Selenskyj appelliert in Wien an Österreich als Vermittler
Der ukrainische Präsident war zum ersten Staatsbesuch seit Kriegsbeginn in Österreich. Er kam mit einer klaren Vorstellung, was dieses Partnerland leisten kann. Und was nicht.
Auf Anzüge legt der ukrainische Präsident seit Kriegsbeginn bekanntlich keinen Wert, und auch die Falten im roten Teppich vor der österreichischen Präsidentschaftskanzlei hätten Wolodymyr Selenskyj wohl nicht gestört. Doch das Protokoll erlaubt keinen Makel. Bis zur letzten Minute vor der Ankunft des Staatsgastes wurde am Montag noch geklebt und gezupft an den Teppichrändern. Da noch gekehrt, dort noch ein Fussel entfernt.
Mit militärischen Ehren empfingen dann kurz nach Mittag Präsident Alexander Van der Bellen und seine Frau Doris Schmidauer das ukrainische Präsidentenpaar. Der Besuch sollte nur wenige Stunden dauern, bevor Selenskyj weiterreiste nach Kanada, wo die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten tagen. Der ukrainische Präsident wird am Dienstag dazustoßen.
Anders als in Österreich wird Selenskyj bei den G7 um militärische Unterstützung für sein Land werben - aber auch um die Durchsetzung von weiteren Sanktionen gegen Russland. Denn es sei wichtig, gemeinsam Druck auf Putin auszuüben, sagte Selenskyj am Montag in Wien. Dieser Appell richtet sich auch an die Gastgeber vom Montag.
Die EU-Sanktionen trägt Österreich von Beginn an mit. Geht es nach Selenskyj, soll Wien auch seine Bemühungen als Vermittler einsetzen, besonders bei der Rückholung von nach Russland verschleppten ukrainischen Kindern. Eine entsprechende Absichtserklärung wurde am Montag von Außenministerin Beate Meinl-Reisinger und ihrem ukrainischen Amtskollegen Andrij Sybiha unterzeichnet. "Die Ukraine kann auf unsere Unterstützung bei der Rückführung der gewaltsam von Russland verschleppten Kinder zählen", versprach Meinl-Reisinger. Zudem werde Österreich sich dafür einsetzen, dass die Verantwortlichen für die Verschleppungen zur Rechenschaft gezogen werden.
Während die FPÖ im Nationalrat den Staatsbesuch des ukrainischen Präsidenten scharf kritisierte, sicherten Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Christian Stocker Selenskyj ganz klar die Unterstützung Österreichs zu. "Diesen Krieg führt die Ukraine nicht nur für sich selbst, sondern auch für uns", sagte Van der Bellen. Stocker betonte vor seinem Gespräch mit Selenskyj: "Auch als militärisch neutraler Staat wissen wir genau, wo in diesem brutalen Angriffskrieg unser Platz ist: auf der Seite des Rechts und nicht auf der Seite des vermeintlich Stärkeren! Herr Präsident, ich kann Ihnen versichern, dass das auch in Zukunft so bleiben wird." Österreich unterstütze alle Initiativen, die zu einem Waffenstillstand und in weiterer Folge zu einem nachhaltigen, langfristigen und gerechten Frieden führten, sagte der Kanzler.
Auch wenn dieser noch nicht in Sicht ist, bietet sich Österreich als Partner für den Wiederaufbau an. Van der Bellen lobte die engen Bande zur Ukraine, die es auch vor dem Krieg schon gegeben habe: Österreich belegte den sechsten Platz unter den ausländischen Investoren, rund 200 österreichische Unternehmen seien dauerhaft in der Ukraine präsent. "Und das soll auch in Zukunft so bleiben", sagte Van der Bellen, der auf die kürzliche Bestellung eines eigenen Regierungskoordinators für den Ukraine-Aufbau verwies: Wolfgang Anzengruber werde eine Übersicht schaffen über die Finanzierung und die regionalen Prioritäten. Außenministerin Meinl-Reisinger machte klar: "Sowohl die Menschen in der Ukraine als auch die Bevölkerung in Österreich sollen wirtschaftlich von dieser Partnerschaft profitieren."
Van der Bellen betonte bei seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Selenskyj, dass Österreich die Ukraine zwar in vielen Bereichen unterstütze, aber eben nicht militärisch. Selbst wenn es das tun wollte, sagte der Präsident, "ich wüsste nicht, was wir für die Ukraine tun könnten, weil wir selbst im Aufbau sind."
Wer militärisch etwas für die Ukraine tun kann, sind jedenfalls die USA. Ob sie es auch tun? Selenskyj zeigte sich am Montag optimistisch. "Wir werden mit Trump über Militärhilfen und Waffen reden", sagte er und betonte, dass es dabei nicht um neue Hilfen gehe, sondern um schon vereinbarte Waffenkäufe zwischen Washington und Kiew. Er "rechne sehr damit", dass es dazu auch kommen werde.