"Die Stadtentwicklung der Zukunft" im Frauennetzwerk Salon Real. Künftige Herausforderungen im Städtebau lassen sich nicht mit Einzelobjekten lösen.
BILD: SN/Y. B. PHOTOGRAPHY - STOCK.ADOBE.COM
Stadtentwicklung bedeutet Quartiersentwicklung, auch in Wien.
Planetare Grenzen. Das ist ein Stichwort, das noch relativ neu in der öffentlichen Diskussion ist. Und doch umschreibt der Begriff gut, vor welchen Herausforderungen die Menschen und ihre Art zu leben stehen. Und das kann auch die Bundeshauptstadt Wien und ihre Stadtplanung betreffen. Tobias Riepl, Forscher im Bereich Klima- und Sozialpolitik am Umweltdepartment der CEU (Central European University) mit Fokus auf der Wiener Stadtplanung, beschäftigte sich auf Einladung des Salon Real, eines Frauennetzwerks der Wiener Immobilienszene, genau mit diesem Thema der Stadtquartiersentwicklung. Er spricht vor allem davon, dass die Rahmenbedingungen zuerst einmal passen müssen, dazu gehören soziale Minima, also ein Status (etwa die Lebenserwartung), den jeder erreichen können sollte.
"Dazu gibt es ökologische Maxima, die in Österreich aber alle überschritten werden", sagt Riepl. Zur Lösung müsste man die Differenz zwischen Hedonismus (also einer lustbasierten Selbstsicht) und Eudämonismus (dem Glück als Ziel menschlichen Handelns) überwinden. "In der Stadtplanung ist Eudämonismus besser, also objektive Kriterien mit umsetzbaren Zielen, die erfüllt werden müssen." Der Fokus auf gesellschaftlichem Gemeinwohl sei dabei unabdingbar und zeitgemäß, etwa in Hinblick auf den Klimawandel.
"Wer ist für die Quartiersentwicklung zuständig, die jeweilige Stadt oder ein Bauträger?"
Claudia Nutz
GF Nutzeffekt
Riepl misst der Alltagsökonomie eine hohe gesellschaftliche Effizienz zu. Eine sinnvolle Ressourcennutzung (etwa für lebensnotwendige Güter) und eine kollektive Ressourcennutzung (der gesellschaftliche Konsum) schafften einen gesellschaftlichen Wohlstand und stärkten die Akzeptanz für eine ehrgeizige Klimapolitik. Wichtig seien der Zugang der Menschen zur Infrastruktur der Alltagsökonomie und ein Recht auf diesen Zugang, also beispielsweise zu Schulbildung. Was Wien betrifft, so sehe er, dass Menschen mit einem höheren sozioökonomischen Status einen besseren Zugang zur Alltagsökonomie haben und umgekehrt. "Es gibt auch in Wien noch Lücken", lautet die Analyse.
Was bedeutet das nun für die Stärken und Schwächen in der Quartiersentwicklung?
Claudia Nutz, Geschäftsführerin von Nutzeffekt, einem Beratungsunternehmen in der Stadtentwicklung: "Die Frage ist, wer für die Quartiersentwicklung zuständig ist, die jeweilige Stadt oder ein Bauträger?" Projekte seien dann am schlechtesten, wenn Verwaltung und Entwicklung unterschiedliche Ziele verfolgen. Nutz: "Es ist schwierig, über Stadtplanung und Bebauungsplan für die nächsten 10 oder 20 Jahre alles festzuzurren. Da sind offene Projekte besser, die nicht ein enges Konzept bekommen haben."
Es braucht die Menschen für Quartiere
Ein Hauptproblem in der Quartiersentwicklung: Es brauche Menschen, die mitgehen, ergänzt Hannes Horvath von der Hand GmbH, einem Unternehmen für nachhaltige Stadt- und Projektentwicklung. Vor allem, wenn mehr als 100 Personen beteiligt sind. "Es ist schwierig, die Politik und alle Stakeholder an Bord zu bekommen", sagt Horvath. "Wir sollten weniger, dafür intelligenter bauen." Ein Hebel dafür könnte die Alltagsökonomie sein. Horvath: "Wir müssen uns auf die Bedürfnisse konzentrieren. Die Bauordnung in Wien geht etwa davon aus, dass das Klima konstant bleibe, das stimmt aber nicht, es ändert sich." Alle müssten Stadtentwicklung neu denken.
"Für die Politik wird die größte Herausforderung sein, die Regelwerke anzupassen und sinnvoll zu reduzieren", erklärt Horvath. Ein konkretes Beispiel hierfür ist die grundsätzliche Konfiguration der Stadt nach der Bauordnung, mit Mindestabständen, Dichten, Belichtungsthemen etc. Man müsse aber im übertragenen Sinn ein Haus von unten aufbauen und nicht oben alles den Spezialisten überlassen.
Noch etwas stößt dem Experten sauer auf: Die Immobilienbranche sei in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem Akteur der Finanzindustrie geworden: "Es wurde für Fonds, Anleger und Pensionskassen gebaut, nicht für die Nutzer und deren Bedürfnisse. Das war eine Fehlentwicklung."
Expertin Claudia Nutz führt noch eine Herausforderung an: "Quartiersentwicklung im Bestand wird ein riesiges Thema, das ist viel komplexer und schwieriger als der Neubau. Dafür braucht es auch die öffentliche Hand."
Voraussetzungen für Quartiersentwicklungen sind unterschiedlich
Die Voraussetzungen sind dabei durchaus unterschiedlich. So sei die Stadtstruktur beispielsweise von Barcelona auf Freiräume ausgelegt, in Wien sei es umgekehrt. "In Wien gab es in den vergangenen 100 Jahren keine Wärmeperioden. Das ist jetzt anders, deshalb sollten wir Wien wie Kairo planen, mit engen Gassen, und auch das Thema Versiegelung ernst nehmen." Es müssten in der Quartiersentwicklung künftig Dinge gelöst werden, die über ein einzelnes Objekt nicht zu machen sind.
Und da kommen auch viele individuelle Interessen ins Spiel. Nutz: "Es geht ja um Beteiligung. Derzeit geht es vielen eher darum, persönlichen Schaden zu minimieren, als das Ganze zu sehen." Dann dauere es mitunter lange, bis die entsprechenden Botschaften ankommen. Sie nennt als Beispiel die deutsche Stadt Kassel, wo es einer zehn Jahre dauernden Periode der Entwicklungsbetreuung bedurfte, ehe das Projekt von selbst laufen konnte. "Es gab viele Interventionen, die aber keinen Fortschritt brachten." Oft seien vor allem Männer in die Entwicklung und Planung involviert. Nutz: "Wir müssen viel mehr Frauen in solche Projekte reinbringen."
Außerdem sollte man dorthin schauen, wie Dinge bisher gelöst wurden, rät Hannes Horvath. Am Beispiel Wien nennt er den Altbestand: "So ein altes Haus hat schon die siebente Nutzung hinter sich und ist noch immer attraktiv." Und nun ändern sich die Rahmenbedingungen erneut: Die Babyboomer-Generation gleite in die Pension, "da wird viel frei in den Chefetagen". Auch die ökologischen Herausforderungen steigen, etwa: Wie wird künftig Wärme produziert? Horvath: "Wir müssen jetzt schon denken, was übermorgen ist."