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Wie die türkis-blaue Koalition ihre Einflusssphären fixierte

Ein bisher geheimes Zusatzpapier zum Koalitionsabkommen 2017 zeigt, wie sich ÖVP und FPÖ das Besetzen öffentlicher Funktionen aufgeteilt und und politische Projekte abgestimmt haben. Das fünfseitige Papier fand durch gemeinsame Recherchen des ORF und des Nachrichtenmagazins "profil" den Weg an die Öffentlichkeit.

Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz und der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache legten ihre jeweiligen Einflusssphären in einem Abkommen schriftlich fest.
Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz und der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache legten ihre jeweiligen Einflusssphären in einem Abkommen schriftlich fest.

Auf 182 Seiten hatten ÖVP und FPÖ ihr Regierungsprogramm niedergeschrieben, das sie im Dezember 2017 der Öffentlichkeit präsentierten. Darüber hinaus trafen die beiden Parteichefs Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ), eine Nebenvereinbarung, deren Inhalt sie allerdings geheim hielten.

In dem sogenannten Sideletter werden auf fünf Seiten politische Vereinbarungen getroffen und Postenvergaben geregelt. Ergänzt gibt es auch Festlegungen für Themen wie Kammern, den Budgetvollzug sowie den ORF. Laut "profil" und ORF trägt jede Seite die Unterschriften von Kurz und Strache. Dass ein solches Papier existiert, war bekannt, nicht aber dessen Inhalt.

Das Papier ist laut den beiden Medien im Zuge einer Aussage des Klubdirektor der FPÖ, Norbert Nemeth, bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) aufgetaucht. Ein Sprecher von Kurz teilte dem ORF mit: "Es ist bekannt, dass solche Abkommen zwischen Regierungspartnern üblich sind. Es gab diese Vereinbarungen zwischen ÖVP und FPÖ genauso, wie zwischen ÖVP und den Grünen. Zuvor wohl auch mit der Sozialdemokratie. Ohne klare Vereinbarungen zu Inhalten und Personalia wäre eine reibungslose Zusammenarbeit schwer möglich."

Im dem Papier wurde unter anderem festgelegt, wie die Nachbesetzungen im Verfassungsgerichtshof stattfinden sollen.
Man einigte sich darauf, dass auf Brigitte Bierlein Christoph Grabenwarter folgen soll. Weiter wurde vereinbart, wie die anderen frei werdenden Posten im Höchstgericht besetzt werden sollen. Und es wurde bereits damals abgesprochen, dass der damalige ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter Mitglied des VfGH werden soll.

Von EuGH über Nationalbank: So teilten sich ÖVP und FPÖ den Staat auf

Auch über die Besetzung anderer Posten in der Justiz verständigten sich die Koalitionäre, darunter das Nominierungsrecht für den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, "Nominierung durch ÖVP"), den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) sowie den Europäischen Rechnungshof, für den die FPÖ einen Kandidaten nominieren beschicken sollen.

Bei der Nationalbank (OeNB) entschied sich die ÖVP dafür, den Präsidenten des Generalrates zu besetzen, die Wahl fiel auf Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer. Dafür durfte die FPÖ Robert Holzmann zum OeNB-Gouverneur machen.

Bereits seit November bekannt ist ein Teil des Papiers, der auf dem Mobiltelefon von Ex-Finanzministers Hartwig Löger (ÖVP) gefunden wurde. Darin wurde vereinbart, dass die ÖVP Aufsichtsrat und Vorstand der Staatsholding ÖBAG nominieren kann.

Im Sideletter finden sich auch Passagen zum ORF, darunter ein Bekenntnis zur Abschaffung der GIS-Gebühren und stattdessen eine Budgetfinanzierung des ORF. Geregelt wird darin auch, welche Parteien Kandidaten für bestimmte Leitungsfunktonen im ORF nominieren kann.

Auch zwischen ÖVP und Grüne gab es Übereinkommen

Einen solchen Sideletter haben auch ÖVP und Grüne im Rahmen ihres Koalitionsübereinkommens abgeschlossen. Teile davon lägen dem ORF vor. Auch darin ging es um die Besetzungen und Vorschlagsrechte für Führungspositionen im öffentlichen Bereiche, darunter der ORF-Stiftungsrat, die Finanzmarktaufsicht, die Nationalbank, ÖBB und Asfinag sowie die Höchstgerichte. Im Gegensatz zum seinerzeitigen Abkommen zwischen ÖVP und FPÖ hat die aktuelle Koalition festgehalten, "dass alle Besetzungen auf Basis von Kompetenz und Qualifikation erfolgen."