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Mercedes-Benz Chef Michael Jopp: "Wir leisten momentan in Österreich Pionierarbeit"

Der neue Chef von Mercedes-Benz Vans in Österreich im Interview. Michael Jopp über große Transformationen und anstehende Herausforderungen.

Michael Jopp ist Managing Director Vans bei Mercedes-Benz Österreich.
Michael Jopp ist Managing Director Vans bei Mercedes-Benz Österreich.

Seit dem 18. Jänner 2023 ist Michael Jopp das neue Gesicht an der Spitze der Van-Sparte von Mercedes-Benz Österreich.

Herr Jopp, leiden Sie nach Ihrem Wechsel von Südostasien nach Österreich noch an einem Kulturschock? Michael Jopp: Ja und nein. Ich bin von meinem Team sehr gut aufgenommen worden. Grundsätzlich ist es das Schöne an unserem Konzern, dass es Möglichkeiten gibt, an verschiedenen Orten zu arbeiten. Da waren zuletzt mit Indien und Malaysia zwei exotischere dabei. Vorher war ich aber auch lange Zeit in Berlin. Man muss sich natürlich auf die Mentalität der Menschen einlassen, da gibt es enorme Unterschiede. Auf der anderen Seite sind die Mechanismen am Markt weitestgehend gleich. Die Bereitschaft, mit kurzfristigen, radikalen Änderungen umzugehen, lernt man in solchen Märkten auf jeden Fall sehr gut.

Was hat für Sie den Reiz ausgemacht, nach Österreich zu wechseln? Unser Geschäft ist so dynamisch, irgendwas ist immer. Es geht immer darum, diese Dinge auszubalancieren. Da ist es auch relativ egal, ob das in Österreich ist oder in Südostasien oder in Deutschland. In Österreich haben wir vor rund eineinhalb Jahren vom Händler- auf das Agentenmodell umgestellt. In diesem Zeitraum haben alle Beteiligten, auch die Händler, wichtige Learnings durchgemacht. Da ist es wichtig zu verstehen, wo wir aktuell stehen. Was funktioniert schon, was ist noch zu erledigen?

Können Sie die Sachlage erklären? Der Paradigmenwechsel ist sowohl aus Sicht der Händler als auch aus Sicht des Herstellers natürlich recht groß. Das alte Geschäftsmodell lautete: Wir verkaufen dem Händler ein Auto zu einem Listenpreis abzüglich einer Marge und der Händler verkauft es auf eigene Verantwortung weiter. Dieses Modell hat über 100 Jahre teilweise gut, aber mit Nachteilen funktioniert. Bei der neuen Lösung stellt nicht mehr der bisherige Händler die Rechnung, sondern die Geschäftsbeziehung besteht direkt zwischen Kunde und Hersteller. Der Händler fungiert dabei als Agent, vermittelt uns den Kunden und erhält dafür eine Provision. Aus Sicht des Agenten bringt das ein deutlich verringertes Geschäftsrisiko und eine deutlich planbarere niedrige Kostenbasis. Für uns als Hersteller ist der Vorteil der unmittelbare Kontakt zum Kunden, das unmittelbare Feedback.

Wo liegen aus Ihrer Sicht bei dem neuen Modell die Vorteile? Der Agent bleibt nach wie vor der primäre Ansprechpartner des Kunden. Das bisherige Verhandeln fällt komplett weg, es gibt einen fixen Preis und von jedem Agenten den gleichen Liefertermin. Und sowohl der Kunde als auch der Agent haben die Sicherheit, dass die Konditionen zu diesem Zeitpunkt für alle gleich und stets die bestmöglichen sind. Und das wird über kurz oder lang dazu führen, dass der Verkaufsprozess viel effizienter wird; der Agent kann sich auf den qualitativen Bereich des Kundenservice konzentrieren. Aus den Gesprächen, die ich in den ersten Monaten geführt habe, habe ich mitgenommen, dass diese Vorteile klar überwiegen.

Zu wie viel Prozent ist die Umstellung am Markt bereits umgesetzt? Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen, es läuft sehr gut, aber natürlich sind wir weiter am Verbessern. Man muss auch bedenken, dass wir gerade zu Beginn der Umstellungsphase mit der Pandemie auch ganz andere Probleme zu lösen hatten. Da wurden gefühlsmäßig manchmal verschiedene Themen miteinander vermischt, die inhaltlich nichts miteinander zu tun haben und die im Händlermodell ebenso passiert wären.

Das zweite große Thema ist die E-Mobilität. Die Transformation zu Elektromobilität begleitet mich schon länger. Ich war schon vor über zehn Jahren bei smart in Deutschland für die Einführung des ersten elektrischen Modells zuständig. Damals wurde in Deutschland das Ziel formuliert, bis 2020 eine Million E-Fahrzeuge auf der Straße zu haben. Das hat ja bekanntlich aus unterschiedlichen Gründen leider nicht funktioniert. Aber nun hat die Transformation ja tatsächlich angefangen und es ist extrem spannend zu sehen, welchen Beitrag wir leisten können, wo wir Einfluss nehmen können.

Stichwort E-Mobilität: In diesem Zusammenhang wird häufig argumentiert, dass die Umstellung ein rein europäisches Phänomen sei, das nirgendwo anders relevant sei. Wie sind Ihre persönlichen Erfahrungen in Südostasien und Indien dazu? Nein, das stimmt eindeutig nicht - zumindest für jene Märkte, die ich kenne. Die haben sich bereits auf eine ähnliche Reise begeben wie wir hier in Europa. Spannend in diesem Zusammenhang: 2019 war die E-Mobilität in Singapur noch so gut wie nicht relevant. Dann wurde binnen weniger Monate die Gesetzgebung komplett geändert, was dazu geführt hat, dass dort die Transformation voll angelaufen ist. Die werden dort bis 2030 überwiegend emissionsfrei sein, daran besteht kein Zweifel mehr. In Malaysia ist die Situation ähnlich. Auch in Indien sind die Ziele die gleichen - natürlich wird es dort nochmals deutlich schwerer, sie auch umzusetzen. Aber gerade in den für uns relevanten Segmenten wird es schnell gehen.

Mathias Geisen, global für Mercedes-Benz Vans verantwortlich, hat kürzlich in einem Interview gemeint, er rechne bis 2030 bei den Nutzfahrzeugen mit einer Elektrifizierungsquote von 50 Prozent. Wie schätzen Sie die Situation in Österreich ein? Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Quote in Österreich im Jahr 2030 deutlich höher sein wird als 50 Prozent. Einerseits, weil ich von unseren kommenden Produkten überzeugt bin und weiß, dass die das ermöglichen werden. Andererseits wird sich die Infrastruktur weiterentwickeln. Nicht von allein, da muss man natürlich weiterhin dranbleiben. Aber ich bin optimistisch. Und für jene Kunden, denen es dann noch nicht passt, werden wir dann immer noch ein konventionelles Portfolio haben.

Werden E-Fuels aus Ihrer Sicht in dieser Umstellungsphase eine Rolle spielen? Unsere Strategie ist klar batterieelektrisch. Es wird sicher Einsatzgebiete für E-Fuels geben. Mein Bauchgefühl sagt mir aber, dass diese eher außerhalb der Automobilindustrie liegen werden. Genauere Entwicklungen sind aus heutiger Sicht nicht seriös abschätzbar.

Spielen die Lieferschwierigkeiten der vergangenen Monate aktuell noch eine große Rolle? Das vergangene Jahr war in dieser Hinsicht eines der schwierigsten. Heuer sind wir stabil aufgestellt. Wir werden deutlich mehr Fahrzeuge ausliefern als im letzten Jahr. Es gibt aber immer noch Verzögerungen und Verschiebungen. Die Planbarkeit ist immer noch nicht so, wie sie idealerweise sein sollte. Aber jene Kunden, denen wir eine Auslieferung für dieses Jahr versprochen haben, können sich darauf verlassen.

Welches Ziel haben Sie sich auf beruflicher Ebene für Ihr erstes Jahr gesetzt? Die Kennenlernphase mit dem Team ist nun schon abgehakt. Jetzt geht es darum, die weiteren Spezifika des österreichischen Marktes kennenzulernen und zu verinnerlichen. Ich bin kein Anhänger von großen, radikalen Änderungen. Lieber beschäftige ich mich mit dem Feintuning. Spannend ist auf jeden Fall auch, unsere Learnings in Bezug auf das Agentenmodell auch an unsere Kollegen in Ländern weiterzugeben, wo die Umstellung noch bevorsteht.

ZUR PERSON

Viel gereister Automobilmanager
Der gebürtige Marburger Michael Jopp (51) begann seine Karriere 2003 als Produktmanager bei smart. Es folgten Stationen bei Chrysler und abermals smart, bis er 2013 in die Vertriebsabteilung von Mercedes-Benz Deutschland nach Berlin wechselte. Ab 2016 war Michael Jopp für die Bereiche Sales und Marketing der Marke in Indien zuständig, von 2019 bis Ende 2022 in Malaysia und Südostasien. Anfang 2023 übernahm er die Position des Managing Director Sales & Marketing Van in Österreich und folgte auf Markus Berben-Gasteiger.