Rechtmäßig darf in unserer pluralistischen Gesellschaft jeder Mensch seine Lebensform selbst bestimmen, inklusive der Art und Weise, ob oder wie er oder sie mit jemandem zusammenleben will. Das steht als gesellschaftlicher Wert hoch im Kurs. Zumindest offiziell. Denn der Anschein trügt, sagt die Wiener Paartherapeutin Susanne Pointner. Es sei nicht die Norm, allein zu leben. Es gebe noch immer eine Stigmatisierung. Nicht offen, aber unterschwellig.
"Auf Singles lastet ein stärkerer Rechtfertigungsdruck. Man muss cooler, flotter, entschiedener und erfolgreicher sein, um gesellschaftlich anerkannt zu sein." Wer sich als Single einmal erlaube zu sagen, "mir geht es nicht so gut", setze sich der unausgesprochenen, aber doch vorwurfsvoll spürbaren Frage aus: "Warum suchst du dir nicht jemanden?".
Nicht-Kommunikation zwischen Paaren und Alleinstehenden
Pointner begleitet als Paartherapeutin auch Männer und Frauen, die darunter leiden, dass sie keine Partnerin bzw. keinen Partner finden. "Das Belastende ist für diese Menschen, dass irgendwie vorausgesetzt wird, jeder und jede sei seines und ihres Glückes Schmied." Da helfe auch die allgegenwärtige Erfahrung nicht viel, dass eine glückliche Paarbeziehung auch nicht der Normalfall sei. Denn darüber werde kaum gesprochen. "Erst in der Coronakrise durften auch Paare laut sagen, dass es ihnen nicht gut geht."
Diese Nicht-Kommunikation zwischen Paaren und Alleinstehenden kennt Pointner auch aus dem Alltag. "Eine Freundin, die schon länger allein lebt, hat sich gekränkt gezeigt, weil wir sie nicht zu Treffen einladen, bei denen Paare beisammen sind", sagt die Leiterin der Imago Gesellschaft Österreich und der Imago Paarambulanz, und ergänzt: "Das hat mich sehr betroffen gemacht, weil es stimmte." Der Grund dafür sei vor allem eine gegenseitige Unsicherheit. "Wir laden die Freundin zu Treffen mit Paaren nicht mehr ein, weil wir Sorge haben, dass sie sich nicht wohlfühlt. Umgekehrt bestätigt auch sie ein leicht ungutes Gefühl, dass sie da nicht mehr dazugehöre und ihr genau jene Lebensform vor Augen trete, die sie selbst gern leben würde."
Eine, die das nach der Trennung von ihrem Mann massiv erlebt hat, ist die australische Unternehmerin und Autorin Jane Mathews. Wer allein lebe, sei "ein bisschen wie ein Linkshänder". Man müsse gegen den Strom schwimmen und erlebe sich häufig als Ausnahme von der nach wie vor zumindest im Hinterkopf geltenden Norm. Tatsächlich habe allein leben auch seine Fallstricke, denen man nur mit viel Selbstdisziplin begegnen könne. "Sosehr ich das Alleinsein liebe, es hat seine Tücken. Nicht zuletzt, weil die Jogginghose theoretisch immer die angemessene Kleidung ist", sagt die australische Erfolgsautorin. "Also hieve ich mich widerwillig aus dem Bett, dusche und begebe mich nach oben an meinen Schreibtisch. Wieder wird mir bewusst, dass zum Alleinleben auch Disziplin gehört." Selbstfürsorge in der Gesundheit oder bei der Ernährung seien positive Signale nach außen, "wie wichtig Sie sich selbst sind".
Susanne Pointner zieht dazu den Vergleich mit einer "schlechten Ehe": "Man kommt in einen Schlendrian, man kocht sich nichts mehr Gutes, man läuft den ganzen Tag im Hausanzug herum." In der Paarbeziehung helfe dagegen häufig der Widerstand des anderen, das kritische Gegenüber, mit dem man streiten könne.
"Als Single muss ich mir selbst dieses Gegenüber sein. Ich muss mir bewusst machen, dass ich auch mit jemandem zusammenlebe: mit mir selbst." Das erfordere viel mentale Stärke und Selbstdisziplin und viele lebendige Beziehungen. "Man kann nicht erwarten, dass das von selbst geht. Es ist eine besondere Lebenssituation. Man braucht viel mehr Freunde, als man sich bewusst ist."
Singlefrauen brauchen Männer genauso als Gegenüber wie Frauen
Besonders schwierig sei es für Singlefrauen, sich auf freundschaftlicher Ebene mit einem verheirateten Mann zu treffen, ausgenommen in einem klar beruflichen Kontext, sagt Pointner. "Singlefrauen haben selbst die Fantasie, dass sie nicht einfach zu einer Freundin sagen können, ich würde gern einmal mit deinem Mann auf einen Kaffee gehen, weil mir ein solcher Austausch mit dem anderen Geschlecht schlichtweg fehlt. Da stellt sich sofort das Gefühl ein, was soll meine Freundin denken!" Darüber sei mehr offenes Gespräch notwendig. Singlefrauen bräuchten Männer genauso als Gegenüber wie Frauen. "Ich muss als Singlefrau auch einmal sagen, ja, ich brauche Schwestern, aber auch Brüder."
Der Weg zu dieser Offenheit sei - auch - mit Phasen der Einsamkeit, Traurigkeit, Teilnahmslosigkeit, Schlappheit, Ablehnung, Müdigkeit oder Depression gepflastert, meint Jane Mathews. Einsamkeit entstehe im Kopf und sie gehöre dazu, wenn man allein lebe. "Aber man kann innerlich und äußerlich daran arbeiten, dass sie keine Wurzeln schlägt", meint die Autorin und unterstreicht: "Innerlich daran zu arbeiten ist wirkungsvoller. "
Denn auch wenn man sich äußerlich mit Menschen umgebe, seien die Gefühle immer ein Ausdruck des inneren Selbst. "Man kann ihnen nicht entfliehen. Man würde nur vor sich selbst davonlaufen." Also gelte es, mit den Gefühlen umgehen zu lernen und sich langsam auf den Weg zu machen zu einem inneren Gefährten, der nicht mehr Einsamkeit heiße, sondern den freundlicheren Namen Alleinsein trage. Mathews zitiert dazu die buddhistische Weisheit "Eine Haaresbreite Unterschied, und Himmel und Erde klaffen auseinander." Alleinsein und Einsamkeit lägen nur diese Haaresbreite auseinander, "aber das reicht, um sie zu unterscheiden".
Wer bereit für eine neue Beziehung ist, wird den richtigen Menschen magnetisch anziehen
Ein weitgehender Konsens in der psychologischen und psychotherapeutischen Literatur ist, dass anderen helfen einem selbst aus der Einsamkeit heraushelfen kann. Die australische Autorin formuliert: "Seien Sie das Blatt eines Baumes, also ein Individuum, das auch Teil einer größeren Gemeinschaft ist."
Jane Mathews hat sich ein Selbstwert-Sammelalbum angelegt. "Ich sammle in einem Album alle positiven Briefe, Karten und E-Mails, die mir meine Freunde (und Leser) zugeschickt haben. Dazu gehören Dankesschreiben und aufbauende Briefe nach dem Ende meiner Ehe." Entsprechend wichtig seien Kontakte zu Geschwistern, nahen Verwandten und Freunden. "Freundschaften sind Pflicht", betont Mathews und meint für jene, die auf der Suche nach einer neuen Beziehung sind: "Sie müssen selbst wissen, ob Sie bereit oder gewillt sind, eine neue Beziehung einzugehen. Wenn Sie es sind, werden Sie das ausstrahlen und den richtigen Menschen, der ähnliche Vorstellungen hat, magnetisch anziehen."
Jane Mathews: "Die Kunst allein
zu leben. Wie Sie Ihr Singleleben organisieren und in vollen Zügen genießen", 256 Seiten, 17,90 €,
Verlag Trias 2020.