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Auf die Krisen folgt der Antisemitismus

Die Krisen befeuerten Verschwörungsmythen, die Hand in Hand mit Antisemitismus gehen. Besonders ausgeprägt ist er bei Menschen aus muslimischen Ländern.

Corona, Ukraine-Krieg, Teuerung, Energieknappheit. All die Krisen der vergangenen zwei Jahre haben nicht nur Verschwörungstheorien stark befeuert, sondern auch die damit einhergehenden antisemitischen Tendenzen. Das belegt der aktuelle Antisemitismusreport des Parlaments, der am Dienstag vorgestellt wurde und der bereits zum dritten Mal seit 2018 erhoben hat, wie es um Vorurteile und Judenhass im Land bestellt ist.

Bedauerlicherweise zeige sich, dass der Antisemitismus zuletzt durch die multiplen Krisen wieder zugenommen habe, sagte Projektkoordinator Thomas Stern. Nach einem Rückgang im Jahr 2020 in allen Bereichen (die Befragung fand mitten im zweiten Coronalockdown und unmittelbar nach dem islamistischen Terroranschlag in Wien statt) zeige sich nun wieder eine generelle Zunahme der Vorurteile. Und: "Der Verschwörungsglaube ist ein wesentlicher Aspekt zum Verständnis von Antisemitismus", betonte er. Man könne es auch so zusammenfassen: "Auf die Krise folgt der Antisemitismus."

Konkret stimmten etwa 36 Prozent der Befragten laut der Ifes-Studie der Aussage zu, dass Juden "die internationale Geschäftswelt beherrschen". Auch wenn es um den Holocaust geht, wuchern die Vorurteile wie eh und je: Wiederum 36 Prozent fanden die Aussage "Juden versuchen heute Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der Nazizeit Opfer gewesen sind" voll oder eher zutreffend. Selbst Hardcoreaussagen wie jener, dass Juden "zumindest zum Teil selbst schuld daran sind", dass sie in der Geschichte so oft verfolgt wurden, oder dass vieles in den Berichten über die Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg "übertrieben dargestellt" sei, stimmten 19 bzw. elf Prozent voll oder eher zu.

"Antisemitismus ist kein Phänomen politischer Randgruppen, sondern er kommt aus der Mitte der Gesellschaft", sagte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der das Projekt initiiert hatte und auf die lange Geschichte des Antisemitismus verwies. An den Rändern von rechts bis links werde er nur besonders deutlich sichtbar - wobei man auf die linken Ränder lange kein Augenmerk gelegt habe. "Nun sehen wir es ganz klar als Antiisraelismus oder Antizionismus", sagte Sobotka. Abgesehen davon sei Antisemitismus im Land auch in einer dritten Form sichtbar: bei jenen Menschen und ihren Familien, die aus Ländern nach Österreich migriert seien, in denen Antisemitismus "Staatsräson" sei, sagte Sobotka.

Die Studie verweist einmal mehr darauf, dass Befragte mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund "durchgehend eine sehr viel stärkere antisemitische Einstellungen an den Tag legten als die österreichische Gesamtbevölkerung". Am deutlichsten zeigte sich das beim israelbezogenen Antisemitismus. 62 Prozent etwa waren der Meinung, dass sich die Israelis in Bezug auf die Palästinenser nicht anders verhalten würden als die Deutschen gegenüber den Juden im Zweiten Weltkrieg. In der Gesamtbevölkerung stimmte dem "nur" jeder Dritte (30 Prozent) zu. Die Aussage "Wenn es den Staat Israel nicht mehr gibt, dann herrscht Frieden im Nahen Osten" stimmte fast jeder zweite (47 Prozent) mit Migrationshintergrund zu, in der Gesamtbevölkerung waren es 14 Prozent.

Beim Holocaust waren die Unterschiede ebenso deutlich: Der Aussage, dass in Berichten über Konzentrationslager und Judenverfolgung der Nazis übertrieben werde, stimmten 40 Prozent in der Migrantengruppe zu - und, wie eingangs erwähnt, elf Prozent der Gesamtbevölkerung. Auch der Hang zu Verschwörungsmythen ist in der Gruppe noch stärker ausgeprägt, etwa wenn es um die USA als Wurzel allen Übels geht. Bei den Befragten mit Migrationshintergrund handelt es sich übrigens mehrheitlich um Menschen, die bereits hier geboren und zur Schule gegangen sind (53 Prozent). Bei den 14 Prozent, die erst in den vergangenen zehn Jahren ins Land kamen, war der Antisemitismus im Vergleich schwächer ausgeprägt.

Was sich in der Studie auch klar zeigte: je höher der Bildungsgrad, umso geringer die Zustimmung zu antisemitischen Haltungen. "Wissen ist ein Schutzmechanismus", sagte Ifes-Studienleiterin Eva Zeglovits. Wobei häufig die Matura den entscheidenden Unterschied macht. Die Studienverfasser gaben allerdings auch zu bedenken, dass Menschen mit formal höheren Bildungsabschlüssen auch eher zu sozial erwünschten Antworten tendierten.

Zeglovits hatte aber auch Positives zu berichten: Gerade die jüngeren Befragten hätten Antisemitismus durchaus klar in ihrem Umfeld identifizieren können. Allein dadurch bestehe mehr Schutz davor, auf solche Aussagen hereinzufallen. Sobotka merkte an, dass Antisemitismus zwar so bald nicht auszumerzen sei. "Aber unsere Aufgabe ist es, ihn auf dem Boden zu halten." Denn: "Antisemitismus ist eine Gefahr für die Demokratie."