Die Frauenchefin des ÖGB über traditionelle Rollenbilder, Rückschritte und Herausforderungen.
Frau Schumann, hat sich zuletzt irgendetwas substanziell für Frauen verbessert? Korinna Schumann: Nein, im Gegenteil: Die Krisen haben die Frauen zu weiteren Verliererinnen gemacht. Und wenn jetzt nicht bewusst gegengesteuert wird, dann sehe ich ganz schwarz. Da geht's um die Teuerung, die Armutsgefährdung, die Belastungen von Frauen am Arbeitsplatz und um mehr Plätze für Kinderbetreuung.
Was fordern Sie konkret? Zentral ist es, die Einkommensunterschiede zu bekämpfen, in der Folge die Pensionsunterschiede, die bei uns ja extrem sind. Wir brauchen Einkommen, von denen man auch leben kann: Daher fordern wir einen kollektivvertraglichen Mindestlohn von 2000 Euro.
Seit Jahrzehnten reden wir darüber, dass Frauen mehr Vollzeit arbeiten sollen. Zwar arbeiten heute mehr Frauen denn je, aber dafür oft Teilzeit. Dabei sind sie heute gebildeter, es gibt mehr Kinderbetreuung. Wie kann das sein? Ja, es gibt mehr Kinderbetreuungsplätze, aber immer noch zu wenige. Wenn wir Bundesländer haben mit nur 14-prozentigem Anteil von Betreuungsplätzen, die mit Vollzeitarbeit vereinbar sind, dann stellen sich Fragen wie "Kann ich Vollzeit arbeiten oder zumindest meine Stunden hinaufsetzen?" gar nicht. Unsere Forderung nach einem Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz ab dem ersten Lebensjahr ist essenziell. Nur dann kann ich mich überhaupt erst frei entscheiden.
Nur ein Drittel der Mütter von unter Dreijährigen ist in Österreich berufstätig. Die Mehrheit gab laut einer Studie jüngst an, ihre Kinder selbst betreuen zu wollen. Was sagen Sie diesen Frauen? Es ist natürlich jeder Frau unbenommen zu entscheiden, wie sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestaltet. Aber viele Frauen können sich gar nicht vorstellen, mehr zu arbeiten oder überhaupt ins Berufsleben einzusteigen, weil die Rahmenbedingungen nicht da sind. Aber wenn der Betreuungsplatz da ist, dann habe ich gar nicht die Sorge, wie ich das schaffen kann. Es geht ja nicht nur um den Platz an sich, sondern um die beste Qualität in der Kinderbildung. Da muss die Sicherheit bestehen, dass es ein ausgezeichneter Platz ist.
Derzeit wird heftig über Teilzeit debattiert. Eine Studie der Agenda Austria zeigt nun, dass auch jede zweite Frau zwischen 45 und 54 ohne Kinder nur Teilzeit arbeitet. Das ist ein weiteres Anheizen der Teilzeitdebatte, die ja von Kocher (Arbeitsminister, Anm.) begonnen - und in eine Privilegiendebatte gedreht wurde. Jetzt wird alles getan, um die Teilzeitdebatte als Faulheitsdebatte zu führen. Das ist höchst gefährlich.
Teilzeit hat Auswirkungen - natürlich. Auf das Einkommen, dann auf die Pension und viele andere Leistungen. Es braucht daher Rahmenbedingungen, damit Frauen überhaupt die Entscheidung treffen können, Vollzeit zu arbeiten. Viele Frauen sind auch in sehr belasteten Berufen, die sagen: Ich schaffe gar keine Vollzeit.
Auch die Coronapandemie hat gezeigt, dass Care-Arbeit Frauensache ist: Laut einer WU-Studie leisteten sie 17,5 Stunden unbezahlte Arbeit pro Woche mehr als Männer. Wie soll sich das ändern? Ohne die unbezahlte Arbeit, die Frauen leisten, würde die Wirtschaft zusammenbrechen. Das ist natürlich eine Frage der Verteilung im Privaten. Aber auch der Arbeitszeiten. Wir haben ein Familienarbeitszeiten-Modell entwickelt, wo die Frau hinaufsetzt und der Mann reduziert. Es braucht neue Arbeitszeitformen - und den gesellschaftlichen Konsens, dass Kinderbetreuung, Angehörigenbetreuung und Haushalt nicht per se in Frauenhand liegen.
Muss man also stärker bei den Männern ansetzen? Es kann das Leben von Männern sehr bereichern, wenn sie Aufgaben in der Sorgearbeit übernehmen! Aber es bräuchte jetzt wirklich eine nationale Anstrengung, wie man die Frauen entlasten und ihre Situation verbessern kann. Es tut sich einfach so wenig. Und gerade in Zeiten der Krisen ist das besonders schlecht, weil das Zeiten des Rückschritts sind. Frauen bekommen ja auch 40 Prozent weniger Pension und nur jede zweite Frau geht aus einer Erwerbstätigkeit direkt in Pension. Jetzt will man sie wieder zurückholen, ja, weil man einen Bedarf hat. Wir Frauen sind offenbar die Reserve: Wenn man sie am Arbeitsmarkt nicht braucht, sagt man: Zurück ins Häusliche! Und wenn man sie braucht, aktiviert man sie wieder. Tatsache ist: Wenn wir kein modernes Frauen- und Familienbild implementieren, werden alte Rollenbilder wieder verstärkt.
Apropos Belastung und Frauen: Wie lange hält Ihre Parteichefin Rendi-Wagner, die erste Frau an der Spitze der Partei, der anhaltenden internen Kritik noch stand? Eine Führungsdebatte ist jetzt nicht zu führen. Und wenn man das macht, dann parteiintern.
Kann die SPÖ mit Rendi-Wagner Nummer eins werden? Sie ist unsere Parteivorsitzende. Und von uns als Gewerkschaftsfrauen war die Unterstützung immer da.
Zur Person:Korinna Schumann ist die Bundesfrauenvorsitzende und Vizepräsidentin des Österreichischen
Gewerkschaftsbunds.
Die gebürtige Wienerin sitzt für die SPÖ im Bundesrat.