In einem zweiten Anlauf haben mehrere Künstler mit ihren Beschwerden über Ungleichbehandlung während eines Covid-Lockdowns recht bekommen und somit das Recht auf freie Kunstausübung gestärkt. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) teilte am Dienstag mit: Das Betretungsverbot für Kultureinrichtungen im Herbst 2021 war rechtswidrig.
Laut der 5. Covid-19-Verordnung war im Zuge eines bundesweiten Lockdowns von 22. November bis 11. Dezember das Betreten der Publikumsbereiche von Kultureinrichtungen ausnahmslos untersagt. Gegen so ein Betretungsverbot bestehe an sich kein verfassungsrechtliches Bedenken, heißt es in der Mitteilung des VfGH. Dieses sei geeignet gewesen, der Verbreitung des Virus entgegenzuwirken, es sei erforderlich und - wegen Begrenzung auf 20 Tage - verhältnismäßig.
Jedoch: Dass das Betreten von Kulturbetrieben verboten war, während zur gleichen Zeit aber Zusammenkünfte zur Religionsausübung erlaubt waren, verstößt laut VfGH gegen den Gleichheitsgrundsatz, ist also rechtswidrig. Dazu stellt der Gerichtshof fest: "Eine sachliche Rechtfertigung für eine derartige Ungleichbehandlung von Religion und Kunst ist nicht zu erkennen. In beiden Fällen kommt bestimmten Grundrechtsausübungen gemeinsam mit oder vor anderen Menschen wesentliche Bedeutung zu."
Initiative "Florestan" im zweiten Anlauf im Recht
Damit haben Künstler der "Florestan"-Initiative recht bekommen. Der Dirigent Florian Krumpöck, der Künstleragent Florian Dittrich und der Anwalt Wolfram Proksch haben im Herbst 2020 diese Plattform gegründet und ein Crowdfunding lanciert, um sich mittels Individualbeschwerden gegen die ihrer Ansicht zu rigiden Schließungen während der Lockdowns zu wehren. Sie gewannen Künstler wie Gerti Drassl, Alfred Dorfer, Günther Groissböck, Maria Happel, Angelika Kirchschlager, Petra Morzé, Roland Neuwirth, Nicholas Ofczarek und Mathias Rüegg als Mitstreiter.
Mit ihrem ersten Anlauf im März 2021, bei dem die ersten Lockdowns für Kulturbetriebe als unverhältnismäßig beanstandet worden waren, blitzten die Künstler noch ab: Ende Oktober 2021 erkannte der VfGH zwar an, "dass die Betretungs- und Veranstaltungsverbote eine schwerwiegende Wirkung auf die Freiheit der Kunst hatten". Doch "diese waren eine von vielen Maßnahmen zur Verhinderung von Menschenansammlungen", um Leben und Gesundheit zu schützen.
Jetzt, im zweiten Anlauf, hat der Verweis auf den Gleichheitsgrundsatz gezogen: Kunst und Kultur dürfen also nicht strenger behandelt werden als andere Bereiche, insbesondere Kirchen.
Das Urteil sei vor allem für die Zukunft wichtig, sagte der Initiator, Dirigent, Pianist und Leiter des Festivals Kultur.Sommer.Semmering Florian Krumpöck den SN. Nun sei vorgesorgt, dass bei etwaigen künftigen Lockdowns "so etwas nicht wieder passiert".
Recht auf Schadensersatz für Künstler wird geprüft
Und Schadenersatz? "Oh ja, das wird geprüft", versichert Florian Krumpöck. Allerdings sei dies zeitaufwendig. Geschädigt wurden durch die Lockdowns vor allem freischaffende Künstler und Veranstalter. Den Veranstaltern blieben, sofern sie nicht ausreichend vom Staat entschädigt wurden, etwa Kosten für Vorbereitungen sowie für Kartenrückgaben und Suche nach Ersatzterminen. Noch ärger traf es viele freie Künstler, die üblicherweise pro Auftritt bezahlt werden, doch infolge der Lockdowns oft entschädigungslos um ihre Gagen umfielen - trotz gültiger Verträge. Zum Teil, etwa von den Bundestheatern, gab es prozentuelle Abschlagszahlungen, oft jedoch bekamen diese Künstler nichts - außer die in der Coronazeit als Nothilfe zuerkannten staatlichen Arbeitsstipendien von 1000 Euro pro Monat.
Neben der bahnbrechenden Entscheidung für Kunst und Kultur machten die Verfassungsrichter auch eine zweite Entscheidung publik: Dass Ungeimpfte von 15. November bis 11. Jänner 2022 nicht zum Friseur durften, war rechtswidrig, weil für Ungeimpfte der Lockdown auf elf Wochen verlängert wurde. Bei derart langer Dauer gehört, laut VfGH-Entscheidung, auch der Friseurbesuch "zur Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse", hätte also auch Ungeimpften erlaubt sein müssen.