SN.AT / Panorama / Österreich

Donnerstagsdemo reloaded: Menschenmeer vor dem Kanzleramt und der Hofburg

Am gesteckt vollen Ballhausplatz wurde gepfiffen, gesungen, skandiert und gejubelt. Weiter hinten in der Menge dominierten Sorgen und Angst.

Lautstarker Protest direkt unter den Fenstern der Verantwortungsträger.
Lautstarker Protest direkt unter den Fenstern der Verantwortungsträger.
Selbst in der Löwelstraße stauten sich die Demonstranten.
Selbst in der Löwelstraße stauten sich die Demonstranten.
Vom Volksgarten hatte man einen guten Blick auf die Kundgebung.
Vom Volksgarten hatte man einen guten Blick auf die Kundgebung.
Die Demo durfte mangels Angelobung bis zu den Regierungsgebäuden vorrücken.
Die Demo durfte mangels Angelobung bis zu den Regierungsgebäuden vorrücken.
Tausende Menschen strömten über den Heldenplatz zur Kundgebung.
Tausende Menschen strömten über den Heldenplatz zur Kundgebung.

Der Volksgarten war am Donnerstagabend der Geheimtipp schlechthin, um die von Volkshilfe, Greenpeace und SOS Mitmensch initiierte Demonstration gegen eine Regierungsbeteiligung der FPÖ aus nächster Nähe zu verfolgen. Die Organisationen hatten unter dem Motto "Alarm für die Republik" zum Protest aufgerufen. Beim Burgtheater rein, hinten am Theseustempel vorbei und einen der gusseisernen Stäbe des mächtigen Begrenzungszauns umklammern: Schon hatte man einen großartigen Blick auf den Ballhausplatz. Der war gesteckt voll. Dennoch strömten von der U3-Station Volkstheater immer noch viele Menschen Richtung Getöse. "Es ist ein Wahnsinn, wie viele von euch heute da sind", rief eine Frauenstimme via Mikrofon und Boxen den Massen zu. Dabei waren zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht alle da. Im Dunkeln stapften Tausendschaften durch das schlammige Grün der malträtierten Heldenplatzwiesen. Richtig hell wurde es erst am Ballhausplatz selbst. Da keine Regierungspolitiker aus dem Kanzleramt in die Hofburg zur Angelobung mussten, durfte die Kundgebung quasi vorrücken. Bis unter jene Fenster, hinter denen die Verantwortungsträger der Republik sitzen. Wahrscheinlich nicht gerade am Donnerstagabend. Aber sonst eben.

Vorne schrill, hinten still

Gellende Pfeifkonzerte hallten über den Platz, dann wieder wurde gejubelt, untermalt von wummerden Bassklängen. Doch hinter dem Zaun des Volksgartens wurde es im Dunkel des Gestrüpps rasch still. Fast nachdenklich. Da standen Menschen ohne Fahnen, ohne Transparente. Sie riefen keine Parolen, reckten keine Fäuste. Gerhard und Susanne zum Beispiel. Die beiden Endsechziger waren schon vor 25 Jahren mit von der Partie, als gegen die schwarz-blaue Regierung mit Wolfgang Schüssel als Kanzler und Jörg Haider als Juniorpartner protestiert worden war. "Das hier fühlt sich anders an", sagt Gerhard. "Gegen das hier ist 2000 ein Kindergeburtstag, gefühlt." Und mit Kindergeburtstag meint Gerhard nicht die Veranstaltung, sondern die bevorstehende Kanzlerschaft von Herbert Kickl. "Ich fang erst an, das richtig zu begreifen", wirft Susanne ein. "Mir läuft's eiskalt über den Buckel, wenn ich daran denke, was da alles passieren könnte."

Sehnsucht nach Vernunft

Vor einem massiven Angriff auf Demokratie, Menschenrechte, Justiz, unabhängigen Journalismus, Klimaschutz und den sozialen und menschlichen Zusammenhalt warnt die Menschenrechtsorganisation SOS-Mitmensch, die schon vor 25 Jahren Initiator der damaligen Donnerstagsdemos war. Thomas, ein groß gewachsener Mittvierziger mit Junior auf den Schultern, nickt, muss aber warten, bis man ihn versteht. "Draußen" brandet gerade Jubel auf. Weswegen? Keine Ahnung. "Was mir so Angst macht, ist die Stimmung in dem Land. Alle sind nur noch wütend und zornig und aggressiv. Ich mach mir echt Sorgen um …" Er deutet nach oben, wo sein Sohn beeindruckt in die Menge starrt. "Ich frag mich, was passieren muss, damit endlich wieder so etwas wie Vernunft einkehrt", ist Susanne durchaus Verzweiflung anzumerken. "So kann es doch nicht weitergehen. Wo führt denn das noch hin?" Gerhard lässt seinen Atem im Lichtkegel einer Laterne tanzen. Die Dunstschwaden verheddern sich im Geäst der Sträucher. Was einen Kanzler Kickl angeht, sagt Gerhard, habe er kein gutes Gefühl. Er hält es da mit Peter Schillings Major Tom: "Er kommt bald, mir wird kalt."