Ob Getränkeflaschen, Legosteine oder Autoreifen: Kunststoff ist billig, praktisch - und fast überall drin. Der Nachteil: Jahr für Jahr entstehen allein in Österreich 900.000 Tonnen Plastikmüll, von denen ein erheblicher Teil in der Umwelt landet. Und winzige Plastikpartikel, sagen Forschende, können über die Nahrung auch in unsere Körper gelangen. Sollten wir uns deshalb Sorgen machen?
Durch den Abrieb von Autoreifen und beim Waschen von Kunstfasertextilien werden solche Partikel zum Beispiel freigesetzt. Manche Duschgels und Körperpeelings enthalten zu der "tiefenreinigenden Pflege" winzige Kunststoffkügelchen. Die gute Nachricht: Fachleute der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich konnten zeigen, dass moderne Kläranlagen mehr als 95 Prozent der Kunststoffteilchen aus dem Abwasser filtern. Das Mikroplastik bleibt dann im Klärschlamm zurück.
Verwitterung als Hauptquelle
Dennoch breiten sich Kunststoffpartikel immer weiter aus. "Schon weil eine Hauptquelle dafür die Verwitterung von unsachgemäß entsorgten Kunststoffabfällen ist", sagt Umweltchemikerin Denise Mitrano von der ETH Zürich. "Zum Beispiel von Plastiksäcken." Wer bei einem Ausflug nach dem Picknick Plastikmüll liegen lässt, befeuert also das Mikroplastik-Problem.
Würmer, Fische und andere Tiere verschlucken häufig Kunststoffpartikel - und über die Nahrungskette landen sie dann oft auch auf unseren Tellern. Selbst Vegetarier bleiben nicht verschont. Denn auch in der Luft finden sich winzige Plastikteilchen, die etwa durch den Abrieb von Autoreifen dorthin gelangt sind. Laut Berechnungen von Forschenden aus Australien nimmt jeder Mensch, ohne es zu merken, pro Woche rund 2000 winzige Plastikteilchen auf. Insgesamt entspricht das etwa fünf Gramm - dem Gewicht einer Kreditkarte. Ein Großteil der Kunststoffteilchen wird wieder ausgeschieden. Doch was geschieht mit dem Rest?
Vor wenigen Jahren haben Wissenschafter der Medizinischen Universität Wien erstmals Mikroplastik im menschlichen Stuhl nachgewiesen: In den Exkrementen von Testpersonen aus Österreich, Finnland, den Niederlanden, Großbritannien, Italien, Polen, Russland und Japan stießen sie auf insgesamt neun verschiedene Kunststoffarten.
Kann Mikroplastik unserer Gesundheit schaden?
Forschende der Nanjing University in China wollen nun herausfinden, ob Mikroplastik chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa fördern kann. Das Team untersuchte Stuhlproben von 50 gesunden Menschen sowie 52 Patienten mit CED. Die Fäkalien der Patienten mit einer solchen Darmerkrankung enthielten deutlich mehr Mikroplastikpartikel als diejenigen der gesunden Probanden. Noch ist aber nicht geklärt, ob die starke Belastung mit Mikroplastik tatsächlich ein Auslöser von CED ist oder nur eine Begleiterscheinung.
Geraten Kunststoffpartikel in das Blut, so besteht die Gefahr, dass sich die Gefäßwände entzünden, zeigten Experimente an Zellkulturen: Als ein Forscherteam der Universität Marburg das Nährmedium (das Gel, in dem die Zellen wachsen) mit Polystyrolpartikeln versetzte, bildeten die Zellen aus der Gefäßwand vermehrt Rezeptoren zu der Bindung von Immunzellen aus. Die Folge: Immunzellen, die normalerweise einzeln im Blut schwimmen, lagerten sich in großer Zahl an der Gefäßwand an - und setzten Entzündungsproteine frei.
Noch sind im Zusammenhang mit Plastik und Gesundheit viele Fragen offen. "Es gibt unzählige Arten von Kunststoffen, die Tausende von Chemikalien enthalten, von denen viele schädlich sein könnten", sagt Denise Mitrano von der ETH Zürich. Eine aktuelle Studie aus Norwegen zeigt zum Beispiel, dass eine große Zahl dieser Substanzen - etwa durch Veränderungen des pH-Werts oder starke Sonneneinstrahlung - freigesetzt werden und den menschlichen Stoffwechsel ungünstig beeinflussen können. Bei der Laboranalyse von alltäglichen Plastikprodukten wie Joghurtbechern, Getränkeflaschen und Küchenschwämmen fanden die Forscher 629 Chemikalien mit diesem Potenzial. Einige scheinen zum Beispiel das Risiko für Übergewicht zu erhöhen.
Kunststoffe mit hormoneller Wirkung
Andere Untersuchungen haben gezeigt, dass Kunststoffe auch Chemikalien enthalten, die hormonelle Wirkung entfalten können: Bisphenol A (BPA) beispielsweise kann die Fruchtbarkeit gefährden. Zudem gibt es Hinweise auf eine toxische Wirkung auf Leber und Nieren. Dennoch ist dieser Stoff bis heute in vielen Alltagsgegenständen enthalten: in Konservendosen etwa, in Kinderspielzeug und Babyfläschchen.
Die Hinweise auf mögliche Gesundheitsrisiken durch Plastik und dessen Inhaltsstoffe mehren sich. In den USA und Großbritannien wurden 2018 deshalb auch sogenannte Mikroperlen aus Kunststoff in Körperpflegeprodukten verboten. Doch das reicht nicht aus, betonen Fachleute. Allein schon weil ein Großteil des Mikroplastiks durch den Zerfall von größerem Plastikmüll entsteht, der in die Umwelt gelangt ist, zum Beispiel Plastiksäcke, PET-Flaschen oder Kunststoffe aus dem Baugewerbe.
Unlängst hat nun auch Brüssel reagiert: Seit Sommer 2021 dürfen in den EU-Mitgliedstaaten kein Einweggeschirr aus Plastik, keine Plastiktrinkhalme und keine Wattestäbchen mehr verkauft werden.