Ob aus den sechs SPÖ-Spitzenpolitikern, die am Sonntag unter großem Applaus und Schulterklopfen in die Aula der Wissenschaften eingezogen sind, jemals sechs rote Kanzler werden, ist ungewiss. Es war jedenfalls das Ziel der Veranstaltung. Und die (Ex-)Kanzlerquote war auch so schon extrem hoch. Fünf rote Ex-Kanzler waren mit Franz Vranitzky, Viktor Klima, Alfred Gusenbauer, Werner Faymann und Christian Kern aufgeboten. Eine sechste SPÖ-Politikerin soll und will Kanzlerin werden. Das war die klare Botschaft von SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner am Tag ihrer Rede zur Lage der Nation (und der SPÖ). Rendi-Wagner will ihre Partei in die nächsten Wahlen führen und die erste SPÖ-Bundeskanzlerin Österreichs werden. Das hat sie am Sonntag in einer Grundsatzrede - wohl auch in Richtung ihrer gar nicht so wenigen innerparteilichen Kritiker - klargestellt. "Es ist Zeit für den nächsten sozialdemokratische Bundeskanzler! Es ist Zeit für die erste sozialdemokratische Bundeskanzlerin!"
Den Koalitionen der vergangenen fünf Jahre stellte Rendi-Wagner ein schlechtes Zeugnis aus, die SPÖ solle das Land nun in eine bessere Zukunft führen. "Dazu braucht es euch. Dazu braucht es mich", so Rendi-Wagner. "Wir sind bereit."
In ihrer mit langem Applaus aufgenommenen, betont staatstragend gehaltenen Rede hob sie unter dem Titel "Ein Land. Eine gemeinsame Zukunft" die Leistungen der Sozialdemokratie in der Vergangenheit hervor - von Bruno Kreisky bis zu den erstmals in der Geschichte komplett angetretenen noch lebenden sozialdemokratischen Altkanzlern. "Hier sitzt ein Vierteljahrhundert österreichischer Kanzlerschaft versammelt. Und es waren die besseren Jahrzehnte für unser Land."
Rendi verweist darauf, dass es nun fünf folgenschwere Jahre ohne Sozialdemokraten in der Regierung gegeben habe. "Fünf Jahre klingen nicht viel. Aber es sind fünf verlorene Jahre." Und die SPÖ-Chefin bringt sich und ihre Partei für die Zeit danach in Stellung: "Immer dann, wenn andere einen Scherbenhaufen hinterlassen haben, haben wir diesen beseitigt, haben wir die Gesellschaft zusammengeführt, haben das Land nach vorn gebracht und modernisiert, haben das Ansehen unseres Landes gestärkt." Und die SPÖ werde es wieder tun: "Wir werden diesen Scherbenhaufen beseitigen. Und wieder wird sich zeigen: Es macht einen Unterschied, wer regiert."
Die "falsche Politik" ÖVP-geführter Regierungen habe in den vergangenen Jahren so manche Errungenschaft zerstört, den Abstand zwischen Arm und Reich erhöht, betonte sie in der rund einstündigen Ansprache. "Es ist Zeit, unserem Land wieder eine andere Richtung zu geben." Österreich müsse wieder ein Land werden, in dem Aufstieg möglich sei, mit gleichen Chancen, in dem Menschen von ihrem Lohn und ihrer Pension gut leben können, das einen festen Platz in Europa habe und das international geachtet und respektiert werde. Rendi-Wagner betonte ein klares Ja zur Neutralität und ein Nein zu einem möglichen NATO-Beitritt.
Den Regierungen ab 2017 warf sie vor, ihre eigenen Interessen vor jene der Menschen zu stellen. Die Regierungskrisen der vergangenen Jahre hätten das Vertrauen der Menschen in die Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit von Politik erschüttert. "Unser Land braucht Politikerinnen und Politiker, die anständig sind, die integer sind und die Richtig von Falsch unterscheiden können."
Rendi warf der aktuellen Koalition aus ÖVP und Grünen vor, in aktuellen Krisen, beim Abfedern der Teuerung oder beim Management der Coronapandemie, zu versagen.
Zu tun und durchzusetzen gebe es für die Sozialdemokratie viel, erklärte die vorerst einmal in erster Linie selbst ernannte Kanzlerkandidatin: weniger Steuern auf Arbeit, höhere Steuern für internationale Onlinekonzerne und Abgaben auf Millionenerbschaften und Vermögen, 100.000 neue ganztägige Kinderbetreuungsplätze, 180.000 zusätzliche Ganztagsschulplätze, eine Ausbildungsoffensive in Pflege und Technik, die Einführung einer Kindergrundsicherung, Lohntransparenz für gerechte Löhne sowie eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes. "All das und noch viel mehr braucht unser Land."