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ÖVP gibt sich 100 Prozent Nehammer

Die Volkspartei hat Karl Nehammer mit dem größtmöglichen Vertrauen nun auch offiziell zu ihrem Parteichef gekürt: Beim Bundesparteitag in Graz erreichte er Samstagnachmittag das ungewöhnliche Ergebnis von 100 Prozent. Er nahm die Wahl "mit Stolz und Dankbarkeit" an. Dies sei "erst der Anfang", meinte er mit Blick auf eine auch künftige Kanzlerschaft. Davor hatten prominente Parteifreunde - darunter auch sein Vorgänger Sebastian Kurz - die Werbetrommel für ihn gerührt.

Nehammer ist nun auch offiziell ÖVP-Chef
Nehammer ist nun auch offiziell ÖVP-Chef

Ein hohes Ergebnis für Nehammer war allein schon deshalb erwartet worden, weil die ÖVP bei ihren Obmann-Wahlen traditionell großzügig ist. Dass aber alle 524 abgegebenen Stimmen auf Nehammer entfallen, überraschte wohl alle Beobachter. Ein 100-Prozent-Ergebnis beim Erstantritt gab es noch nie. Leopold Figl und Julius Raab schafften dieses Kunststück allerdings bei ihrem jeweils zweiten Antreten, und zwar 1947 bzw. 1954. Über eine Stunde nach Verkündung des Ergebnisses war Nehammer immer noch nicht fertig, Glückwünsche auf der Bühne entgegenzunehmen.

Die Vorzeichen des Parteitags waren eigentlich keine guten gewesen: Eine Parteifinanzen-Affäre der Vorarlberger ÖVP, schlechte Umfragewerte, der laufende ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss, die Kritik an seiner Reise zum russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin und die Affäre um betrunkene Cobra-Personenschützer im Umfeld der Kanzlerfamilie dominierten die Schlagzeilen. Als Zuckerguss musste Nehammer außerdem just ein paar Tage vor dem Event Personallöcher in seinem Regierungsteam stopfen. Die enge Kurz-Vertraute Elisabeth Köstinger, die mit ihrem Rücktritt als Landwirtschaftsministerin die Rochade begonnen hatte, war beim Parteitag in Graz bestens gelaunt dabei.

Und auch sonst war die Stimmung betont gut - trotz Protesten von Tier- und Umweltschützern vor der Tür. Die schwarzen Wände der Helmut-List-Halle wurden mit rot-weiß-rot und türkis bedacht, der stickige Saal war mit laut Parteiangaben rund 1.300 Gästen so gut gefüllt, dass nicht alle einen Sitzplatz fanden. Nehammer riss ohnehin schon bei der Begrüßung alle Funktionäre vom Hocker - der Partei war offenbar klar, dass es nach den letzten schwierigen Monaten galt, Einigkeit zu demonstrieren. Mehrere Redner - vom steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer bis zu Klubobmann August Wöginger - bereiteten die Stimmung für Nehammer auf.

Die Aufregung im Vorfeld, dass auch Nehammers Vorgänger Kurz das Wort ergreifen wird, wurde dahingehend entschärft, dass Kurz gemeinsam mit dem früheren Parteichef Wolfgang Schüssel auf der Bühne vom Moderator interviewt wurde. "Ratschläge gibt es von mir nicht, vor allem nicht öffentlich", versicherte Kurz. Unmittelbar vor seiner Rede schrieb er dann seinem Nachfolger ein aufmunterndes SMS - "keine Sorge, wir werden es nachher veröffentlichen", feixte Nehammer.

Der 49-Jährige hatte die Partei im Dezember übernommen, als sich Kurz, gegen den unter anderem in der Inseratenaffäre ermittelt wird, aus der Politik zurückgezogen hatte. Nehammer berichtete in seiner Rede, die dann doch eine ganze Stunde dauerte, von stürmischen Zeiten, doch man sitze auch bei rauem Sturm gemeinsam in einem Boot. Die Opposition kämpfe mit allen Mitteln: "Es gibt ganz viele Angriffe unter der Gürtellinie - und wisst's, warum das ist? Weil sie es auf Augenhöhe nicht schaffen." Aus dem Gegenwind könne aber auch wieder Rückenwind werden, jede Veränderung biete auch Chancen.

Der Parteichef widmete sich dem "Wertefundament" der ÖVP und verglich dabei die Haltung seiner Gesinnungsgemeinschaft mit dem heiligen Martin, der der Legende nach einem Armen geholfen hatte. "Er hat seinen Mantel geteilt, nicht den eines anderen", denn letzteres, "das ist Sozialismus". Im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine bekannte sich Nehammer zur Neutralität und unterstrich die Notwendigkeit eines starken Bundesheers. Zum Ausstieg aus der Abhängigkeit aus fossilen Energien versprach er einen milliardenschweren Transformationsfonds. Auch weitere Antiteuerungsmaßnahmen werde es geben.

Seitens der Opposition fiel die Einschätzung von Nehammers Ansagen erwartungsgemäß negativ aus. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch ortete laut einer Aussendung Durchhalteparolen, Realitätsverweigerung und Lügen, Nehammer fehle jeglicher Bezug zu den Menschen. Ähnlich abschätzig äußerte sich FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz. Die Kür zum Bundesparteiobmann "wird Nehammers letzter Wahlerfolg gewesen sein", orakelte er.

Liveblog zum ÖVP-Parteitag:

KOMMENTARE (1)

Anna Gruber

In der Geschichte der Volkspartei ist Karl Nehammer nach Figl und Raab erst der 3. Obmann mit einer derartig hohen Zustimmung, wozu vermutlich seine Friedensmission in die Ukraine und Russland beigetragen hat. Im Gegensatz dazu hat Joy Pamela Rendi-Wagner ohne Gegenkandidaten wegen der vielen Streichungen nicht mal 75% erreicht.
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