Viele in Brüssel können das Wort "Brexit" nicht mehr hören, seit Großbritannien 2020 die Union nach jahrelangen und quälenden Verhandlungen verlassen hat. Dennoch musste Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Montag nach Windsor reisen, um dort mit dem britischen Premierminister Rishi Sunak den - so jedenfalls die Hoffnung - letzten Akt im Scheidungsdrama zu setzen.
Kaum war der Brexit vor drei Jahren über die Bühne gegangen, versuchte die britische Regierung unter dem damaligen Premier Boris Johnson, einen Teil des Vertrags wieder aufzuschnüren. Es ging und geht um das Nordirland-Protokoll. Nun haben sich von der Leyen und Sunak endgültig darüber geeinigt - im "Windsor-Rahmenvertrag".
"Darauf können wir stolz sein", sagte von der Leyen. Sunak versprach einen "reibungslosen Handel im gesamten Vereinigten Königreich" und Schutz der "Souveränität der Menschen in Nordirland".
Den Hardlinern unter den Brexiteers in der konservativen Tory-Partei und den nordirischen Unionisten war das Nordirland-Protokoll immer ein Dorn im Auge gewesen. Also war jahrelang nachverhandelt worden.
EU-Außengrenze verläuft mitten durch Irland
Das Problem: Nach dem Brexit verläuft die EU-Außengrenze mitten durch die irische Insel - zwischen dem EU-Mitglied Irland und der zu Großbritannien gehörenden nordirischen Provinz. Im Grunde müsste der Waren- und Personenverkehr dort kontrolliert werden. Doch eine harte Grenze könnte die Konflikte zwischen katholischen Nationalisten und protestantischen Unionisten wieder befeuern. Das war die Sorge. Also wurde folgender Ausweg gewählt: Das britische Nordirland bleibt im EU-Binnenmarkt, weshalb keine Kontrollen auf der irischen Insel notwendig sind. Dafür wurde die Zollgrenze in die Irische See verlegt.
Was wiederum massive Probleme für den Warenverkehr innerhalb Großbritanniens brachte. Die EU hat strenge Vorgaben für den Import von Lebensmitteln. Das machte Zollkontrollen in Nordirlands Häfen notwendig. Die Wirtschaft klagte über Bürokratie. Die nordirischen Unionisten darüber, dass Nordirland kein vollwertiges Mitglied des Vereinigten Königreichs mehr sei. Hardliner unter den Brexit-Befürwortern wittern stets Verrat an ihrer Sache.
Die nun gefundene Lösung sieht ein System aus roten und grünen Transportlinien für den Zoll vor, um den Handel zu erleichtern. Waren, die von Großbritannien nur für Nordirland bestimmt sind, sollen auf der grünen Linie ohne Kontrollen importiert werden können.
Premierminister muss Brexit-Hardliner überzeugen
Nun muss Premierminister Sunak die Brexit-Hardliner und die Unionisten vom Kompromiss überzeugen. Und das vor dem Hintergrund vielfältiger innenpolitischer und wirtschaftlicher Krisen. Der Chef der oppositionellen Labour-Partei Keir Starmer sagte dem Premier seine Unterstützung zu, wenn es zu einer Abstimmung über den Deal im Parlament kommen sollte.
Es ist ein heikles Unterfangen für den Premier. Die unionistische DUP will die Übereinkunft genau prüfen. Sie fordert, dass die Bevölkerung bei Gesetzen, die in Nordirland gelten, mitreden kann. Ihr Druckmittel: die politische Stabilität des ohnehin fragilen Landesteils. Sie droht damit, die Regierungsarbeit mit der Sinn-Féin-Partei nicht aufzunehmen. Sprechen sich die Unionisten offen gegen das Abkommen aus, könnten die Brexit-Hardliner aufbegehren und es käme zu einem erneuten erbitterten Streit um den Brexit innerhalb der Tory-Partei.
Gegen Abend stand für von der Leyen dann noch Tee mit König Charles in Schloss Windsor auf dem Programm. Auch das brachte konservative Hardliner auf. Einer von ihnen ist Jacob Rees-Mogg. Es sei "verfassungsrechtlich unklug, den König in eine unmittelbare politische Kontroverse einzubeziehen", sagte er.
Der Monarch erfüllt rein repräsentative Aufgaben und hat sich politisch neutral zu verhalten. Dass Regierung und Palast das Treffen des Königs mit der Kommissionschefin im Anschluss an die finalen Brexit-Verhandlungen ansetzten, stieß vielen sauer auf.