die Zukunft der Bildung passen? Martin Weichbold sagt, dass die Universität Salzburg gerade einen Prozess aufsetze. "Was nehmen wir mit, wie sieht die Lehre der Zukunft aus", lauten dabei die Fragen. Gerade für den konsekutiven Master und MBA funktioniere das Onlinelernen über Strecken gut, "weil es auch die Lebenswirklichkeit von jenen trifft, die neben dem Studium arbeiten". Nicht bei allen Terminen persönlich anwesend sein zu müssen spare Zeit und mache Termine für alle eher möglich. Weiters sei zu überlegen, wie die Didaktik der Zukunft aussehen könne. Die Frage laute, wie sinnvoll es sei, dass jede Woche etliche Studierende zu großen Vorlesungen an einem Ort zusammenkämen, um zuzuhören, ohne die Möglichkeit zum Diskutieren zu haben.

Ein Zusammenspiel aus Anwesenheit und Distanz

Weichbolds Fazit: "Die Präsenz, die wir sehr schätzen, werden wir nicht aufgeben - und Distanz dort einsetzen, wo sie gut passt, wo man interagieren, Dinge austauschen kann." Lehrveranstaltungen mit Vorlesungscharakter ließen sich wohl anders lösen, als in großen Gruppen im Audimax zu sitzen. Nach eingehenden Diskussionen sollen Regularien und ein Commitment entstehen. Sie müssen auch die Qualität in der Lehre sichern, "denn ich möchte nicht, dass jemand seine Inhalte einmal aufzeichnet und dann Semester für Semester abspielt". Im Endeffekt laute die Frage nicht, ob man sich für Anwesenheit oder Distanz entscheide, sondern wie beides sinnvoll miteinander zu kombinieren sei.