Mit der Einladung an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, am Donnerstag per Video eine Rede vor dem Nationalrat zu halten, bekundete Österreich seine Solidarität mit der überfallenen Ukraine. Eine Solidarität, die freilich Grenzen hat. Denn einerseits verfolgte, was einer seltenen Ehre für das Parlament gleichkommt, von der Besuchergalerie aus Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Rede. Doch andererseits blieben in der Ebene darunter, im Rund des Sitzungssaals, zahlreiche Plätze frei. Nur 18 von 40 SPÖ-Mandataren hatten sich eingefunden, abwesend war auch die erkrankte Parteichefin Pamela Rendi-Wagner. Die freiheitlichen Abgeordneten glänzten gar geschlossen durch Abwesenheit: Sie hatten aus Protest gegen die Rede den Saal verlassen und Taferl mit Aufschriften wie "Platz für Frieden" und "Platz für Neutralität" auf ihren Pulten zurückgelassen. Und vor dem Parlamentsgebäude hatten sich unter dem Motto "Schande für die Republik" einige Demonstranten gegen Selenskyj eingefunden, darunter auch solche, die noch vor wenigen Monaten gegen die Coronaimpfung protestiert hatten.
Selenskyjs Rede war kurz, emotional und wenig kontroversiell. Der Präsident sprach vom "totalen Krieg Russlands gegen unsere Menschen". Er erinnerte daran, dass rund 174.000 Quadratkilometer, das sei die doppelte Fläche Österreichs, durch Minen und nicht explodierte Geschosse kontaminiert seien. Er berichtete, dass die russischen Soldaten in den geräumten Gebieten Sprengfallen in Gebäuderuinen, Feldern und Gärten hinterlassen hätten. Er versicherte, dass die Ukraine nichts anderes als Sicherheit, Ruhe und Freiheit wolle. Er lud die Abgeordneten ein, in die Ukraine zu reisen und sich selbst ein Bild zu machen. Mehrfach bedankte sich Selenskyj bei den Österreichern und Österreicherinnen für die Hilfe, die sie für die Ukraine geleistet hätten. Strittige Themen, etwa Waffenlieferungen, sprach der ukrainische Präsident nicht an.
Die Rede von Präsident Selenskyj zum Nachschauen:
Zuvor hatte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka erklärt, dass "die politische, finanzielle und humanitäre Unterstützung der Ukraine für die Österreicherinnen und Österreicher ein großes Anliegen" sei. Ins gleiche Horn stießen die Redner von ÖVP, SPÖ, Grünen und Neos. Der außenpolitische Sprecher der ÖVP, Reinhold Lopatka, erinnerte daran, dass in diesem Krieg bereits 300.000 Menschen ihr Leben verloren hätten. Der Auftritt Selenskyjs sei selbstverständlich mit der Neutralität vereinbar, denn diese beziehe sich nur auf militärische, nicht aber auf humanitäre Aspekte. SPÖ-Redner Jörg Leichtfried richtete eine direkte Attacke gegen die Freiheitlichen: "Wenn man in einem Jahr 30 ausschließlich prorussische Anträge einbringt, ist das weder ein Signal für Frieden noch für Neutralität", hielt er den leeren FPÖ-Bänken entgegen.
"Es ist vollkommen klar, dass das Parlament keinem Vertreter einer kriegsführenden Partei eine Bühne sein darf", begründete FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl das Fernbleiben seines Parlamentsklubs. Und warum war auch die SPÖ nur so spärlich anwesend? Eine Sprecherin der Partei erklärte, dass es sich um eine Veranstaltung außerhalb der offiziellen Tagesordnung ohne Anwesenheitspflicht gehandelt habe. Im Übrigen führe man "keine Stricherlliste".
Ein führender SPÖ-Mandatar erklärte den "Salzburger Nachrichten", dass sich in der SPÖ "einiges an Unmut" angesammelt habe - freilich nicht gegen Selenskyj, sondern gegen den Nationalratspräsidenten, der eine "Sobotka-Show" veranstaltet habe.