Johannes Huber ist Theologe, Mediziner und Bestsellerautor von Büchern zu Grenzfragen des Menschseins. Die SN sprachen mit ihm über das abwendbare und das unabwendbare Schicksal.
Sie sagen, dass der Mensch zunehmend sein Schicksal beeinflussen könne. Sie betonen, dass es um sanfte Eingriffe gehe. Woran denken Sie? Johannes Huber: Ich denke - im Gegensatz zur Genschere - nicht an chirurgische Eingriffe, bei denen man Stücke des Genoms herausschneidet bzw. verändert. Ich denke an Umfärbung unserer DNA durch unser Leben. Wie wir leben und was wir erleben, wird wie in einem Neuro-Archiv im Genom gespeichert und weitervererbt. Das geschieht durch die Epigenetik und durch die faszinierende Micro-RNA.
Poetisch könnte man sagen, das Genom scheint ähnlich wie das Universum zu sein: der Großteil sind dunkle Energie und dunkle Materie. Im Genom ist es so ähnlich: Nur vier Prozent der Proteine werden transkribiert. 96 Prozent des Genoms sind scheinbar unbrauchbar und wurden bisher als Junk-DNA bezeichnet. Heute wissen wir, dass diese 96 Prozent des Genoms eine Art Geheimarchiv sind. Wenn der Organismus vor einer unerwarteten Herausforderung steht, die im transkribierten Genom nicht abgedeckt ist, dann wird auf Sequenzen dieses Geheimarchivs zurückgegriffen. Diese Micro-RNA - das sind kurze Stücke von 30 bis 40 Basenpaaren - wirkt regulierend in das Genom ein und wird weitervererbt.
Was wir leben und erleben, wirkt auf unser Erbgut ein? Ein Beispiel: Wenn ein Mann viel Sport macht, werden entsprechend Micro-RNA-Stücke aus dem ungenutzten Genom herausgeschnitten und gehen in das Gehirn. Dort bewirken sie eine Verbesserung der Vigilanz, der Wachheit und Daueraufmerksamkeit des zentralen Nervensystems. Dieselbe Micro-RNA geht aber auch in den Nebenhoden und wird dort gespeichert. Wenn der Mann sich fortpflanzt, wird diese Micro-RNA mitgenommen. Das werdende Kind bekommt diese Information zusätzlich zu dem, was im Genom vorhanden ist. Ähnlich ist es bei der Frau, bei der diese Information in den Eierstöcken gespeichert wird und von dort an das künftige Leben weitergeht. Das hat in den USA zu der völlig neuen Disziplin der "Preconception Care" geführt, die nichts anderes heißt als: Väter und Mutter lebt gesund, das ist wichtig für eure Nachkommen! Das wäre ein wichtiges Thema für den Aufklärungsunterricht. Die jungen Menschen sollten früh erfahren, dass sie das, wie sie leben, an ihre Tochter, ihren Sohn weitergeben. Wir sind in gewisser Weise mitbestimmt durch unsere Väter und Vorväter. Positiv - denken Sie an die Musikalität der Familie Strauß - wie negativ, wenn man etwa von einem Fluch spricht, der über einer Familie liegt.
Bisher hätte man gesagt, das liegt in den Genen. Das war die bisherige, eher mechanistische Sichtweise. Jetzt kennen wir die zusätzliche Micro-RNA, die sich durch das Leben formt.
Kommt da nicht eine riesige neue Verantwortung auf uns zu, wenn wir unser Erbgut und damit unser Schicksal beeinflussen können? Gewiss. Aber dieser Verantwortung muss man sich stellen. Wieder ein Beispiel: Ich habe gelegentlich 400 Weinstöcke geschenkt bekommen und habe erst mit der Zeit erkannt, wie viel ich mich damit befassen musste, damit sie wachsen und gedeihen konnten. Da ist es doch vergleichsweise geradezu vordringlich, dass werdende Eltern sich damit auseinandersetzen, was sie ihrem Kind mitgeben wollen.
Aber gehört es nicht zum Menschen, sein Schicksal anzunehmen? Wer bei einer Krebsdiagnose über Gründe nachgrübelt, kann leicht irre werden. Ist es nicht viel entlastender zu sagen, das ist mein Schicksal, wie es Millionen Menschen haben? Darüber, ob der Mensch selbst schuld sei an seinem Schicksal, wird im Alten Testament schon im Buch Ijob heftig diskutiert, und das setzt sich fort bis zum Gretchen in Goethes "Faust". Gerade deshalb ist es wichtig, zwischen einem abwendbaren und einem nicht abwendbaren Schicksal zu unterscheiden. Wenn jemand einen Herzinfarkt erlitten hat und ein paar Tage danach wieder raucht, dann sind wir zweifellos an dem Punkt, an dem jeder selbst sein Schicksal beeinflussen kann.
Eine Krankheit kann demnach eine Herausforderung sein hinzuschauen, wo ich mein Schicksal beeinflussen kann? Zweifellos. Vernünftig zu leben bleibt in der persönlichen Verantwortung. Daher kennt das Christentum die sogenannte Gewissenserforschung, das Nachdenken darüber, was gut und was schlecht gelaufen ist. Diese Gewissenserforschung schlägt aber nicht gleichsam gnadenlos zu, sondern sie steht unter dem Horizont der Vergebung. Ganz anders der Calvinismus: Hier wurde der Zusammenhang von eigener Leistung und Schicksal sehr eng und streng gesehen. Wenn du etwas leistet, dann ist das Gott wohlgefällig und es wird dir gut gehen. Dieser Leistungsgedanke, der in vielerlei Varianten weithin im Protestantismus mitspielt, ist nicht zuletzt ein Grund dafür, dass die nördlichen, protestantischen Länder wirtschaftlich besser dastehen als die südlichen, katholischen.
Zusammenfassend: Wo kann ich mein Schicksal positiv beeinflussen und wo ist es sinnvoller, sich zu sagen, das ist jetzt mein Schicksal? Ich denke, es kommt darauf an, dass der Mensch mit sich selbst im Reinen ist und mit der Natur, die ihn umgibt. Und es kommt darauf an zu beachten, dass der Körper das Gefäß des Geistes ist. Darüber hinaus denke ist als Christ, dass ich Teil einer ganz großen Ordnung bin, die ich nicht verstehe. Und in dieser großen Ordnung akzeptiere ich mein Schicksal.
Als Schicksalsschlag wird der Tod erlebt. Würde die Medizin dem Menschen nicht trotzdem oft besser dienen, wenn sie am nahen Ende auf manche Therapie verzichtete? Das sehe ich genauso, wenn noch therapiert wird, wo die zu erwartende Lebensverlängerung vielleicht nur mehr in Tagen gemessen werden kann. Andererseits hat der Mensch einen Selbsterhaltungstrieb, der am Ende noch einmal sehr stark aktiviert wird.
Gleichmütigkeit gegenüber dem Tod zu erlernen ist eine Lebensaufgabe. Die Physiker sagen uns, dass es Paralleluniversen gibt. Daher scheint es mir nicht unvernünftig zu glauben, dass sich unser Wesen, die Energie, die von uns bleibt, nach dem Tod anderswo ansiedelt. Das ist freilich eine Glaubensfrage. Womit ich als Mensch nie früh genug anfangen kann, ist, mir immer wieder bewusst zu machen, was in meinem Leben schicksalhaft gut gelaufen ist und wofür ich dankbar sein kann.
Johannes Huber: "Die Anatomie des Schicksals. Was uns lenkt", 240 S., 24 Euro, edition a, 2019. Gedanken über das Schicksal aus der Sicht von Entwicklungsbiologie, Epigenetik, Reproduktionsmedizin. Bilder: SN/ Bilder: SN/ Bilder: SN/stockadobe-euthymia, erdiözese wien