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Rektorenchef Vitouch: "Es gibt zu viele Studierende, die noch nebenbei arbeiten"

Der scheidende Rektorenchef Oliver Vitouch will eine Grundsicherung für alle aktiv Studierenden und kritisiert Struktur sowie Standortdebatte der neuen Linzer Digitaluni. Wird er nun Bildungsminister?

Oliver Vitouchs Amtszeit als Rektor in Klagenfurt sowie als Präsident der uniko endet in den nächsten Tagen.
Oliver Vitouchs Amtszeit als Rektor in Klagenfurt sowie als Präsident der uniko endet in den nächsten Tagen.

Oliver Vitouch (53) hört Ende Oktober als Rektor der Uni Klagenfurt und Rektorenpräsident auf - und zieht im SN-Interview Bilanz.

Derzeit laufen die Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ. Warum hört man hier wie auch im Wahlkampf vom Thema Bildung und speziell den Unis so wenig? Spielen sie keine Rolle - oder ist eh alles paletti? Oliver Vitouch: Ich glaube, da müssen sich die verhandelnden Akteure erst noch ein bissl finden. Und alles ist an den Unis sicher nicht paletti. Aber: Mit neuer Uni-Finanzierung und neuen Auswahl- und Aufnahmeverfahren, dort, wo sie unausweichlich sind, haben wir extreme Fortschritte gemacht. Das Uni-System ist also solider und seriöser aufgesetzt als in den Jahren zuvor. Die letzten 10 bis 20 Jahre haben sich die Regierungen - speziell seit dem Universitätsgesetz 2002 - viel um die Unis gekümmert. Da waren tertiäre Bildung, Wissenschaft und Forschung immer wieder Thema. Seit der Vorstellung des "Plans A" des damaligen Bundeskanzlers Christian Kern (SPÖ, Anm.) im Jänner 2017 in Wels sind die Unis auch in den politischen Programmen auf Bundesebene wieder präsent; und sie werden auch im nächsten Regierungsprogramm stehen. Gerade die Neos setzen ja stark auf die Themen Bildung und Universitäten. Aber jetzt drehe ich den Spieß um: Wir Unis sind auch nicht das Aufreger- und Problemthema, wie etwa Migration oder der Wohnungsmarkt. Es brennt also nicht der Hut bei uns. Und das Budget der Unis für die Jahre 2025 bis 2027 steht. Also können wir gut damit leben und arbeiten.

Seit Monaten rangelt etwa ein Dutzend Unis um die 500 Studienplätze pro Jahr im neuen Fach Psychotherapie, die mit Herbst 2026 verteilt werden. Wie ist der Stand? Wir haben schon weitgehend fertig gerangelt (lacht). Grundlage für die Verteilung war, wie die psychotherapeutische Versorgung in den Regionen aussieht und welche Kapazitäten die involvierten Bereiche an den interessierten Unis - also primär die Fächer Psychologie und Medizin - haben. Die Psychologie-Fachbereiche an allen Unis sind ja schon jetzt gut ausgelastet. Eine Frage ist auch, wie viele Praktikumsplätze es in Unikliniken und anderen Spitälern gibt. Man ist da jetzt zu einer vorläufigen Einteilung gekommen.

Wie sieht die aus? Es soll drei regionale Universitätsverbünde geben - Ost, Süd und West. Der West-Verbund ist sehr groß und umfasst Vorarlberg, Tirol - mit Uni Innsbruck und MedUni Innsbruck; weiters die Uni Salzburg und die Uni Linz mit ihrer Medizinfakultät. Dann gibt es den Verbund Süd mit Uni Graz und MedUni Graz sowie Klagenfurt. Dazu kommt der Verbund Ost mit der Uni Wien und der MedUni Wien. Krems ist ein Spezialfall, weil es ja eine Weiterbildungsuni ist. Auf den Verbund West, mit Salzburg, soll gut ein Drittel (also etwa 180, Anm.) der Psychotherapie-Studienplätze entfallen. Da sind wir auf einem guten Weg. Auch die Überlegungen zu einem gemeinsamen Rahmencurriculum sind weit gediehen. Eine Herausforderung ist aber noch die Frage der Zulassung zu diesem Studium. Denn darauf wird es einen starken Run geben, der sich nicht auf Studierende aus Österreich beschränken wird. Daher wird es wohl (wie beim Fach Medizin, Anm.) eine EU-Quotenregelung brauchen. Auch die nötige Anschubfinanzierung für das Studium wurde bereits mit dem Ministerium besprochen.

Sie scheiden mit Ende Oktober nach genau 12 Jahren aus der Funktion als Rektor der Uni Klagenfurt aus. Welche Bilanz ziehen Sie? Eine meiner wesentlichen Zielsetzungen bestand darin, die Universität Klagenfurt gemeinsam mit allen ihren Angehörigen auf die europäische Landkarte zu bringen und eine gut sichtbare Uni nach besten europäischen Standards daraus zu machen. Das hängt mit meinem Credo zusammen, das sich mit den Buchstaben Q, R und S abkürzen lässt. Sie stehen für Qualität, Reputation und Sichtbarkeit. Das sind die drei Faktoren, die für eine Uni entscheidend sind, egal ob sie wie in Wien 1365 oder, wie in Klagenfurt, 1970 gegründet wurde. Die Universität Klagenfurt hat sich gehörig gemausert; das war auch in vielen Rankings zu sehen. Denn Rankings sind, bei aller Kritik daran, für nationale und internationale Partnerschaften wichtig, etwa mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Zudem helfen sie, für die besten Studierenden interessant zu werden. Da sind wir in eine klare Aufwärtsentwicklung gekommen. Es ging mir auch darum, der Uni Klagenfurt mehr Selbstbewusstsein einzuflößen und ihre Selbstwirksamkeit zu erhöhen. Sich selbst auch Spitzenleistungen zuzutrauen ist ein Wesensmerkmal von Unis. Für Klagenfurt ist es wesentlich zu wissen, dass wir ganz vorne mitspielen können: zwar nicht mit Stanford oder Harvard, die sind steinreich, aber in der europäischen Champions League.

Gleichzeitig mit dem Rektorenamt endet auch Ihre neunjährige Zeit als Vizepräsident bzw. dreimaliger Präsident der Universitätenkonferenz (Uniko). Wie wichtig ist dieses Gremium in der heimischen Bildungspolitik? Kommt ein Minister jetzt noch an der Uniko vorbei? Ich glaube, der Minister weiß, was das Ministerium und die Wissenschaftspolitik an der Uniko haben. Ich habe in meiner Exaugurationsrede vor wenigen Tagen gesagt: Wir kämpfen für dasselbe, auch wenn wir nicht immer das Gleiche meinen. Die Zielsetzung ist, die österreichischen Unis besser, attraktiver und leistungsfähiger zu machen - und eine echte Einheit von Lehre und Forschung zu schaffen; sowie die Ermöglichung von Spitzenforschung. Dazu noch gute Studienbedingungen für alle Studierenden. Aus Sicht der Unis ist echte Autonomie wichtig, weil sich autonome Unis erfolgreicher entwickeln können, als wenn sie unter ministerialbürokratischer Steuerung stehen. Wir streiten oft mit dem Ministerium, haben aber im Kern dieselbe Zielsetzung. Und: Innerhalb der Uniko ist die Einigkeit heute weit höher als früher, auch durch die neuen Rektorinnen und Rektoren, die dazukamen. Wenn das nicht der Fall ist, kann das Ministerium leichter "Teile und herrsche" spielen. Das bedeutet zum einen, dass in den vergangenen Jahren gelungen ist, was Max Weber als "das Bohren dicker Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß" umschrieben hat. Mein Wunsch wäre, dass sich die Erfolge der letzten Jahre fortsetzen lassen. Ein Beispiel: Bei den (mit bis zu 2,5 Mill. Euro dotierten, Anm.) ERC-Starting-Grants der EU haben heimische Institutionen im Vorjahr 19 dieser Grants erhalten. Heuer waren es sogar 24. Mein Traum ist, dass Österreich sich wieder als Wissenschaftsnation begreift - und nicht allein als Skifahr- und Skispringerland. Dass wir eine Kulturnation sind, daran zweifelt ja auch niemand.

Sehr kritisch beurteilen Sie die Struktur der neuen IT-Uni in Linz (kurz IT:U), weil diese keinen Senat haben wird, die Präsidentin sehr viel Macht hat und sie einer Privatuni ähneln würde. Zudem ist nun auch eine neuerliche Standortdebatte ausgebrochen. Da wir in den nächsten Jahren einem angespannten Bundeshaushalt entgegensehen, wäre es extrem wichtig, dass da Synergien gehoben werden. Daher wäre eine gedeihliche Kooperation mit der Uni Linz ganz entscheidend, weil man sonst keine kritische Masse zusammenbekommt. Aus diesem Grund ist es beunruhigend zu sehen, dass (nach der Absage der Stadt Linz an den Standort neben der Kepler-Uni, Anm.) nun wieder Standortdebatten zwischen Linz, Wels, Traun, Gmunden und Weyregg ausbrechen. Zum Teil mit dem Argument, dass man mit einer IT:U am Land ein Alleinstellungsmerkmal hätte. Das ist schon skurril, auch wenn die Wünsche der dortigen Bürgermeister verständlich sind.

Und die Kritik an der Struktur? Was uns als Uniko an der IT:U unrund macht, ist, dass das vom Ministerium als "Sandbox" präsentiert wurde, also als neues Modell, von dem andere Unis lernen können. Aber sie ist sehr monokratisch aufgestellt. Freilich, ich würde mir auch wünschen, dass manches an Universitäten schneller geht. Aber man muss schauen, dass man in puncto Wissenschaftsfreiheit nicht ausrutscht oder den Bogen überspannt. Klement Tockner, der ehemalige FWF-Präsident und jetzige Generaldirektor der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung, hat bei der Klagenfurter Exaugurationsfeier ein gutes Beispiel für das Problem von zu viel Wirtschaftsnähe von Unis gebracht: In den USA wurden in der Debatte rund um die Gefährlichkeit der chemischen Verbindung Bisphenol A, bekannt als BPA, in Kunststoffen diverse Studien durchgeführt. Die Studien von öffentlichen Unis kamen mehrheitlich zu dem Schluss, dass die Substanz krebserregend sein kann - und das Risiko dafür hoch sei. Wirtschaftsnahe Forschungsinstitute meinten hingegen, die Substanz sei ungefährlich, weil sie nur mit Rattenarten experimentierten, von denen man von vornherein wusste, dass sie wenig anfällig für die möglicherweise durch diese Substanz ausgelösten Krebsarten sind.

Bei den Budgetverhandlungen haben die Unis von Wissenschaftsminister Martin Polaschek (ÖVP) für heuer nur rund die Hälfte der inflationsbedingten Kostensteigerungen abgegolten bekommen - konkret 205 statt der geforderten 525 Mill. Euro. Sind die heimischen Hochschulen unterfinanziert? Das hängt davon ab, welche Ziele man sich setzt und womit man sich vergleicht. Wir haben als Uniko über eine Wifo-Studie gut belegt, dass es einen Zusammenhang zwischen Rankingplatzierungen und der Finanzierung der jeweiligen Uni gibt. Wenn man mit einer oder mehreren Universitäten unter die globalen Top 100 will oder so wie die Niederlande das Kunststück schaffen will, alle staatlichen Unis - außer der Fernuni (in Heerlen, Anm.) - in den großen Rankings unter die besten 200 der Welt zu bringen, dann muss Österreich in puncto Finanzierung weitaus mehr tun. Aber ich sehe es positiver, als Sie die Frage formuliert haben. Mit den 16 Milliarden Euro für die Jahre 2025 bis 2027 haben wir die Teuerung abgegolten bekommen und sogar ein kleines Plus für die Entwicklung erhalten. Das ist eine solide Finanzierung. Dafür hat sich Minister Polaschek im vergangenen Herbst massiv eingesetzt. Das war ein guter Erfolg für die Unis.

Ablehnung von Minister Polaschek gab es zum Vorstoß der Uniko, eine Grundsicherung für Studierende einzuführen: Sie soll rund 1200 Euro im Monat umfassen, die Familien- und Studienbeihilfe ersetzen und an alle Studis gehen, die 40 ECTS-Punkte pro Studienjahr erreichen. Warum halten Sie diese Maßnahme weiter für nötig? Ich halte das weiterhin für eine gute Idee, weil evident ist, dass das Ausmaß an Berufstätigkeit der österreichischen Studierenden im europäischen Vergleich zu hoch ist. Es gibt zu viele, die neben ihrem Studium mehr als zehn Wochenstunden arbeiten. Da wissen wir aus IHS-Studien, dass sich das negativ auf den Studienerfolg auswirkt - oft sind sie ja in Jobs tätig, die nichts mit dem Studium zu tun haben, etwa in der Gastronomie. Das ist kein effizientes System. WU-Rektor Rupert Sausgruber hat das neulich sehr prägnant formuliert und gemeint: "Neben dem Studium zu arbeiten, muss man sich erst einmal leisten können." Denn in Wirklichkeit sollte man sich voll auf das Studium konzentrieren, um dann dessen volkswirtschaftliche Kosten in Form von höheren Steuerleistungen, weil man ja durch das Studium in der Regel ein höheres Einkommen hat, dem Staat zurückzuzahlen. Über eine solche Grundsicherung muss sich niemand aufregen: Das soll an Studienleistungen gekoppelt sein; und man kann auch über eine teilweise Rückzahlung ab dem Überschreiten einer bestimmten Einkommensschwelle nach Studienabschluss reden - ähnlich wie beim australischen Modell (wo der Staat den Studierenden einen Kredit gewährt, Anm.). Das funktioniert dort sehr gut. Es wäre also kein bedingungsloses Grundeinkommen für alle - sondern eine leistungsbezogene Grundsicherung. Das wäre eine Win-win-Situation für alle Beteiligten, weil die Studien-Abbrecherrate sinken würde und die Studienzeiten kürzer wären.

Was machen Sie ab November mit Ihrer vielen freien Zeit? Sich anderswo als Rektor bewerben? Nur "einfacher" Psychologie-Professor zu sein ist ja für Sie nicht tagesfüllend. Oder doch? Bevor ich im Sommersemester 2025 mein Forschungs-Freisemester antrete, halte ich im laufenden Wintersemester Lehre: Ich biete im Bachelorstudium Psychologie ein Proseminar zu künstlicher Intelligenz an. Und für die Masterstudierenden halte ich ein Seminar über Para- und Pseudowissenschaften sowie Esoterik. Damit werde ich gut beschäftigt sein; und ich freue mich auf den regelmäßigen Austausch mit den Studierenden. Es wird zudem noch genug Aktivitäten nach dem Rektorsamt geben, die nicht sofort abreißen und wo noch genug außerhalb von Forschung und Lehre zu tun sein wird. Gegenwärtig kann ich eine Rektorenbewerbung anderswo ausschließen. Inklusive vorherigen Senatsvorsitzes war ich jetzt fast 20 Jahre in der Klagenfurter Uni-Leitung. Da tut ein Päuschen einmal ganz gut. Aber wahrscheinlich gilt: Sag niemals nie.

Sie gelten, auch weil Ihre Mutter einst in Wien SPÖ-Gemeinderätin war, als SPÖ-nahe - und wären nicht der erste Rektor bzw. Uniko-Chef, der Bildungsminister wird. Wurden Sie schon gefragt? Es ist überaus ehrenvoll, da immer wieder genannt zu werden. Ich halte das aber für ein sehr unwahrscheinliches Szenario. Da müssen sich erst einmal die Parteienverhandler zusammenfinden und fixieren, wie so eine Koalition inhaltlich aussieht und wer welches Ressort beansprucht. Wenn die Neos dann auf die Idee kommen, mich als Bildungsminister vorzuschlagen, wäre das eine spannende Entwicklung (lacht). Ich glaube aber nicht, dass es dazu kommt. Bisher hat mich noch keiner gefragt. Und wenn, dann müsste ich es mir gut überlegen. Denn die Frage ist: Hat man dann auch den politischen Hebel oder die Hausmacht, wirklich Gutes für Schulen, Hochschulen und Forschung durchzusetzen? Sach- und Fachkenntnis als Rektor ist das eine. Man muss aber auch die Verankerung in der Politik haben und das politische Spiel beherrschen, um etwas durchzusetzen. Bei ÖVP-Chef und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner gab es einst massive Bedenken, weil er als Erster Wirtschafts- und Wissenschaftsressort in einer Hand hatte. Aber er hat dann für die Unis erfreulich viel bewegt.


Eurostudent-Studie: Heimische Studierende arbeiten vergleichsweise viel

Die Studierenden in Österreich arbeiten im internationalen Vergleich außergewöhnlich viel neben ihrem Studium. Das führt zu überlangen Studienzeiten - und auch zu vergleichsweise vielen Studienabbrüchen. Das zeigt etwa die heuer im Juli präsentierte Eurostudent-Studie, bei der 25 Länder vergleichen wurde: Laut dieser Erhebung sind in Österreich 56 Prozent der Studierenden während des ganzen Semesters berufstätig, weitere 13 Prozent zeitweise. Frauen arbeiten im Schnitt 20 Stunden pro Woche, Männer 23. Nur 31 Prozent der Studierenden arbeiten in Österreich gar nicht - weniger sind es nur in vier der untersuchten Länder. 37,5 Prozent aller Studien werden in Österreich abgebrochen.