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Gynäkologe Christian Fiala kritisiert: "Die Bedürfnisse der Frauen zählen nicht"

Der Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe führt Abtreibungen durch. Er fordert, dass Regierungen Frauen nicht länger bevormunden.

Das Thema Abtreibung ist ein persönliches. Und es entscheidet Wahlen.
Das Thema Abtreibung ist ein persönliches. Und es entscheidet Wahlen.

Drei Schlagzeilen aus drei Tagen: Im US-Bundesstaat Arizona soll wieder ein Gesetz aus dem Jahr 1864 gelten. Es verbietet alle Schwangerschaftsabbrüche, außer das Leben der Mutter ist in Gefahr. - In Deutschland empfiehlt ein Expertengremium, Abbrüche zu legalisieren. - Das EU-Parlament fordert Abtreibungen als Grundrecht.

Christian Fiala, Gynäkologe an der Gynmed der Salzburger Landeskliniken, hat mit den Frauen zu tun, die all das betrifft, und fordert, dass sich die Politik raushält.

Sie sind einer der wenigen Ärzte, die Abtreibungen durchführen und sich öffentlich dazu äußern. Warum? Christian Fiala: Die kurze Antwort lautet: Ich habe in Asien und Afrika gearbeitet und zu oft Frauen nach den Folgen einer illegalen Abtreibung sterben sehen. Ich will das nicht mehr. Deshalb engagiere ich mich dafür, dass zumindest Europa ein sicherer Kontinent für Frauen ist.

Abtreibungsgegner würden einwenden: Aber kein sicherer Ort für ungeborenes Leben. Die sogenannten Gegner sind Menschen, die Frauen bevormunden. Es geht aber immer darum, wer da ist, um ein Kind verantwortungsvoll ins Leben zu begleiten, wenn es auf die Welt kommt. Und kein einziger von den Gegnern ist dann bereit, ein Kind zu übernehmen. Sie sagen, das sei die Verantwortung der Frau. Dann muss es aber auch ihre Entscheidung sein, ob sich das ausgeht oder nicht.

Sie führen selber Abbrüche durch. Wie oft? Wir haben in Österreich ungefähr 70.000 bis 80.000 Geburten und ungefähr 20.000 bis 30.000 ungewollte Schwangerschaften, die beendet werden.

Warum wird in Österreich so schlecht verhütet? Weil es von der Politik null Unterstützung gibt. Man könnte zum Beispiel tun, was in anderen Ländern selbstverständlich ist: Verhütungsmittel kostenlos machen.

Schwangerschaftsabbrüche sind nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland im Strafgesetz geregelt. Die Drei-Monate-Fristenlösung in Österreich ist nur eine Freistellung von der Strafe. Warum dieses Konstrukt? Das ist totes Recht. Es wird keine Frau mehr in Österreich mit einem Jahr Gefängnis bestraft, wenn sie einen Abbruch vornehmen lässt. Aber die Androhung hat sehr wohl noch negative Auswirkungen. Indirekt, indem Krankenhäuser sagen: Das ist eine Straftat, das werden wir nicht anbieten. Die Krankenkasse sagt: Dafür können wir die Kosten nicht übernehmen. Und die Universitätskliniken sagen: Das können wir nicht in unser Ausbildungs-Curriculum für Gynäkologen übernehmen. Das Perfide ist, dass es sozial nicht mehr akzeptabel wäre, wenn ein Gericht eine Frau bestrafen würde. Was also? Entweder es ist eine Straftat. Dann wird sie auch bestraft. Oder es ist eben keine.

Was lernen angehende Gynäkologinnen und Gynäkologen an der Uni über Abbrüche? Gar nichts. Beziehungsweise eine Kürettage, eine Ausschabung, wird schon gelehrt, weil es ja auch vorkommt, dass sich Schwangerschaften nicht normal entwickeln und aus der Gebärmutter entfernt werden müssen. Das wird auch überall gemacht. Aber mit einer Technik, die 40 Jahre alt ist. Ich habe aus dem Grund ein zweites Doktorat in Stockholm gemacht und ein Jahr in Frankreich gearbeitet.

Wie ist die Versorgungslage? Es gibt keine wohnortnahe Versorgung. Und es gibt eine große soziale Teilung: Die Frauen, die sich 800 bis 1000 Euro leisten können, gehen mit ihrem Frauenarzt in ein Belegspital. Das kann auch ein religiöses Belegspital sein. Sie zahlen den Gynäkologen bar auf die Hand. Der Gynäkologe macht offiziell eine gestörte Schwangerschaft und bekommt von der Krankenkasse ein zweites Mal bezahlt. Der Großteil der Bevölkerung kann sich das nicht leisten und ist auf die Institutionen angewiesen, die es gibt.

In vielen Ländern ist Abtreibung ein hochpolitisches Wahlkampfthema. Warum? Weil es um Macht geht. Die zentrale Frage ist immer: Wer entscheidet? Die betroffene Frau oder der Staat? Die Regierungen wollen möglichst viele Geburten, eine möglichst große Bevölkerung, viele Arbeitskräfte oder viele Soldaten. Alle anderen wollen so viele Kinder, wie sie verantwortungsvoll im Leben begleiten können.

In Europa gibt es in puncto Regelungen einen Fleckerlteppich. Welche Faktoren entscheiden, was wo gilt? Die Tatsache, dass es so unterschiedliche Regelungen gibt, ist ja schon ein Beleg dafür, dass es nicht um die Bedürfnisse der Frauen geht. Denn die sind überall ungefähr gleich. Das heißt: Sie zählen gar nicht. Die jeweilige Regelung ist der Kompromiss in einem Machtkampf. In Frankreich gibt es schon lang eine sehr starke Bewegung zur Selbstbestimmung. Das erklärt, warum Frankreich jetzt vorgeprescht ist und das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankert hat.

Christian Fialaist Gynäkologe an der Gynmed der Salzburger Landeskliniken und Ärztlicher Leiter des Gynmed-Ambulatoriums in Wien. Er ist Gründungsmitglied der MFG.