Der Bericht über eine streunende Katze, die von einer herzensguten Familie gerettet wurde. Oder doch die Meldung zu einem Verkehrsunfall, bei dem eine junge Frau tragisch ums Leben gekommen ist. Was soll im Fokus der täglichen Medienberichterstattung stehen: gute oder schlechte Nachrichten? Peter Vitouch hat eine Antwort auf die Frage. Der Medienpsychologe erläutert im SN-Interview, was der Leser wirklich lesen will - und wie er vermeiden kann, in Panik zu geraten.
SN: Herr Vitouch, was sind überhaupt gute und was schlechte Nachrichten? Es gibt ja nicht nur Blumen und Bomben.
Vitouch: Bad News transportieren im Gegensatz zu Good News eine Bedrohung, die in extremer Ausführung angsterregend sein kann.
SN: Es gibt diesen Spruch in der Medienbranche: "Only bad news is good news". Ist dieser Satz noch gültig?
Ich glaube, dieser Ausspruch wird falsch interpretiert. Im Grunde vermittelt er nur, dass sich Sensationen gut verkaufen. "Hund beißt Mann" ist eine durchschnittlich gute News, "Mann beißt Hund" eine brillante. Etwas muss über die Normalität hinausgehen. Nur so werden jene Filter durchbrochen, die ein Leser unterbewusst einsetzt, wenn er eine Zeitung durchblättert.
SN: Wie filtert ein Zeitungsleser?
Das macht unsere Wahrnehmung automatisch. Sie arbeitet selektiv und lässt uns nur an jenen Themen hängen bleiben, die gewisse Motive, Interessen, Bedürfnisse ansprechen. Oder eben über das Normale, das Gewohnte hinausgehen.
SN: Und wie kann ein Medium diese Filter aufbrechen?
Dazu gibt es einen Ansatz aus der evolutionären Psychologie. Die Filter werden durch Bedrohung gebrochen. Steinzeitmenschen haben nur dann überlebt, wenn sie auf Bedrohung ausgerichtet waren - etwa darauf, dass ein Bär auftauchen könnte. Bedrohungsfreie Nachrichten wurden weggefiltert. Deshalb verkaufen sich bedrohliche Meldungen heutzutage noch gut.
SN: Der Bär ist aber schon lange keine Bedrohung mehr . . .
Das spielt keine Rolle. In den 2000 Jahren, in denen wir nicht Angst vor Bären haben mussten, kann nicht etwas angepasst werden, was sich davor 1,8 Millionen Jahre lang evolutioniert hat. Es gibt ja den Spruch: "Das Gehirn eines Neandertalers, aber die Atombombe als Waffe".
SN: Der Mensch will also nur schlechte Nachrichten lesen.
Nein, nicht nur. Unsere Filter lassen auch anderes durch, ganz unseren persönlichen Bedürfnissen und Motivationen entsprechend. Deshalb werden Fußballfans stets beim Bericht zu ihrer Lieblingsmannschaft hängen bleiben.
SN: Auf eine Seite mit rein guten Nachrichten haben die SN durchwegs positive Rückmeldungen bekommen. Widerspricht das Ihrer These?
Überhaupt nicht. Es ist unangenehm, in einem Umfeld zu leben, in dem Bedrohung Überhand nimmt. Wenn sich der Steinzeitmensch in seiner Höhle unsicher gefühlt hat, ist er einfach weggezogen. Wir können den großen Bedrohungen unserer Zeit kaum entkommen. Deshalb müssen wir uns eigene Angstbewältigungsmethoden überlegen.
SN: Und eine ist, sich nur guten Nachrichten zu widmen?
Es gibt zwei Typen von Angstbewältigern, die mit ihren Befürchtungen unvernünftig umgehen. Zum einen die Represser, die eine Art Angstvermeidungsslalom fahren. Ihnen ist wichtig, keine schlechten Nachrichten zu hören. Dieser Typus sehnt sich nach Good News. Zum anderen gibt es die Sensibilisierer, die Nachrichtensendung oberflächlich konsumieren, um sich für den Ernstfall zu wappnen. Diese Gruppe "will" schlechte Nachrichten. Und ist auf niedriger Ebene die ideale Zielgruppe für Boulevardmedien.
SN: Es gibt aber sicher auch Menschen, die mit ihrer Angst vernünftig umgehen.
Ja, freilich. Die Angst bewältigt man vernünftig, indem man sich zwar mit den Bedrohungen auseinandersetzt, aber nicht nur auf oberflächlicher Ebene. Ich will nicht wissen, ob bei einem Flugzeugabsturz Österreicher an Bord waren, sondern was ich tun kann, um nicht selbst einmal Opfer zu werden. Es geht schlicht um Hintergründe - solche, wie sie Qualitätszeitungen liefern.
SN: Eine Zeitung sollte also nicht nur Good News bringen.
Es hat einige Versuche in die Richtung gegeben - und alle sind gescheitert. Nur gute Nachrichten sind auf Dauer sogar den Sensibilisierern zu viel. Einzelne Good-News-Elemente holen die Sensibilisierer aber sehr wohl ab. Und die Represser muss ich über entsprechende Headlines in die Hintergrundberichterstattung ziehen.
SN: Dennoch sollte nicht über alles berichtet werden, oder?
Ganz klar nein. Dort wo es spekulativ wird, verläuft für mich die Grenze. Ich muss nicht jeden Tag den Weltuntergang beschreiben, wenn er doch unwahrscheinlich ist. Journalisten sind - unglaublich aber wahr - ebenso Menschen. Freilich neigen sie dazu, sich auf Bedrohliches zu fokussieren. Doch das kann man sensibel angehen. Ich muss nicht jedes Bild von Leichenbergen zeigen - das emotionalisiert nur. Oder anders: Ich muss nichts zeigen, wenn ich es beschreiben kann.
SN: Kann es sein, dass Konzerne, Politiker aber auch Medien bewusst Angst schüren?
Das kann ich mir schon vorstellen - weil es einfach und zielführend ist. Oder hat nicht jeder von uns ein Medikament gegen Vogelgrippe oder eine andere Krankheit im Schrank, das er nie brauchen wird?
SN: Wie kann man sich vor dieser Panikmache schützen?
Vollkommen schützen kann man sich leider nicht. Aber: Reflektieren hilft. Und um reflektieren zu können, muss man gute Informationsquellen haben. Zudem hilft ein gewisses Bildungsniveau. Es geht darum, sich selbst ein Bild zu machen - und nicht vorgefertigte Bilder zu übernehmen.Zur Person: Peter VitouchPeter Vitouch ist einer der renommiertesten Medienpsychologen des Landes. Der an der Uni Wien emeritierte Professor leitet ab November den österreichweit ersten Masterstudiengang für Medienpsychologie an der Sigmund Freud Privatuni Wien. Mit der Psychologie der Nachricht hat sich Vitouch in seiner Abhandlung "Fernsehen und Angstbewältigung" beschäftigt.