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Coronavirus: Das heiße Rennen um eine Impfung

Nicht für alle Viren gibt es Impfstoffe. Beim Coronavirus sind die Hoffnungen aber groß.

Thomas Mertens ist Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie der Uniklinik in Ulm und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Instituts.
Thomas Mertens ist Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie der Uniklinik in Ulm und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Instituts.

Es ist ein Kampf gegen die Zeit: Wissenschafter auf der ganzen Welt suchen nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus. Eine besondere Herausforderung, denn bisher weiß man wenig über das neuartige Virus. Thomas Mertens ist Virologe und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission am deutschen Robert-Koch-Institut. Im SN-Interview erklärt er unter anderem, ob wir in Zukunft eine alljährliche Coronaimpfung benötigen.

Dieser Tage hat in Seattle der erste Mensch einen Coronaimpfstoff erhalten. Ist das der Durchbruch im Kampf gegen das Coronavirus Thomas Mertens: Noch nicht. Eine Person gegen Corona zu impfen, das ist so symbolisch wie ein Spatenstich bei einem neuen Gebäude. Doch um zu wissen, ob der Impfstoff wirksam und verträglich ist, dazu braucht es eine größere Anzahl an Versuchspersonen und Untersuchungen.

Wie lang wird es dauern, bis ein Impfstoff gegen das Coronavirus in der Bevölkerung eingesetzt werden kann? Mein Tipp ist, dass es noch rund ein Jahr dauern wird, bis ein Impfstoff zur Verfügung steht.

Wie ist aktuell der Stand in der Erforschung eines Coronaimpfstoffs? Derzeit gibt es ungefähr 46 Impfstoffprojekte weltweit. Es gibt viele unterschiedliche Ansätze. Die Impfstoffe befinden sich alle in der sogenannten präklinischen Phase. Es geht hier zunächst einmal darum, einen Prototyp herzustellen. Erst danach wird der Impfstoff getestet, aber zunächst noch nicht am Menschen. Erste Ergebnisse über die Schutzwirkung und über die Verträglichkeit der Impfstoffe gibt es aber erst in einigen Monaten. Wenn wir weltweit mit dem neuen SARS-Coronavirus wirklich fertigwerden wollen, brauchen wir einen Impfstoff.

Kann es auch passieren, dass man gar keinen Impfstoff gegen das Coronavirus findet? Es gibt Virusinfektionen, bei denen es bisher noch nicht gelungen ist, einen Impfstoff herzustellen - zum Beispiel gegen das HI-Virus oder das Hepatitis-C-Virus. Aber ich denke, gegen die Coronaviren werden wir einen Impfstoff bekommen.

Müssen wir dann alljährlich, wie gegen die Grippe, geimpft werden? Das kann man aus jetziger Zeit noch nicht sicher sagen. Natürlich ist man momentan dazu geneigt, die Influenzaviren mit Coronaviren zu vergleichen.

Trotzdem gibt es da erhebliche Unterschiede: Die Influenza-A-Viren haben ein sehr stark segmentiertes Genom mit acht Elementen in jedem Virus und sie können auch viele Tiere infizieren. Die Influenza-A-Viren haben damit viele Möglichkeiten, sich in relativ kurzer Zeit stark zu verändern.

Bei Coronaviren ist dieses Problem - soweit man das aus jetzigem Stand sagen kann - nicht gegeben. Es kann durchaus sein, dass man mit einer einzigen Impfung oder Impfserie gegen Corona für längere Zeit geschützt ist.

Bei der Grippe verbreiten sich die Viren immer geringer, je stärker die Sonneneinstrahlung Wie ist das bei den Coronaviren? Viren, die respiratorisch, also über die Atemwege übertragen werden, sind relativ empfindlich gegen intensive UV-Bestrahlung wie Sonnenlicht. Im Sommer kommen Grippeviren ja kaum vor. Es gibt aber Berechnungen, die darauf hindeuten, dass es bei Coronaviren möglicherweise nicht so ist. Aber das kann momentan niemand verlässlich beantworten.

Es ist momentan vieles noch unsicher. Auch der Zeitpunkt, wann die Pandemie vorbei sein wird. Dennoch: Haben Sie da eine Prognose? Das ist auch sehr schwierig vorherzusagen, denn es ist ja die ganze Welt betroffen. Insofern dauert es sicher einige Zeit, bis ein Großteil der Bevölkerung mit dem Virus infiziert sein wird bzw. geimpft ist. Davon hängt es letztendlich davon ab, wie die Epidemie verläuft. Es gibt Schätzungen, wonach zwischen 70 und 80 Prozent der Bevölkerung infiziert sein müssen, bis es für das Virus schwieriger wird, jemanden Neues zu finden, der noch nicht infiziert war. Und das auch unter der Voraussetzung, dass man sich nicht erneut mit dem Virus infizieren kann. Denn über die Dauer der Immunität nach einer Infektion gibt es auch noch keine sicheren Daten.

Haben Sie eine solche Situation schon einmal erlebt? Nein. Das Besondere im Augenblick ist, dass es keine Basisimmunität in der Bevölkerung gibt. Die Weltbevölkerung trifft auf ein neues Virus, mit dem die Menschen gar keine Erfahrung haben. Das letzte Mal, dass es so etwas gegeben hat, war die Spanische Grippe.

Was also tun? Ich glaube, dass wir alle versuchen sollten, die Infektionsausbreitung so weit wie möglich zu verlangsamen. Das hören wir zwar tagtäglich im Fernsehen, aber das ist wirklich die wichtigste Maßnahme.

Wichtig ist es auch, dass sich jeder seiner eigenen Verantwortung bewusst ist. Ich sehe auch - ohne bösen Willen zu unterstellen -, dass hier die Risikowahrnehmung der Menschen ein Problem ist. Solange jemand in seinem eigenen Umfeld keine schweren Fälle erlebt hat, ist das ein abstraktes Risiko. Im Augenblick können wir zumindest Sozialverhalten üben - das ist auch schon etwas.

Thomas Mertens ist Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie der Uniklinik in Ulm und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Instituts.