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Jane Goodall im Interview: "Wir müssen die Ärmel hochkrempeln"

Jane Goodall revolutionierte die Verhaltensforschung. Heute setzt sie sich dafür ein, Menschen Hoffnung zu geben.

Naturforscherin Jane Goodall sprach am Dienstagabend vor ausverkauftem Saal in Wien.
Naturforscherin Jane Goodall sprach am Dienstagabend vor ausverkauftem Saal in Wien.
Jane Goodall revolutionierte die Forschung über Schimpansen: Sie bewies, dass die Primaten Werkzeuge benutzen und – wie wir Menschen – über Emotionen verfügen.
Jane Goodall revolutionierte die Forschung über Schimpansen: Sie bewies, dass die Primaten Werkzeuge benutzen und – wie wir Menschen – über Emotionen verfügen.
Jane Goodall im Zoom-Gespräch mit SN-Redakteurin Sabrina Glas, kurz vor Goodalls Auftritt in Wien.
Jane Goodall im Zoom-Gespräch mit SN-Redakteurin Sabrina Glas, kurz vor Goodalls Auftritt in Wien.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen schickte eine Videobotschaft zu Jane Goodalls Auftritt nach Wien.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen schickte eine Videobotschaft zu Jane Goodalls Auftritt nach Wien.

Jane Goodall ist 88 Jahre alt - und kämpft unermüdlich: für eine lebenswerte Welt für Menschen, Tiere und Natur. Am Dienstagabend hielt sie seit mehr als zwei Jahren ihren ersten öffentlichen Vortrag in Europa. Die SN trafen sie kurz davor zum Gespräch.

Wenn Jane Goodall die Bühne betritt, macht sich Ehrfurcht breit. Vor ihrem Leben, ihrer Forschung, ihrem Kampfgeist. Noch bevor sie zu reden beginnt, wird sie mit Standing Ovations gewürdigt. Die Meinls Rösthalle in Wien ist restlos ausverkauft. Ihr graues Haar hat Goodall wie üblich zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie wirkt kaum gealtert.

Frau Goodall, im Jahr 1960 begannen Sie, die Welt zu bereisen. Ihnen verdanken wir einige der fundamentalsten Entdeckungen des 20. Jahrhunderts in der Verhaltensforschung. Was brachte Sie mit Schimpansen zusammen? Jane Goodall: Ich träumte bereits als kleines Kind davon, nach Afrika zu gehen, mit den Tieren dort zu leben und Bücher darüber zu schreiben. Aber im Jahr 1944 waren Mädchen einfach keine Wissenschafterinnen. Also verbrachte ich viel Zeit meines Lebens in Südengland in der Natur - draußen mit Vögeln und Eichhörnchen. Eine Universität konnten wir uns nicht leisten. Ich musste einen langweiligen Sekretärinnenkurs machen, um Geld zu verdienen. Über einen alten Schulfreund bot sich irgendwann die Gelegenheit, nach Kenia zu reisen. Dann hatte ich das Glück, die Sekretärin von Louis Leakey zu werden, dem damaligen Kurator des Natural History Museum. Er schickte mich nach Tansania, um das Leben von Schimpansen zu erforschen. Meine Mutter kam als Begleitung mit, denn ohne eine Begleitperson hätte mich die Regierung nicht gehen lassen. Somit konnte ich meinen Traum verwirklichen.

Es ziemte sich für eine Frau damals nicht, Forschung zu betreiben. Noch dazu stießen Ihre Erkenntnisse die bislang gültige Wissenschaft vor den Kopf. Etwa, dass neben dem Menschen auch Schimpansen Werkzeuge verwendeten. Wie schwer war es, gehört zu werden? Es gab damals generell sehr wenige Menschen, die Feldstudien durchführten. Da waren etwa Diane Fossey, die Gorillas erforschte, und Biruté Galdikas, die Paviane studierte. Ich hatte also so gut wie gar keine Konkurrenz. Louis Leakey brachte mich außerdem dazu, einen Abschluss zu machen, weil Wissenschafter sonst nicht auf mich hören würden. Also promovierte ich in Cambridge. Ich fand es schockierend, was ich alles zu hören bekam. Ich hätte den Schimpansen etwa keine Namen geben dürfen, sondern Nummern. So sei es in der Forschung üblich. Ich sollte nicht über Emotionen sprechen, weil diese uns Menschen vorbehalten seien. Aber ich wusste damals schon, dass das nicht stimmt. Mein Hund Rusty hatte mir bereits früh beigebracht, dass wir nicht die einzigen Wesen mit Persönlichkeit, Verstand und Gefühl sind. Ich kam den Schimpansen so nahe wie niemand zuvor. "National Geographic" drehte dann auch noch einen Film über mich, der Druck wuchs. Die Wissenschafter mussten irgendwann glauben, worüber ich sprach.

Als sie 18 Monate alt war, nahm sie eine Handvoll Regenwürmer mit ins Bett, erzählt sie auf der Bühne. Ihre Mutter redete auf sie ein und überzeugte sie, dass es den Würmern draußen besser gehen würde. Gemeinsam trugen sie die kleinen Tiere also wieder ins Freie. Bücher wie "Dr. Dolittle" und "Tarzan" verschlang sie. "Der einzige Wermutstropfen: Tarzan heiratete die falsche Jane", sagt sie und bringt das Publikum zum Lachen. Das Einzigartige an uns Menschen sei, dass wir mit Humor die Atmosphäre verändernkönnten, sagt sie.

Die DNA von Menschen und Schimpansen ist zu 98,7 Prozent ident. Was ist das Faszinierendste, das wir gemeinsam haben? Ich war schon immer besonders fasziniert von der Beziehung zwischen Familienmitgliedern bei Schimpansen. Die Kindheit ist bei den Primaten sehr lange, weil sie, genau wie wir, viel lernen müssen. Auch wenn die Kinder mit etwa acht Jahren wegziehen, bleibt die emotionale Bindung zu ihrer Mutter bestehen. Was mich außerdem beeindruckt, ist die männliche Dominanz. Die Männchen nutzen unterschiedliche Techniken, um Alpha-Positionen zu erreichen. Manche setzen rohe Kraft und Aggression ein, andere bilden Bündnisse. Das Prahlen männlicher Schimpansen ist identisch mit dem Prahlen zweier männlicher Politiker.

Und was unterscheidet uns Menschen am meisten von Schimpansen? Das ist vor allem die gesprochene Sprache. Schimpansen haben zwar komplexe Kommunikationsmuster, aber sie können keine Pläne für die Zukunft schmieden. Ich denke, das hat zu der explosiven Entwicklung unseres Intellekts geführt. Gleichzeitig ist es bizarr, dass wir damit unseren Planeten zerstören.

Angesichts von Hochwasser, Starkregen oder Dürren vor unserer Haustür: Wo können wir noch Hoffnung finden? Wir müssen zunächst anerkennen, dass der Klimawandel und der Verlust der Biodiversität unsere Schuld sind. Hoffnung ist kein passives Wunschdenken, sondern man muss die Ärmel hochkrempeln und aktiv werden. Aber ich sehe vier gute Gründe für Hoffnung: Wir verfügen über einen erstaunlichen Intellekt. Damit verstehen wir auch, wie wir einige der Schäden heilen können. Die Jugend ist für mich ein weiterer Grund für Hoffnung. Diese Generation stellt sich Herausforderungen, sie ist mutig. Wir müssen sie befähigen, Maßnahmen zu ergreifen. Dann sind da noch der unbeugsame menschliche Kampfgeist und eine Natur, die widerstandsfähig und versöhnlich ist.

Dafür benötigt sie Zeit. Ja, aber es ist erstaunlich, was man beobachten kann! Ich bin heute in Wien die Gehsteige entlanggegangen. Aus jedem winzigen Riss im Pflaster sprießt Leben. Würde man das Pflaster für einige Zeit belassen, würde die Vegetation irgendwann die Steine zerbrechen und die Natur sich den Raum zurückholen.

Die Lebensgeschichte von Jane Goodall inspiriert Menschen um den Globus. "Wenn du was machst, dann mach es gründlich", lautete das Lebensmotto ihrer Mutter. Das ist ihrer Tochter wohl in Fleisch und Blut übergegangen. Am Rednerpult platziert sie Mr. H, einen Stoffaffen. Er sei ihr von einem blinden Mann gegeben worden, der unbedingt Zauberer werden wollte. "Und: Er malte Bilder, ohne sehen zu können." Wenn man etwas schaffen will, werden sich Wege bahnen.

Aufgeben war nie Teil Ihres Lebensplans. Woher nehmen Sie die Kraft? Es ist meine Mission, den Menschen Hoffnung zu geben. Werden mir Steine in den Weg gelegt, macht mich das nur entschlossener. Gerade erst erreichte mich ein E-Mail unserer Geschäftsführerin des Jane Goodall Institut">Jane-Goodall-Instituts in Nepal. Fünf Jahre kämpfte sie dafür, ein wunderbares Stück Natur davor zu bewahren, ein weiterer Flughafen zu werden. Der Oberste Gerichtshof hatte entschieden, dass der Flughafen verlegt werden muss, fünf Tage später hob die Regierung das wieder auf. Wir müssen nun internationalen Druck auf die Regierung ausüben und weiterkämpfen.

Jane Goodall ist auch mit 88 Jahren nicht leiser geworden. Ihre Augen strahlen wie eine Naturgewalt. Die vergangenen zwei Jahre sei sie "Virtual Jane" gewesen und online um die Welt gereist. Ihren ersten Vortrag auf einer großen Bühne seit der Pandemie beendet sie mit ihrem legendären Schimpansengruß. Ein intoniertes "Huhuhuhuhu" schallt durch den Saal. Auch ihre Worte hallen noch lange nach.


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