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Stirbt die Handschrift aus?

An zahlreichen US-Schulen wird keine Handschrift mehr gelehrt. Schwappt der Trend auch nach Europa? Und was ändert sich, wenn niemand mehr mit der Hand schreiben kann?

Stirbt die Handschrift aus?
Stirbt die Handschrift aus?

Eine Prüfung an einer Uni. Im Hörsaal sitzen 30 Kursteilnehmer - allesamt vor einem PC. Dass die Studenten die Prüfung per Computer ablegen müssen, liegt aber nicht daran, dass der Studiengang besonders interaktiv oder multimedial ist. Den Lehrenden bleibt schlicht keine andere Wahl. Denn die Kursteilnehmer können nur noch tippen. Mit der Hand zu schreiben haben sie nie gelernt.

Ein solches Szenario könnte schon bald Realität werden - zumindest in den USA. Bereits seit Jahren wird in zahlreichen amerikanischen Schulen keine Handschrift mehr gelehrt. 2016 sind noch weitere dazugekommen. Dem zugrunde liegt ein Bildungsleitfaden, die sogenannten "Common Core State Standards". In diesen wird von den Schulen verlangt, Tastaturfähigkeiten zu unterrichten - jedoch keine Handschrift. Mittlerweile soll laut einer Studie an 41 Prozent der US-Grundschulen zumindest keine Schreibschrift mehr unterrichtet werden.

Trend schwappt nach Europa

Der Trend scheint immer stärker nach Europa zu schwappen: In Finnland müssen Schüler seit diesem Jahr keine Schreibschrift mehr lernen. Selbst an manchen deutschen und Schweizer Bildungseinrichtungen wird mittlerweile auf die klassische Handschrift verzichtet. In einigen Hamburger Schulen wird etwa nur noch eine sogenannte Grundschrift gelehrt. Dabei entwickeln die Schüler ihre eigene Schreibart - ohne eine einheitliche Schrift zu lernen. Und auch in Österreich gibt es immer mehr Laptop- oder iPad-Klassen, wenngleich die Handschrift im Regelfall mitvermittelt wird.

Wie sinnvoll sind die neuen Lehransätze? Ulrike Greiner sieht das Ganze differenziert. Als Co-Direktorin der School of Education an der Uni Salzburg beschäftigt sich die Wissenschafterin tagtäglich mit der Lehrerausbildung. "Wenn man sich einschlägige Studien anschaut, fördert das Handschriftliche offenbar besseres Denken, unter anderem durch die Verlangsamung des Schreibprozesses." Eine derartige Erhebung geht auf zwei US-Forscher aus Princeton sowie der University of California zurück. Die beiden Wissenschafter hatten belegt, dass Studenten, die händisch mitschreiben, die Inhalte besser im Kopf behalten als jene, die auf technische Hilfsmittel setzen. Die Begründung ist simpel und einleuchtend zugleich: Je wörtlicher eine Mitschrift ist, desto weniger bleiben die vermittelten Inhalte hängen. Und der Gebrauch von Laptops oder Tablets verleitet zum wortwörtlichen Mitschreiben. Handschriftliche Aufzeichnungen bestünden zwar aus weniger Wörtern, der jeweilige Sachzusammenhang sei jedoch besser dargestellt.

"Kann besser abgerufen werden"

Margarethe Delazer kann die Ergebnisse der Studie nachvollziehen. Für die Neuropsychologin an der Medizinischen Universität Innsbruck ergibt vor allem die Begründung Sinn: "Es ist tatsächlich so: Alles, was tiefer encodiert wird, spricht zusätzliche Gehirnareale an und kann deshalb besser abgerufen werden." Man solle also allem Gelernten eine Bedeutung beimessen. Kinder seien ein gutes Beispiel: "Ein junger Mensch merkt sich viel leichter, dass ein Löwe ein Löwe ist, wenn er sich das Tier in seiner Lebenswelt vorstellt, also zum Beispiel in der Savanne."

Doch nicht jede Studie spricht für den Erhalt der Handschrift, wie Ulrike Greiner anmahnt. "In einigen Erhebungen wird darauf verwiesen, dass all jene, die feinmotorische Probleme haben, sich derart auf das handschriftliche Schreiben konzentrieren müssen, dass die Denk- und Merkprozesse sogar gehemmt werden." Auch aufgrund der verschiedenen Ansätze ortet Greiner, dass der eigentliche Hintergrund der Debatte tiefer liegt. "Ich glaube, es geht um kulturelle Argumente", ergänzt die Expertin. "Die Handschrift ist ein Überbleibsel der alteuropäischen Identität und Individualität." Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass "wir Individualität verlieren". Dies liege aber nicht nur an der Art der Schrift: "Früher wurden wir nicht sanktioniert, wenn wir zehn Wörter mehr geschrieben haben. Heute ist das Hauptthema eines wissenschaftlichen Antrags, ob ich mich ja an die Wortanzahl gehalten haben." Aber selbst das habe mit der Digitalisierung der Kommunikation zu tun: "Von PC-Tests kriegen wir Felder vorgegeben, die wir zu füllen haben."

Noch braucht ein Student die Handschrift

An den Universitäten ist dieser Digitalisierungsprozess noch nicht vollends angekommen - selbst in den USA nicht. "Wir haben alle Prüfungen handschriftlich gemacht", beschreibt etwa Bernhard Schöps. Der Salzburger Unternehmer hat bis 2014 an der Universität Berkeley in Kalifornien studiert. "Computertest und generell digitalisierte Prozesse waren ein Thema. Aber breit umgesetzt wurden sie noch nicht." Auch an der Universität Salzburg gibt es nur vereinzelt computerbasierte Tests. Ein Studium ohne Handschrift zu absolvieren ist noch nicht oder nur schwer möglich.

Doch was soll man einem Schüler oder Studenten nun raten? Die Handschrift kultivieren oder doch auf Laptop oder Tablet tippen? "Ich würde auf beides setzen", sagt Ulrike Greiner. "Zum einen ist es wichtig, Normen und bestimmte Vorgaben zu erfüllen." Zum anderen solle man sich nicht derart stark einschränken lassen, dass sich die eigenen Gedanken nicht mehr frei entfalten können. "Mein Sohn war in der siebten Klasse Gymnasium einer von zwei Schülern, die die Deutschschularbeit handschriftlich gemacht haben. Irgendwie hat es mich gefreut. Denn ich glaube schon, dass wir über die Handschrift eine größere Nähe zum Geschriebenen schaffen."