Früher war es irgendwie überschaubarer. Man hat am Outfit der Schulkollegen erkannt, ob man es mit einem Indie-Rocker oder einem Punk zu tun hatte, ob das Gegenüber der Gothic- oder der Grunge-Szene angehörte oder ein Streber war und damit komplett langweilig. Lieblingsmusik wurde in der Lieblingsradiosendung aufgenommen oder im CD-Geschäft erworben. Oder man konnte sich von den Coolen aus der Schule von der neuen Super-Band erzählen lassen, die neulich auf MTV (wir hatten ja nicht alle Sat-TV!) gespielt wurde. Wer jedoch abends mit der Freundin telefonieren wollte, musste mit dem harten Fliesenboden im Flur vorliebnehmen, ständig gestört von der Restfamilie, die einen doch bitte endlich in Ruhe telefonieren lassen sollte.
Privatsphäre - ein heiliges Wort für Pubertierende bis in die 1990er-Jahre. Heute hat jedes Kind ein eigenes Zimmer und ein eigenes Handy, telefoniert wird damit aber kaum noch. Das sei nämlich inzwischen "unfassbar unbeliebt geworden", wie es Philipp Ikrath vom Institut für Jugendkulturforschung einmal beschrieben hat.
Heute werde die schriftliche Kommunikation bevorzugt, "weil sie zeitversetzt stattfindet, was es ermöglicht, sich vor Spontaneität und unerwarteten Emotionen zu schützen. Man kann sich in Ruhe überlegen, was man antwortet." Stimmt ja, auf das nervenzerfetzende Schweigen am anderen Ende der Telefonleitung bei der Frage "Gehst du Samstag mit mir ins Kino?" hätte man schon damals gut verzichten können. Dafür sind Terminvereinbarungen heute viel unverbindlicher. In letzter Minute ein Date absagen? Via WhatsApp keine große Sache.
Zweifellos ist die Welt der Teenies eine andere als noch in den 1990er-Jahren - auch wenn sich das Rad der Zeit immer schon gedreht hat, sich Dinge verändert haben. Das Internet hat vieles im Leben unüberschaubar gemacht. "Wir Erwachsenen haben den Überblick verloren", so Ikrath. Gab es mal die Rocker und die Popper, Hippies, die Anhänger des Grunge und des Hip-Hop, Punks oder Raver, so war die letzte neuere Subkultur, die man sich noch irgendwie gemerkt hat, die Emo-Szene der 2000er-Jahre. Dazu gehörten schwarz gefärbte Haare, asymmetrische Stirnfransen, dunkel geschminkte Augen und Nagellack bei Männlein wie Weiblein sowie hautenge Jeans und ein Band-T-Shirt. Als H&M und all die anderen Klamottenläden - die seitdem an jeder Ecke das Gleiche anbieten und die jungen Leute in ihre Uniformen stecken - die Szene für sich entdeckten, wurde Emo vom Mainstream verschluckt. Die hautenge Jeans ist uns erhalten geblieben. Unterschiedliche Jugendszenen existieren nach wie vor, sagt Philipp Ikrath - "nur in so vielen Schattierungen, dass sie für uns Außenstehende kaum mehr zu unterscheiden sind".
Außerdem: War es früher noch verpönt und peinlich, als Metal-Fan etwas anderes als Metal zu hören, verschwimmen heute die Geschmäcker zusehends, weil jede Art von Musik durch diverse Download-Kanäle jederzeit verfügbar geworden ist und man
sich auch nicht mehr genau auf einen bestimmten Geschmack festlegen müsse. Die häufigste Antwort auf die Frage nach den musikalischen Vorlieben laute heute "Alles", sagt Ikrath. Was gestern noch total angesagt war, könnte heute schon ein totales No-Go sein - ob in der Musik oder in der Mode. Wie soll man da nur den Überblick bewahren?
Für die heutige Jugend, die in das digitale Zeitalter hineingeboren ist, sei das Internet weit mehr als ein informatives Lesemedium, beschreibt Jugendforscherin Beate Großegger, die sich ausführlich mit der "Generation Selfie" befasst hat. Die Jugend erlebe das Internet als Ort des Sehens und Gesehenwerdens, Social Media seien fixer Bestandteil des jugendlichen Alltags. "Das, was du tust, was du bist und was du hast, musst du herzeigen, sonst zählt es nichts." Eine Einstellung, die nicht die Jugendlichen erfunden hätten - genauso wenig wie den sich verschärfenden Konkurrenzkampf im Alltag.
"Die Jugend von heute als egoistisch zu bezeichnen ist zu einfach. Den Konkurrenzkampf von klein auf, den leben wir Erwachsenen ihnen schon vor", sagt Philipp Ikrath. In allen Lebensbereichen gelte es, sich zu vermarkten, kreativ und unverwechselbar zu sein. Und über allem schwebt die Frage: "Was bringt mir das?"
Da hatten es frühere Teenie-
Generationen schon leichter. "Der Weg war oft vorgezeichnet. Es gab für alle Praktikums- oder Ausbildungsplätze, man folgte beruflich seinen Eltern nach. Es gab selbstverständliche Lebensperspektiven."
Apropos Eltern: Oliver Jeges, der den Begriff "Generation Maybe" geprägt hat, sieht die Eltern klar
in der Verantwortung: "Wer schon von Kindesbeinen an fliegen lernt, weil man ständig gesagt bekommt, wie großartig und außergewöhnlich man sei, für den wird das spätere Leben oft eine einzige Bruchlandung." Wie fremdgesteuert und programmiert renne die heutige Jugend durch den Alltag. "Generation Zombie" - weil doch eh alles wurscht ist.
Ikrath sagt, der Jugend sei die Zuversicht abhandengekommen. "Sie ist abwartend und skeptisch, was die Zukunft betrifft." Keine gute Zeit also, ein Teenager zu sein? "Doch. Es gibt heute viel bessere Zugänge zu Bildung als in den Generationen zuvor." Und nur weil viele heute in Dirndl und Lederhose zur Musik von Andreas Gabalier im Bierzelt abrocken: Auch in den 1960ern waren nicht alle Rebellen - die Mehrheit hatte dann doch ein Bravo-Plakat von Roy Black oder Conny Froboess im Zimmer aufgehängt.