In den vergangenen Jahren entführte uns die Far-Cry-Reihe immerzu in wunderschöne, entlegene Gebiete: an traumhaftschöne Strände, auf Paradiesinseln, in die afrikanische Steppe oder auf das Dach der Welt. Teil fünf kann insofern als Stilbruch bezeichnet werden. Dieses Mal geht es nämlich ins amerikanische Hinterland - dort, wo die weiße Unterschicht ein ziemlich bescheidenes Dasein fristet. Zwischen Bierdosen, Pizzaresten und Schnellfeuerwaffen. Als Kulisse dient das fiktive Hope County in Montana, dem "Treasure State". Ein Ort, wo Männer noch echte Männer sind: aufgequollen, fettleibig, unnütz. Härter und rauer sind hier nur die Frauen.
Doch die vermeintliche Redneck-Idylle entpuppt sich rasch als Nährboden für religiöse Fundamentalisten. Unter der Ägide des Propheten Joseph Seed, der mit seinem "Project at Eden's Gate" den Weltuntergang heraufbeschwört, hat sich die Gemeinde in ein gigantisches Eldorado für den Drogenanbau verwandelt. Überall schwirren halluzinogene Pollen durch die Luft - das Bliss, gewonnen aus weißen Blüten. Schleichend hat der selbst ernannte Heiland die Kleinstadt übernommen, terrorisiert seither jeden, der sich dem Kult widersetzt. Auf einer Anhöhe über der Stadt mahnt eine riesige Statue des Propheten. Wer sich den Befehlen der religiösen Fanatikern oder deren Weltanschauung nicht fügt, wird in die Tiefe gestoßen - oder so sehr unter Drogen gesetzt, dass er freiwillig springt.
Als Mitglied einer Polizeieinheit soll der Spieler zunächst die Gruppe um den charismatischen Seed infiltrieren. Vieles erinnert dabei an das Sektendrama in Waco, denn auch in Far Cry gerät der Einsatz zum Desaster. Schon bald ist der Spieler, ein Neuling, auf sich allein gestellt. In typischer "Far Cry"-Manier muss er eine Gruppe von Widerständlern anführen, um die Bewohner von Hope County aus den Fängen der Herolden, so nennen sich die Anhänger, zu befreien. Zum Glück verfügen die Landeier über reichlich Schusswaffen - so viel zur amerikanischen Waffendebatte. Politisch wird der Shooter, bei dem in erster Linie viel geballert und zerstört wird, übrigens nie. Und das ist auch gut so. Denn was im jüngsten "Wolfenstein"-Ableger als herrlich skurrile Steampunk-Gewaltorgie mit reichlich schwarzem Humor funktioniert hat, würde das "Far Cry"-Franchise völlig überfordern.
Hier zählt nämlich nur eines: möglichst viel Chaos vor eindrucksvoller Naturkulisse anrichten. Im Vergleich zu den beiden Vorgängern und dem Steinzeit-Ableger "Primal" ist das Gameplay ausgewogener und fokussierter, wieder reduziert auf das Wesentliche. Statt Esoterik und übersinnlichen Kräften kann der Spieler Helfer rekrutieren, die er zuvor im Kampf gegen die Sekte unterstützt hat. Das Zusammenspiel mit diesen Figuren - darunter Jäger, Scharfschützen, Kampfpiloten und auch ein Hund - ist nicht nur wahnsinnig amüsant und abwechslungsreich gestaltet sondern zeitweise auch nötig, um größere Anwesen zurückzuerobern. Das Häuten von Tieren und auch die Navigation durch das Menü gehen jetzt deutlich einfacher und schneller von der Hand. Und auch die Kletterpassagen, die im vierten Teil noch überbordend und teils nervig waren, beschränken sich auf ein zumutbares Maß.
Wer die vorangegangen Teile kennt, wird sich, trotz einiger Änderungen, rasch zurechtfinden. Gegnerische Siedlungen müssen eingenommen, Drogenlabore zerstört und Geiseln befreit werden. Überall lauern Gefahren: Schlangen, Bären, Büffel, Wölfe, Greifvögel. Die greifen aber nicht nur den Spieler, sondern auch seine Feinde an und können so als Waffe eingesetzt werden. Um von einem Punkt zum nächsten zu gelangen, stehen wieder unzählige Fahrzeuge zur Verfügung: Wasserflugzeuge, Schlauchboote, Trucks, Quads und Helikopter. Auch ein Traktor darf natürlich nicht fehlen.
Wirklich überragend ist die Grafik. Dichte Nadelbaumwälder, zerklüftete Berge, Wasserfälle und weite Tiefebenen: Montanas atemberaubende Landschaft lädt immer wieder zum Verweilen ein. Zeitweise ist die Natur so schön, dass man völlig vergisst, dass sie am Computer entstanden ist. Neben den bekannten Gadgets wie dem Wingsuit gibt es deshalb auch Angelzubehör, das man unbedingt ausprobieren sollte.
Auch die anfangs klischeehaft wirkende Story entwickelt sich weitaus besser als jene in den Vorgängern. Denn trotz der zahlreichen Stereotypen verkommt "Far Cry 5" nie zur herzlosen Zurschaustellung oder Vorführung seiner Protagonisten, obwohl die Macher bei der Figurenentwicklung entlang des schmalen Grades zwischen Lächerlichmachung und Charakterliebe operieren. Sind die erbärmlichen Helden in dieser Trump-Land-Saga oft noch so einfältig und beschädigt, man kann ihnen die milieubedingte Borniertheit einfach nicht übel nehmen.
Und so wird dieses "Far Cry" zu einem vielseitigen Mikrokosmos, der nie langweilig ist und der am meisten beeindruckt, wenn Dinge geschehen, die keinem Drehbuch entsprungen sind: Mitten auf offener Straße steht ein Bär, der gerade einen Hirsch erlegt hat. Trotz Ausweichmanöver kracht mein Auto in das Tier, überschlägt sich und wird von einem Drogenkonvoi gerammt. Unzählige Autos gehen in Flammen auf und eine wilde Schießerei beginnt. Wie kann man ein solches Chaos nicht lieben?
Info
Far Cry 5
Ubisoft
PC (Test), Xbox One und PS4
PEGI: 18